Aktenzeichen M 6 S 16.5923
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 117 Abs. 3
VwZVG VwZVG Art. 3 Abs. 2, Art. 9
GG GG Art. 2
RDGEG RDGEG § 3, § 5
Leitsatz
Ein unwirksam (an die Elternanschrift) zugestellter Bescheid ist tatsächlich zugegangen, wenn sich nachweisen lässt, dass der Adressat das im Bescheid verhängte Bußgeld angewiesen und eine Reduzierung der Punkte beantragt hat. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die (kraft Gesetzes) sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L und Mnach dem sog. Fahreignungs-Bewertungssystem.
Aus mehreren Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes mit den jeweiligen Auszügen aus dem Verkehrszentralregister bzw. Fahreignungsregister sind folgende Eintragungen zulasten des Antragstellers zu ersehen (sortiert nach dem Tattag; einzelne Ergänzungen nach Aktenlage):
Tattag
Verkehrszuwiderhandlung
Ahndung/Rechtskraft
Punkte
…08.2010
Sie hielten bei einer Geschwindigkeit von 94 km/h den erforderlichen Abstand von 47,00 mzum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein. Ihr Abstand betrug 19,06 m und damit weniger als 5/10 des halben Tachowertes. Toleranzen sind zu ihren Gunsten berücksichtigt
Bußgeldbescheid
10.11.2010/27.11.2010
1
…8.2011
Sie benutzten als Führer des Kraftfahrzeugs verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon, indem sie hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnahmen oder hielten.
Bußgeldbescheid
27.09.2011/14.10.2011
1
… 3. 2012
Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 36 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 60 km/h. Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 96 km/h
Bußgeldbescheid
24.04.2012/11.05.2012
3
… 5. 2013
Sie missachteten das Rotlicht der Lichtzeichenanlage.
Bußgeldbescheid
26.8.2013/25.9.2013
3
…5.2013
Sie benutzten als Führer des Kraftfahrzeugs verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon, indem sie hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnahmen oder hielten.
Bußgeldbescheid
5.7.2013/24.7.2013
1
Schreiben vom 7.11.2013 mit PZU zugestellt am 12.11.2013 (Adresse: …)
Verwarnung durch das Landratsamt München nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 StVG (a.F.) zu angeblich 9 Punkten
1.5.2014
Umstellung von 9 auf 4 Punkte
… 11. 2014
Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 50 km/h. Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 83 km/h
Bußgeldbescheid
23.2.2015/21.4.2015
2
Schreiben vom 30.7.2015 mit PZU zugestellt am 4.8.2015 (Adresse: …)
Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG zu angeblich 6 Punkten
…8.2014
Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 30 km/h. Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 51 km/h
Bußgeldbescheid
30.10.2014/21.4.2015
1
…7.2015
Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 50 km/h. Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 75 km/h
Bußgeldbescheid
23.9.2015/10.10.2015
1
Nach Anhörung vom 29. April 2016 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 24. November 2016, zugestellt am 26. November 2016, die Fahrerlaubnis aller Klassen und teilte ihm mit, dass die Fahrerlaubnis am Tage der Zustellung des Bescheids erlösche und damit ungültig werde (Nr. 1 des Bescheids). In Nr. 2 ordnete sie die Abgabe des Führerscheins spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids an. Für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe drohte sie ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR an (Nr. 3) und wies unter Nr. 4 darauf hin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei. Nr. 5 und 6 des Bescheids enthalten die Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde damit begründet, dass bei dem Antragsteller wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften vorlägen und aufgrund dieser Verstöße das Fahreignungsregister zu seiner Person Eintragungen enthalte, die mit 8 Punkten registriert seien. Mit der Tat vom … Juli 2015, rechtskräftig seit 10. Oktober 2015 und im Fahreignungsregister gespeichert am 20. Oktober 2015, habe der Antragsteller den zu bewertenden Punktestand von 8 Punkten erreicht. Alle Eintragungen zur Person des Antragstellers im Fahreignungsregister seien rechtskräftig und daher zu verwerten. Die Stufenregelung gemäß § 4 Abs. 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG) sei beachtet worden. Die Fahrerlaubnis sei dem Antragsteller nach § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG zu entziehen.
