Aktenzeichen 9 ZB 16.30193
Leitsatz
1 Im Zulassungsantrag wegen Divergenz muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz eines divergenzfähigen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Divergenzgerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 6 K 15.30669 2016-05-09 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 -juris Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, weil schon kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts herausgearbeitet wird, der von einem Rechtssatz des genannten Divergenzgerichts abweichen soll. Unabhängig davon hat sich das Verwaltungsgericht bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ausdrücklich auf das im Zulassungsvorbringen bezeichnete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2011 (10 C 26.10) berufen. Soweit der Kläger vorträgt, das Verwaltungsgericht habe gegen die in diesem Urteil aufgestellten „Grundsätze“ verstoßen, bezieht sich sein umfangreiches Vorbringen allein darauf, dass das Verwaltungsgericht die in diesem Urteil aufgestellten Rechtssätze nicht oder nicht richtig angewandt hat. Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Divergenzgerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2017 – 1 B 22/17 – juris Rn. 19). Dem Zulassungsvorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, dass sich das Verwaltungsgericht zwar in seinen Obersätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch Wiedergabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen hat, im entschiedenen Einzelfall aber trotzdem einen anderen rechtlichen Standpunkt eingenommen und von dort aus abweichende Rechtssätze zugrunde gelegt hat (vgl. Eyermann/Kraft, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 37 m.w.N.).
Mit der im Gewand einer Divergenzrüge vorgebrachten Kritik des Klägers an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht wird kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen. § 78 Abs. 3 AsylG kennt – im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 ZB 18.50047 – juris Rn. 6 m.w.N.).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2017 – 9 ZB 15.30129 – juris Rn. 4 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Die Frage,
„ob es bei der Fallkonstellation – Vorwurf einer politischen Verfolgung im justizförmigen Gewande – genügt, die Unterlagen der Strafverfolgungsstellen zu sichten, oder ob nicht das Gericht im Rahmen der Aufklärungspflicht gehalten ist, eigenständige, darüber hinaus gehende Ermittlungen anzustellen, bevor das Tatbestandsmerkmal von § 3 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz AsylG (aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist) bejaht werden bzw. bei dieser Fallkonstellation die Bejahung des Ausschlussgrundes allein auf die Unterlagen des Verfolgers gestützt werden darf“,
ist nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht nicht von einem „Vorwurf einer politischen Verfolgung im justizförmigen Gewande“ ausgegangen ist.
Die weitere Frage,
„ob dann, wenn lediglich Unterlagen der Strafermittlungsbehörden vorliegen, der Betroffene aber bestreitet, an der schweren Straftat beteiligt gewesen zu sein und nicht anlasslos (sondern aufgrund der politischen Verbindungen naheliegend) vorträgt, ihm sei die Straftat in die Schuhe geschoben worden, das Gericht nicht verpflichtet ist, eigene Ermittlungen anzustellen“, 13 lässt sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten, weil es hierfür ausschlaggebend auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt.
3. Soweit sich aus dem Zulassungsvorbringen sinngemäß auch die Rüge eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör entnehmen lassen sollte (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), weil das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verletzt habe, kann auch dies nicht zur Zulassung der Berufung führen.
Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Insbesondere gibt Art. 103 Abs. 1 GG den am Prozess Beteiligten keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2017 – 13a ZB 16.30368 – juris Rn. 5 m.w.N.). Aufklärungspflichten, die über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, sich zudem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt zu äußern, sind, auch wenn sie im einfachen Prozessrecht verankert sind, nicht von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör umfasst (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 9 ZB 18.32680 – juris Rn. 16).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).