Aktenzeichen IV ZR 221/19
§ 307 Abs 2 Nr 2 BGB
§ 1 UKlaG
§ 3a UWG
§ 8 Abs 1 S 1 UWG
§ 4 Abs 1 Buchst c ARB 2016
§ 4 Abs 4 Buchst b ARB 2016
Leitsatz
1. Soweit § 4 (1) Buchst. c) ARB 2016 der Klägerin die Bestimmung des so genannten verstoßabhängigen Versicherungsfalles auch von den gegnerischen Tatsachenbehauptungen im Ausgangsstreit abhängig macht, benachteiligt die Klausel den Versicherungsnehmer entgegen Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).
2. Zur Wirksamkeit eines Leistungsausschlusses in Rechtsschutzversicherungsbedingungen für Ausgangsstreitigkeiten über die Ausübung von Widerrufs- oder Widerspruchsrechten bei vor Beginn des Versicherungsschutzes abgeschlossenen Darlehens- oder Versicherungsverträgen.
3. Die Verpflichtung eines Versicherers, die betroffenen Versicherungsnehmer über die Unwirksamkeit einer Klausel seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu informieren, kann auf § 8 Abs. 1 UWG gestützt werden, weil der Verstoß einer Klausel gegen § 307 BGB zugleich einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG darstellt. Insoweit sind die Vorschriften über die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen gemäß § 1 UKlaG und des Lauterkeitsrechts nebeneinander anwendbar (Fortführung von BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 – I ZR 184/15, VersR 2018, 422 “Klauselersetzung” Rn. 40 ff.).
Verfahrensgang
vorgehend OLG Düsseldorf, 11. Juli 2019, Az: I-20 U 111/18, Urteilvorgehend LG Düsseldorf, 25. September 2018, Az: 1 O 55/17
Tenor
Die Revisionen der Parteien gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Juli 2019 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin 25% und der Beklagte 75%.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, welches Rechtsschutzversicherungen anbietet, und der Beklagte, ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Interessenwahrnehmung von Verbrauchern durch Beratung und Aufklärung zählt und der in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG beim Bundesamt für Justiz eingetragen ist, streiten über die Wirksamkeit von Klauseln, die die Klägerin seit Januar 2016 in § 4 ihrer Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2016, Stand 01/2016, im Folgenden nur ARB) verwendet.
2
Diese Klauseln lauten – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – auszugsweise wie folgt:
“§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Versicherungsschutz
(1) Sie haben Anspruch auf Versicherungsschutz, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Diesen Anspruch haben Sie aber nur, wenn der Versicherungsfall nach Beginn des Versicherungsschutzes und vor dessen Ende eingetreten ist.
Der Versicherungsfall ist
…
(c) in allen anderen Fällen der Zeitpunkt, zu dem Sie oder ein anderer (zum Beispiel der Gegner oder ein Dritter) gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften verstoßen hat oder verstoßen haben soll.
Hierbei berücksichtigen wir
• alle Tatsachen (das heißt konkrete Sachverhalte im Gegensatz zu Werturteilen),
• die durch Sie und den Gegner vorgetragen werden,
• um die jeweilige Interessenverfolgung zu stützen.
…
(4) In folgenden Fällen haben Sie keinen Versicherungsschutz:
…
b) Sie haben vor Beginn des Versicherungsschutzes einen Darlehens- oder Versicherungsvertrag geschlossen und üben ein Widerrufs- oder Widerspruchsrecht aus mit der Begründung, bei Abschluss des Darlehens- oder Versicherungsvertrags über das Widerrufs- oder Widerspruchsrecht gar nicht oder nur unzureichend aufgeklärt bzw. belehrt worden zu sein. Dies gilt auch dann, wenn Widerruf oder Widerspruch nach Abschluss des Rechtsschutzvertrags erfolgen.”
3
Mit Schreiben vom 19. Januar 2017 beanstandete der Beklagte die Verwendung der Klauseln in § 4 (1) Buchst. c) Satz 2 sowie § 4 (4) Buchst. b) ARB als rechtlich unzulässig und verlangte von der Klägerin eine Unterlassungserklärung mit Vertragsstrafenversprechen. Die Klägerin wies dieses Verlangen zurück.
4
Sie hat auf Feststellung geklagt, dass der vom Beklagten erhobene Unterlassungsanspruch nicht bestehe. Widerklagend hat der Beklagte beantragt, die Klägerin zu verurteilen
1. und 2.
es bei Meidung jeweils näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen, die nachfolgenden oder inhaltsgleiche Bestimmungen in Bezug auf Rechtsschutzversicherungsverträge zu verwenden oder sich auf sie zu berufen, sofern nicht der Vertrag mit einer Person abgeschlossen wird, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer):
– § 4 (1) (…)
Hierbei berücksichtigen wir
• alle Tatsachen (das heißt konkrete Sachverhalte im Gegensatz zu Werturteilen),
• die durch Sie und den Gegner vorgetragen werden,
• um die jeweilige Interessenverfolgung zu stützen (Widerklageantrag zu 1).
…
– § 4 (4) (…)
b) Sie haben vor Beginn des Versicherungsschutzes einen Darlehens- oder Versicherungsvertrag geschlossen und üben ein Widerrufs- oder Widerspruchsrecht aus mit der Begründung, bei Abschluss des Darlehens- oder Versicherungsvertrages über das Widerrufs- oder Widerspruchsrecht gar nicht oder nur unzureichend aufgeklärt bzw. belehrt worden zu sein. Dies gilt auch dann, wenn Widerruf oder Widerspruch nach Abschluss des Rechtsschutzvertrags erfolgen (Widerklageantrag zu 2).
3. an den Beklagten eine Abmahnpauschale in Höhe von 260 € (brutto) zzgl. Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 7. Februar 2017 zu zahlen (Widerklageantrag zu 3).
4. allen Versicherungsnehmern, in deren Versicherungsvertrag die in den Anträgen der Widerklage zu Ziffern 1. und 2. zitierten Klauseln enthalten sind, binnen zwei Wochen nach Rechtskraft des Urteils bezüglich der Widerklageanträge zu 1. und 2. ein individualisiertes Schreiben zukommen zu lassen, in dem die Klägerin und Widerbeklagte darauf hinweist, dass die in den Anträgen der Widerklage zu 1. und 2. zitierten Klauseln unwirksam sind und dass sie sich in Zukunft nicht mehr darauf berufen wird. Der Klägerin und Widerbeklagten sollte es dabei vorbehalten bleiben, in dem Schreiben hinzuzufügen, dass sie zu dieser Erklärung verurteilt worden ist, und dabei das Urteil im Einzelnen näher zu bezeichnen (Widerklageantrag zu 4).
5
Die Klägerin, die die Abweisung der Widerklage beantragt hat, hält die zitierten Klauseln für wirksam.
6
Nach Einholung einer Stellungnahme der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat das Landgericht die Klage als unzulässig abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage hin verurteilt, in § 4 (1) ARB lediglich die Verwendung der Worte “und den Gegner” zu unterlassen und diesbezüglich alle ihre Versicherungsnehmer wie beantragt zu informieren, ferner die Abmahnpauschale in Höhe von 260 € nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Widerklage hat das Landgericht abgewiesen.
7
Das Oberlandesgericht hat die allein gegen die Entscheidung über die Widerklage gerichteten Berufungen beider Parteien zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Beide Parteien haben – soweit jeweils zu ihrem Nachteil entschieden worden ist – Revision, die Klägerin vorsorglich für den Fall, dass der Senat von einer wirksamen Beschränkung der Revisionszulassung ausgehen sollte, zudem auch Anschlussrevision eingelegt.
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