Auf die Gründe des Bescheids im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).
Am 2. Dezember 2016 ging der Führerschein des Antragstellers bei der Antragsgegnerin ein.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom … Dezember 2016, der am 22. Dezember 2016 per Telefax einging, ließ der Antragsteller zum Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2016 aufzuheben.
Mit weiterem Schriftsatz vom … Dezember 2016, der am 22. Dezember 2016 per Telefax einging, ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom … Dezember 2016, gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2016 wiederherzustellen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Entscheidung der Antragsgegnerin genüge nicht den Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unverhältnismäßig. Der Antragsteller sei dringend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen.
Des Weitern wird ausgeführt, die Entscheidung sei unverhältnismäßig und verletze den Antragsteller in seinen Grundrechten nach Art. 2 Grundgesetz (GG) und Art. 103 Abs. 1 GG.
Ferner wird dargelegt, dass der Antragsteller die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Verwarnung vom 7. November 2013 nicht erhalten habe, da er zwar unter der Adresse …-Straße in … bei seinen Eltern gemeldet gewesen sei, aber seit 1987 dort nicht mehr wohne. Die Antragsgegnerin habe die fehlerhafte Ersatzzustellung unter dieser Adresse fälschlicherweise als wirksam angesehen. Zur Glaubhaftmachung verweist der Prozessbevollmächtigten insbesondere auf eine in den Akten befindliche eidesstattliche Versicherung des Antragstellers. Außerdem wird ausgeführt, die Antragsgegnerin hätte bei der Berechnung der Punkte, die angeblich zu 8 Punkten geführt haben, fälschlicherweise auch auf Punkte abgestellt, die seit dem 25. September 2015 verjährt und bereits am 25. September 2016 endgültig aus dem Fahreignungsregister gelöscht worden seien. Zur Antragsbegründung wurde im Übrigen auf die der Klage beigefügte Begründung Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 13. Februar bei 2017, bei Gericht eingegangen am 15. Februar 2017, legte die Antragsgegnerin ihre Akte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung weist sie insbesondere auf die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts über die den Antragsteller betreffenden punktebewerteten Eintragungen im Verkehrszentralregister hin, aus denen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG folge, dass der Antragsteller kraft Gesetzes als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte. Die Maßnahmen, die im Rahmen des Punktsystems der Fahrerlaubnisentziehung vorauszugehen haben, seien ordnungsgemäß gegenüber dem Antragsteller ergriffen worden. Er sei beim Stand von 9 Punkten verwarnt und gemäß den gesetzlichen Bestimmungen auf die Möglichkeit einer Punktereduzierung durch freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen worden (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG alter Fassung [a.F.]). Mit Schriftsatz vom … Februar 2014 habe der Antragsteller die Genehmigung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar als Einzelseminar beantragt. Der Einwand des Bevollmächtigten des Antragstellers, dieser habe von der Verwarnung keine Kenntnis erhalten, sei daher nicht nachvollziehbar.
Nachdem sich für den Antragsteller aufgrund weiterer Taten insgesamt 6 Punkte ergeben haben, sei er mit Schreiben vom 30. Juli 2015 verwarnt worden, gleichzeitig sei er auf die Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von 8 Punkten oder mehr hingewiesen worden. Die Fahrerlaubnisbehörden seien bei Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 bis 3 StVG an rechtskräftige Entscheidungen über Ordnungswidrigkeiten gebunden. Die jeweils vorgenommene Punktebewertung sei nicht zu beanstanden gewesen.
