Verwaltungsrecht

37 Jahre alter Mann unterliegt nicht der allgemeinen Wehrpflicht in der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 18.30615

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6946
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Die bloße Bezugnahme auf im Internet veröffentliche Videos und Berichte, die dem Zulassungsantrag noch nicht einmal beigefügt sind, ist für die Erfüllung des Darlegungsgebots nicht ausreichend.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 16.31101 2018-02-07 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylG) hinreichend dargelegt ist.
1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).
Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob im Falle der Verweigerung des Militärdienstes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zu rechnen ist, in deren Vollzug eine menschenrechtswidrige Behandlung droht und ob im ukrainischen Militärdienst völkerrechtswidrige Handlungen begangen werden. Diese Fragen waren im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, da das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juli 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG) zum einen nicht festgestellt hat, dass der Kläger zum Militärdienst einberufen worden ist und zum anderen davon ausgegangen ist, dass derzeit in den umkämpften Gebieten nur Freiwillige eingesetzt werden. Darüber hinaus sind diese Fragen, wie der Kläger selbst ausgeführt hat, im Urteil des erkennenden Senats vom 24. August 2017 (11 B 17.30392 – juris) behandelt worden.
Des Weiteren ist die bloße Bezugnahme auf im Internet veröffentlichte Videos und Berichte, die noch dazu dem Zulassungsantrag nicht beigelegt sind, in Erfüllung des Darlegungsgebotes nicht ausreichend. Sinn und Zweck des Darlegungsgebotes ist es u.a., die Gerichte zu entlasten, indem dem Rechtsmittelführer auferlegt wird, vorzutragen, warum er die gesetzlich vorgesehenen Zulassungsgründe als gegeben erachtet (BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163 = juris Rn. 12). Der Verweis auf Fundstellen im Internet, aus dem nicht konkret hervorgeht, welche Informationen sich hinter dem jeweiligen Link verbergen, kann daher zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichen (vgl. BayVGH, B.v.16.1.2018 – 20 ZB 18.30059 – juris; vgl. Berlit in GK-AsylG, Stand Dezember 2017, § 78 Rn. 613 a.E.), ebenso wenig der Verweis auf Videos oder Berichte ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit denselben.
Im Übrigen droht dem Kläger keine Einberufung zum Wehrdienst, da er schon 37 Jahre alt ist und damit in der Ukraine nicht mehr unter die allgemeine Wehrpflicht fällt. Nach eigenen Angaben musste er keinen Wehrdienst leisten, da er aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert worden ist. Da er noch nie Wehrdienst geleistet hat, muss er auch nicht befürchten, als Reservist einberufen zu werden.
2. Auch ein Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, da es in der mündlichen Verhandlung keine gezielten Fragen an ihn gerichtet habe. Bei einem (hier nicht ersichtlichen) Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt es sich schon nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 ZB 15.30091 – juris Rn. 2; B.v. 13.4.2015 – 13a ZB 14.30047 – juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 25.3.2015 – 13 A 493/15.A – juris).
Soweit der Kläger geltend macht, es handele sich um eine Überraschungsentscheidung, da er nicht habe damit rechnen müssen, dass das Verwaltungsgericht die Klageabweisung darauf stütze, dass die emotionale Einfärbung des Vorbringens, er könne nicht auf seinen Bruder schießen, eingeübt erscheine und nicht Ausdruck einer tiefgreifenden Gewissensentscheidung sei, und dass das Verwaltungsgericht davon ausgehe, es würden nur Freiwillige in den Kampfgebieten eingesetzt, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung führen. Von einer Überraschungsentscheidung kann unter anderem dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder von ihm für unrichtig gehalten werden (BVerwG, B.v. 25.5.2017 – 5 B 75/15 D – juris Rn. 11). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht keine, auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende, generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347/01, 1 PKH 46/01 – juris Rn. 5; B.v. 28.12.1999 – 9 B 467/99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 = juris Rn. 2; B.v. 11.5.1999 – 9 B 1076/98 – juris Rn. 10). Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (BVerwG, B.v. 26.11.2001, a.a.O.; vgl. auch OVG NW, B.v. 16.12.2016 – 1 A 2199/16.A – juris Rn. 27). Dass das Verwaltungsgericht die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel auswertet und daraus seine Schlüsse zieht, versteht sich ebenfalls von selbst.
Die Würdigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und der Angaben des Klägers durch das Verwaltungsgericht verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nur dann vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2017 – 2 BvR 2584/12 – NJW 2017, 1731 = juris Rn. 27 m.w.N.). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und den von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfG a.a.O.). Danach sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Es hat sich auf den angefochtenen Bescheid, den neuesten Lagebericht und den Beschluss des Senats vom 13. Januar 2017 (11 ZB 16.31051 – juris) bezogen, die Angaben des Klägers gewürdigt und daraus seine Schlüsse gezogen. Damit setzt sich der Kläger nicht auseinander, sondern behauptet nur, die Rechtsanwendung sei willkürlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
4. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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