Aktenzeichen M 21 K 17.33198
Leitsatz
1 Steht – wie im Falle der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet – nur eine Instanz zur Verfügung, verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Angesichts der hohen Hepatitis-B-Prävalenz in Nigeria handelt es sich bei dieser dort weit verbreiteten Krankheit um eine allgemeine Gefahr iSv § 60 Abs. 7 S. 5 AufenthG, die eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG erfordern würde. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klagen werden als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klagen konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klagen sind zwar zulässig, aber insgesamt offensichtlich unbegründet.
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids vom 3. Februar 2017 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben sind die Klagen insgesamt als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes liegen offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Das schon nicht asylrelevante Vorbringen der Klägerin zu 1. ist überdies insgesamt in wesentlichen Punkten unsubstantiiert und teils (in sich) widersprüchlich. Es kann ihr daher nicht abgenommen werden. Dieses Vorbringen hat diese Klägerin zugleich unglaubwürdig gemacht. Im Einzelnen:
In der Bundesamtsanhörung hat die Klägerin zu 1. im Kern (nur) einen angeblichen Zwang zu Lasten des Lebensgefährten, der „Society cultism“ beizutreten, geltend gemacht. Dieses Vorbringen ist für die Klägerinnen offensichtlich nicht asylrelevant. Es wäre deshalb schon Sache des Bundesamts gewesen, die Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
Wenn das Verfolgungsvorbringen der Klägerin zu 1. wahr wäre, hätte sie dazu bereits in der Bundesamtsanhörung datums- und umstandsgenaue Angaben machen können und müssen. Sie hätte dann damals auch angeben können und müssen, wann genau sie Nigeria verlassen hat. Ihre diesbezügliche, ausflüchtende Einlassung in der mündlichen Verhandlung, sie sei damals krank gewesen, widerspricht ihrer damaligen Angabe beim Bundesamt, es gehe ihr gesundheitlich gut.
Wenn das Verfolgungsvorbringen der Klägerin zu 1. wahr wäre, hätte sie ihre drei Kinder auch nicht bei der Schwester ihres Mannes in Nigeria gelassen. In der Bundesamtsanhörung hat sie als Grund für dieses angebliche Vorgehen angegeben, die Reise nach Libyen wäre für diese Kinder zu stressig gewesen. Dagegen hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung erstmals als vermeintliche Erklärung für ihr Verhalten präsentiert, sie habe die Kinder zurückgelassen, weil sie nichts zu essen gehabt hätten.
Da das Asylverfahren des Lebenspartners der Klägerin zu 1., mit dem sie hier nach eigenen Angaben zusammenlebt, nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung negativ abgeschlossen worden ist, ist für die Rückkehrprognose der Klägerinnen in der Tat von ihrer gemeinsamen Rückkehr mit dem Lebenspartner der Klägerin zu 1. auszugehen (vgl. nur BVerwG, B.v. 12.4.2001 – 1 B 124/01 – juris Rn. 2 m.w.N.). Da die Klägerin zu 1. schon in Libyen und Italien für das Auskommen der Klägerinnen gesorgt hat, spricht nichts dafür, dass ihr dies gemeinsam mit ihrem Lebenspartner nicht auch wieder in Nigeria gelingen könnte.
Es besteht auch darüber hinaus – unter Berücksichtigung sämtlicher Stellungnahmen zum Gesundheitszustand der Klägerinnen – kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines nationalen Abschiebungsverbots, insbesondere für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Ausgehend davon, dass die Klägerin zu 1. an einer (chronischen) Hepatitis-B-Infektion leidet, ist angesichts der hohen Hepatitis-B-Prävalenz in Nigeria (vgl. nur https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5062798/pdf/tropmed-95-902.pdf: 12,2%) festzuhalten, dass es hinsichtlich dieser dort weit verbreiteten Krankheit um eine allgemeine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG handelt, die eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG erfordern würde (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1998 – 9 C 13/97 – juris Leitsatz 1; BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 9), die jedoch nicht existiert. Dafür, dass insbesondere die Klägerin zu 1. – was von Verfassungs wegen eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ermöglichen würde – „sehenden Auges“ dem Tod ausgeliefert würde, spricht nichts.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).