Das Landratsamt München übersandte dem Gericht auf schriftliche und telefonische Nachfrage am 18. April 2017 bzw. 19. April 2017 die Einzahlungsnachweise der Gebühr und der Auslagen für die am 7. November 2013 gegenüber dem Antragsteller ergangene Verwarnung.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers äußerte hierzu in einem per Telefax am … April 2017 eingegangenen Schriftsatz:
„Da es sich um einen vergleichsweise geringen Betrag handelte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Überweisung durch die Eltern des Antragstellers oder auch durch eine Mitarbeiterin der … GmbH & Co. KG im Wege einer Sammelüberweisung erfolgte. Der Antragsteller hat eine sehr enge Verknüpfung zwischen seiner Firma, die er mit seiner Schwester betreibt und seinen privaten Dingen, das geht fließend ineinander über, da die … GmbH & Co. KG nicht für Dritte arbeitet, sondern nur eigene Objekte entwickelt, plant und verwirklicht und eigenes Vermögen verwaltet. Da der Antragsteller sehr häufig auch auf Geschäftsreisen ist, kümmert sich seine Sekretärin um solche Angelegenheiten, diese hat auch die Kontovollmacht, solche Beträge eigenständig zu überweisen.“
Mit Beschluss vom 26. April 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten einschließlich der Gerichtsakte zum Verfahren M 6 K 16.5922 ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg. Bei der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung, erweist sich der Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2016 als rechtmäßig, sodass es bei der vorliegend kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis verbleibt.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist dahin auszulegen, dass mit ihm die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 9 Straßenverkehrsgesetz [StVG]) sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis erreicht werden soll. Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten, dass der Bescheid der Antragsgegnerin nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genüge, gehen deshalb ins Leere.
Die kraft Gesetzes bestehende sofortige Vollziehbarkeit erstreckt sich auch auf die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG.
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bereits unzulässig, denn der Antragsteller hat seinen Führerschein bereits bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. 3 des Bescheids am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (BayVGH, B. v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
Demgegenüber hat sich durch die Abgabe des Führerscheins die Verpflichtung hierzu in Nr. 2 des Bescheids nicht erledigt, denn diese stellt den Rechtsgrund für das vorläufige behalten dürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B. v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin geht zu Recht davon aus, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG war die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil der Antragsteller Verkehrszuwiderhandlungen begangen hatte, die insgesamt mit 8 Punkten zu bewerten waren.
Er wurde beim Stand von 9 Punkten (vor der Umstellung 1.5.2014) mit Schreiben vom 7. November 2013 verwarnt. Eine wirksame Zustellung der Verwarnung an den Antragsteller ist zwar nicht nachweisbar, der Zustellungsmangel ist jedoch dadurch geheilt, dass die Verwarnung dem Antragsteller – nach Überzeugung des Gerichts – tatsächlich zugegangen ist (Art. 9 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz [VwZVG]). Ausweislich der Zustellungsurkunde wurde die Verwarnung am 12. November 2013 unter der Anschrift „…-Straße …“, an einen erwachsenen Familienangehörigen ( …) übergeben. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller unter dieser Wohnanschrift zwar noch im Sinne des Bundesmeldegesetzes (BMG) gemeldet, wohnte dort jedoch seit vielen Jahren nicht mehr. Es handelt sich, nach seiner eidesstattlichen Versicherung, um seine elterliche Wohnadresse. Die Ersatzzustellung nach Art. 3 Abs. 2 VwZVG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) setzt voraus, dass die Person, der dort zugestellt werden soll, tatsächlich dort wohnt. Da dies nicht der Fall war, war die Ersatzzustellung unwirksam. Die Überzeugung des Gerichts, dass die Verwarnung dem Antragsteller tatsächlich zugegangen ist und der Zustellungsmangel dadurch geheilt wurde (Art. 9 VwZVG) ergibt sich zum einen daraus, dass der Antragsteller mit Schreiben vom … Februar 2014 bei der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts München einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zum Punkteabbau im Einzelunterricht gestellt hat. Die Ausnahmegenehmigung für ein Aufbauseminar im Einzelunterricht wurde ihm auch mit Schreiben vom 27. Februar 2014 erteilt. Der Antragsteller hat jedoch keine Teilnahmebescheinigung vorgelegt. Zum anderen ergibt sich der Zugang der Verwarnung daraus, dass der Antragsteller, ausweislich der Einzahlungsquittung der Kreiskasse des Landkreises München, die für die Verwarnung angefallenen Verwaltungskosten in Höhe von 20,22 EUR am 2. Dezember 2013 bezahlt hat. Die Detailansicht der Kontoumsätze weist den Antragsteller als Auftraggeber der Überweisung aus. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Verwarnung dem Antragsteller spätestens am 2. Dezember 2013 zugegangen war. Die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers steht hierzu nicht in Widerspruch, denn der Antragsteller erklärte zu diesem Punkt:
„Was die Verwarnung vom …11.2013 anbetrifft, die an die Wohnadresse meiner Eltern zugestellt wurde, habe ich keine Erinnerung mehr, dass ich eine solche Verwarnung erhalten hätte, da sie mir nicht unter meiner seit 2012 gültigen Wohnadresse …straße … zugestellt wurde.“
Das Gericht hält es in diesem Zusammenhang auch für ausgeschlossen, dass die Eltern die Überweisung – quasi heimlich – unter dem Namen ihres Sohnes getätigt haben, ohne diesem das Verwarnungsschreiben auszuhändigen, oder dass die Sekretärin das Verwarnungsschreiben von den Eltern des Antragstellers erhielt und ohne ihm dieses zu geben die Überweisung von seinem Konto getätigt hat. Ein solcher Hergang wird letztlich vom Bevollmächtigten des Antragstellers auch nicht behauptet, sondern lediglich als abstrakte Möglichkeit in den Raum gestellt.
