Aktenzeichen 25 U 2457/17
MB/KK § 1 Abs. 2
BGB § 307
Leitsatz
1. Sehen die Tarifbedingungen einer privaten Krankheitskostenversicherung die Erstattungsfähigkeit von Leistungen einer Kinderwunschbehandlung nur bei organisch bedingter Sterilität der versicherten Person vor, scheidet eine Leistungspflicht des Versicherers in Fällen aus, in denen der Versicherte Träger eines vererblichen Gendefekts (hier: Merkel-Gruber-Syndrom) ist und daher ein ggf. auch hohes Risiko für die Geburt eines Kindes mit einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht. (Rn. 2 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige Beschränkung des Versicherungsschutzes in den Tarifbedingungen der Krankheitskostenversicherung hält einer Inhaltskontrolle stand; sie führt insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der Vertragszweckgefährdung iSv § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu einer Aushöhlungsnichtigkeit (unter Hinweis auf BGH BeckRS 2008, 18954). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die bloße Trägerschaft eines vererblichen Gendefekts stellt – anders als eine organisch bedingte Sterilität – keine Krankheit im Sinne der Tarifbedingungen bzw. iSv § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK, nämlich eines objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anomalen Körper- oder Geisteszustands des Versicherten, dar. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
26 O 21955/16 2017-06-02 Urt LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 02.06.2017, Az. 26 O 21955/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Das Landgericht hat die Klage zu Recht mit der zutreffenden Begründung abgewiesen, dass nach den vorliegenden Tarifbedingungen die Voraussetzungen für eine Erstattungspflicht der Beklagten nicht gegeben sind. Die Einwendungen der Berufungsbegründung sind nicht geeignet, eine anderweitige Beurteilung zu rechtfertigen.
Die Tarifbedingungen der Beklagten sehen unstreitig bei Fruchtbarkeitsbehandlungen eine nur eingeschränkte Eintrittspflicht der Beklagten vor. Insbesondere wird danach zur Voraussetzung einer Erstattungspflicht bei medizinisch notwendiger künstlicher Befruchtung gemacht, dass eine organisch bedingte Sterilität der versicherten Person besteht, die allein mittels künstlicher Befruchtung/Insemination überwunden werden kann.
An organisch bedingter Sterilität leiden unstreitig schon ausweislich des bindenden Tatbestandes (§ 314 ZPO) weder der Kläger noch seine Ehefrau. Diese halten vielmehr eine (erneute) Schwangerschaft auf natürlichem Wege, bei der die Möglichkeit einer Präimplantationsdiagnostik (PID) nicht besteht, für unzumutbar, da sie Träger eines vererblichen Gendefekts – Anlage des Meckel-Gruber-Syndroms – sind, das bei Säuglingen, die unter ihm leiden, zu 100% zum Tode führt.
Die Formulierung der „organisch bedingten Sterilität“ in den Versicherungsbedingungen ist eindeutig und kann nicht gegen ihren Wortlaut dahingehend ausgelegt werden, dass sie über eine organisch bedingte Unfähigkeit des Versicherten zur Fortpflanzung hinaus auch Fälle erfasst, in denen, wie hier, Fortpflanzungsfähigkeit grundsätzlich besteht, aus der gesunde Kinder hervorgehen können, allerdings ein gewisses, ggf. auch hohes Risiko für ein Kind mit einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht.
Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auszulegen, der die Bedingungen aufmerksam liest und sie verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs – würdigt. Maßgeblich ist in erster Linie der Klauselwortlaut; die – dem Versicherungsnehmer regelmäßig unbekannte – Entstehungsgeschichte einer Klausel spielt hingegen entgegen der Auffassung der Berufung keine Rolle. Ein verständiger Versicherungsnehmer kann der getroffenen Vereinbarung in den Tarifbedingungen ohne weiteres entnehmen, dass die Beklagte in Fällen medizinisch notwendiger künstlicher Befruchtung keine umfassende Leistungspflicht übernehmen, sondern hierfür nur in ganz bestimmten, näher umschriebenen Fällen eintreten will, insbesondere nur bei organisch bedingter Sterilität – und auch dann nur bei deutlichen Erfolgsaussichten und für nicht mehr als drei Versuche der künstlichen Befruchtung.
Diese Bestimmung in den Tarifbedingungen ist, wie das Landgericht zutreffend entschieden und begründet hat, auch wirksam, stellt insbesondere keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar. Auf die Ausführungen im Urteil (Seite 6 unter B.I.) wird Bezug genommen. Eine Aushöhlung des Krankenversicherungsschutzes durch die Beschränkung der Erstattungspflicht in diesem Bereich ist ersichtlich nicht zu besorgen. Es handelt sich nicht um den Kernbereich der medizinischen Versorgung, vielmehr muss der Versicherungsnehmer schon allgemein bei Inanspruchnahme von besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlungen zur künstlichen Befruchtung Rücksicht auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft nehmen und in Hinblick darauf Einschränkungen hinnehmen (vgl. schon die Grundsatzentscheidung BGH VersR 1987, 278; Kalis in Bach/ Moser, PKV, 5. Aufl., § 1 MB/KK Rn. 104).
Das Landgericht hat weiter (Urteil Seiten 6/7 unter B.II.) richtig entschieden, dass sich eine Erstattungspflicht auch nicht aus einem etwaigen Rückgriff auf den allgemeinen Versicherungsschutz für Krankheiten gemäß § 1 Abs. 2 des Teils I der Versicherungsbedingungen ergibt. Die bloße Trägerschaft eines vererblichen Gendefekts stellt – anders als eine organisch bedingte Sterilität – schon keine Krankheit im Sinne der Tarifbedingungen dar. Darunter ist ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler Körper- oder Geisteszustand des Versicherten zu verstehen, der Kläger (und seine Ehefrau) selbst sind nicht „krank“.
Ob einer Leistungspflicht der Beklagten darüber hinaus auch entgegenstünde, dass der Kläger die Erstattung von Kosten für eine IVF-/ICSI-Behandlung mit PID in einer Konstellation verlangt, die in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz ordnungswidrig gewesen wäre, kann damit dahinstehen.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).