Aktenzeichen AN 6 K 16.00915
Leitsatz
1 Nach § 80 Abs. 2 VwVfG die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren – anders als die von Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 S. 1 VwGO) – nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen, wobei maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird in Abänderung der Ziffern 2 und 3 des Abhilfebescheides vom 25. April 2016 verpflichtet, eine Kostengrundentscheidung dahingehend zu treffen, dass die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat, und die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren festzustellen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung über die Klage entschieden werden.
1. Unter Würdigung der Klagebegründung ist der mit Schriftsatz vom 29. Mai 2016 gestellte Klageantrag nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel als Antrag des Klägers, die Beklagte unter Abänderung der Ziffern 2 und 3 des Abhilfebescheides vom 25. April 2016 zu verpflichten, eine Kostengrundentscheidung dahingehend zu treffen, dass die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat, und die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren festzustellen, auszulegen (§ 88 VwGO).
2. Die so verstandene Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet.
a) Die Beklagte ist unter Abänderung von Ziffer 2 des Abhilfebescheides vom 25. April 2016 zu verpflichten, eine Kostengrundentscheidung zu Gunsten des Klägers als Widerspruchsführer zu treffen. Ein dem Widerspruch stattgebender Abhilfebescheid muss nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 72 VwGO auch über die Kosten des Verfahrens entscheiden. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG führt ein erfolgreicher Widerspruch zu einer Kostenlast für den Rechtsträger der Ausgangsbehörde. Da die Beklagte dem Widerspruch des Klägers vom 12. Januar 2016 mit Abhilfebescheid vom 25. April 2016 in vollem Umfang abgeholfen hat, mithin ein erfolgreicher Widerspruch des Klägers vorliegt, trägt die Kosten des Widerspruchsverfahrens in Form der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Beklagte. Die von der Beklagten in Ziffer 2 des Abhilfebescheides vom 25. April 2016 getroffene Feststellung der Kostenfreiheit des Antrags- und Widerspruchsverfahren ist daher um eine Kostengrundentscheidung dahingehend zu ergänzen, dass die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat.
b) Darüber hinaus ist die Beklagte unter Abänderung von Ziffer 3 des Abhilfebescheides vom 25. April 2016 zu verpflichten, festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig war. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind gemäß § 80 Abs. 2 VwVfG damit erstattungsfähig.
aa) Der Kläger hat zwar mit Schreiben vom 12. Januar 2016 selbst Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 24. November 2015 erhoben. Die Klägerbevollmächtigten zeigten sich jedoch mit Schriftsatz vom 19. Januar 2016 gegenüber der Beklagten an und begründeten den Widerspruch. Mit ihrer Widerspruchsbegründung entfalteten die Bevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren eine nach außen gerichtete Tätigkeit, so dass eine Entscheidung nach § 80 Abs. 2 VwVfG über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren veranlasst ist. Auch der Umstand, dass sich die Klägerbevollmächtigten erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist gegenüber der Beklagten anzeigten, macht eine Entscheidung nach § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG nicht entbehrlich, da die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 25. April 2016 eine Sachentscheidung zugunsten des Klägers traf.
bb) Die Maßstäbe für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, B.v. 1.6.2010 – 6 B 77.09 – juris Rn.6). Danach ist gemäß § 80 Abs. 2 VwVfG die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren – anders als die von Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO) – nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Abzustellen ist regelmäßig auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung (BVerwG, B.v. 14.1.1999 – 6 B 118.98 – juris). Darüber hinaus wird die Notwendigkeit der Zuziehung auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt (BVerwG, B.v. 27.2.2012 – 2 A 11/08 – juris Rn.5).
cc) Nach diesen Maßstäben war es dem Kläger vorliegend nach seinen persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten, das Widerspruchsverfahren selbst zu führen.
Bereits mit seinem Antrag auf Zulassung zum Integrationskurs reichte der Kläger eine Postvollmacht vom 13. November 2015 bei der Beklagten ein, gemäß der er zur Führung sämtlicher Korrespondenz, betreffend die Zulassung zum Integrationskurs, Befreiung vom Kostenbeitrag zum Integrationskurs und Kostenerstattung bzw. Gewährung eines Fahrtkostenzuschusses, den Kursträger … bevollmächtigt hat. Der Kläger bedurfte somit wohl bereits zum Betreiben des behördlichen Zulassungsverfahrens einer Unterstützung. Dass dem Kläger die Führung des Widerspruchsverfahrens nicht zuzumuten war, zeigt auch die Begründung seines Widerspruchsschreibens vom 12. Januar 2016, welche sich inhaltlich nicht mit dem von der Beklagten angeführten Ablehnungsgrund befasst. Während die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zulassung zum Integrationskurs mit Bescheid vom 24. November 2015 auf Grund von Anhaltspunkten für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates in Anwendung der Dublin III-Verordnung ablehnte, begründete der Kläger seinen Widerspruch mit seiner eritreischen Staatsangehörigkeit, welche für die Ablehnungsentscheidung der Beklagten gerade nicht maßgeblich war. Bereits dies zeigt, dass dem Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten eine Überprüfung der im Ablehnungsbescheid vorgebrachten Gründe augenscheinlich nicht möglich war. Der Kläger war daher nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht in der Lage, seine Rechte gegenüber der Beklagten ohne anwaltliche Hilfe im Widerspruchsverfahren in ausreichender Weise wahrzunehmen.