Da die Verwarnung dem Antragsteller nach Überzeugung des Gerichts zugegangen ist, kann hier auch dahinstehen, ob sich der Antragsteller möglicherweise wegen Rechtsmissbrauchs nicht auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung der an ihn gerichteten Verwarnung berufen kann, weil er bei der Verwaltungsbehörde einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt unter Verstoß gegen die Meldegesetze herbeigeführt hat und es folglich eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn er sich nun auf die fehlerhafte Ersatzzustellung beruft, obwohl er den Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat (OLG Stuttgart, B. v. 10.01.2017 – 1 Ss 732/16 – juris).
Die mit Schreiben vom 30. Juli 2015 durch die Antragsgegnerin erteilte Verwarnung (6 Punkte) wurde dem Antragsteller unstreitig ordnungsgemäß mit Postzustellungsurkunde am 4. August 2015 zugestellt. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG wurden somit die erforderlichen Maßnahmen stufenweise ergriffen.
Das Gericht nimmt im Übrigen Bezug auf die Gründe des Bescheids vom 24. November 2016 und der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 13. Februar 2017.
Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass der Bescheid nicht deshalb rechtswidrig ist weil er bei dem Punktestand von 8 Punkten auch solche berücksichtigt, die bereits seit dem 25. September 2015 verjährt waren und seit dem 25. September 2016 endgültig aus dem Fahreignungsregister gelöscht worden sind, denn gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Antragsgegnerin für das Ergreifen der Maßnahmen nach Satz 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich im Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG bleiben spätere Verringerungen des Punktestandes aufgrund von Tilgungen unberücksichtigt. Die letzte punkterechtlich relevante Tat wurde vom Antragsteller am … Juli 2015 und somit vor dem 25. September 2015 begangen. Die Antragsgegnerin war deshalb verpflichtet sämtliche Punkte zu berücksichtigen. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ist die Fahrerlaubnis bei einem Punktestand von 8 oder mehr Punkten zwingend zu entziehen. Ein Ermessensspielraum besteht hierbei nicht. Schon aus diesem Grunde kann die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht unverhältnismäßig sein. Probleme im beruflichen oder privaten Bereich aufgrund der Fahrerlaubnisentziehung sind ohne rechtliche Bedeutung, da die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs den persönlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Interessen des Einzelnen vorgeht. Im Übrigen ist gerade bei berufsbedingter und deshalb verstärkter Verkehrsteilnahme von fahrungeeigneten Kraftfahrern das öffentliche Interesse an der Entziehung der Fahrerlaubnis besonders hoch, um weitere vielfältige Straßenverkehrsgefährdungen auszuschließen.
Anhaltspunkte für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) oder der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) bestehen nicht. Insbesondere hat die Antragstellerin keine Möglichkeit die rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen und deren ordnungsgemäße Zustellung zu überprüfen, sondern ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG an diese gebunden.
Mangels Erfolgsaussicht der Klage ist kein Raum für eine weitergehende Interessenabwägung. Daher müssen die persönlichen Interessen des Antragstellers auch insoweit hinter den Interessen der Allgemeinheit – hier insbesondere an der Sicherheit des Straßenverkehrs – zurücktreten.
Da somit die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG.
Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – in Verbindung mit den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 Satz 1 sowie 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).