Bei der gegebenen Sachlage ist auch wegen der Schwierigkeit der Sache davon auszugehen, dass sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Dies gilt umso mehr, als Integrationsrecht Spezialwissen darstellt, das insbesondere einem Ausländer nicht geläufig ist, zumal das Bundesamt dem Kläger in zwei verschiedenen Funktionen gegenübertritt. Obwohl der am 15. Januar 2015 im Asylverfahren des Klägers ergangene Dublin-Bescheid der Beklagten hinsichtlich Ziffer 2 bereits mit Schriftsatz der Beklagten vom 8. Mai 2015 und hinsichtlich Ziffer 1 und damit vollumfänglich mit Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. Juli 2015 aufgehoben worden war, begründete die Beklagte ihren Ablehnungsbescheid vom 24. November 2015 mit Anhaltspunkten für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin III-Verordnung. Dieses konträre Verhalten der Beklagten ist bereits geeignet, einen fachkundigen, im Umfang mit dem Bundesamt erfahrenen und deutschsprechenden Antragsteller zu verwirren. Erst recht muss dies für eine sprach- und rechtsunkundige Person wie den Kläger gelten, welcher sich deshalb einer anwaltlichen Vertretung im Widerspruchsverfahren bedienen durfte. Einerseits hob die Beklagte den am 15. Januar 2015 im Asylverfahren ergangenen Dublin-Bescheid hinsichtlich Ziffer 1 mit Schriftsatz vom 8. Mai 2015 auf. Hinsichtlich Ziffer 2 wurde der Bescheid mit Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. Juli 2015 aufgehoben. Andererseits jedoch begründete sie die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Zulassung zum Integrationskurs mit Bescheid vom 24. November 2015 mit Anhaltspunkten für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-Verordnung. Es liegt daher nahe, dass der Kläger nach Erhalt des Ablehnungsbescheides vom 24. November 2015 nicht selbst entscheiden konnte, welche der Aussagen des Bundesamtes zutreffend ist und auf welche Weise er diese widersprüchlichen Entscheidungen angreifen muss. Dies zeigt auch die von ihm selbst eingereichte, neben der Sache liegende Widerspruchsbegründung, er besitze die eritreische Staatsangehörigkeit. Es kann von ihm unter Berücksichtigung dieser konträren Aussagen auch nicht verlangt werden, dass er blind (also ohne eigene Überprüfung der widersprüchlichen Feststellungen des Bundesamtes) darauf vertraut, dass das Bundesamt, welches gerade seinen Antrag auf Zulassung zum Integrationskurs abgelehnt hat, im Widerspruchsverfahren eine andere, für ihn günstige Entscheidung trifft, ohne dass es einer Widerspruchsbegründung durch die Klägerbevollmächtigten bedurft hätte.
Schließlich wirft die Beurteilung des Begriffs der fehlenden Bleibeperspektive tatsächliche und rechtliche Fragen auf, die der Kläger wohl ohne anwaltliche Hilfe nicht überblicken konnte. Da die Bleibeperspektive vorliegend nicht von dem Nachweis der Staatsangehörigkeit des Klägers eines der im Ablehnungsbescheid genannten Herkunftsländer abhing, sondern von Fragen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten nach der Dublin III-Verordnung, lag entgegen der von Beklagtenseite vertretenen Auffassung auch keine Fragestellung vor, welche der Kläger ohne rechtliche Beratung hätte beantworten und in einem Widerspruch vorbringen können. Selbst wenn dem Kläger als im EU-Gebiet Schutzsuchenden zumindest der grobe Inhalt der Dublin III-Verordnung bekannt sein sollte, wie die Beklagte voraussetzt, kann nicht verlangt werden, dass der Kläger das widersprüchliche Verhalten der Beklagten rechtlich ohne anwaltliche Beratung zutreffend einordnet und beurteilt.
Auch nach der Bedeutung der Streitsache erweist sich die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren als notwendig. Der Kläger hält sich bereits seit 6. November 2014 im Bundesgebiet auf, sodass für ihn das Erlernen der deutschen Sprache nach einem Aufenthalt im Bundesgebiet von über einem Jahr von großer Bedeutung war.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe, die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.