Aktenzeichen M 21 S 17.32929
Leitsatz
Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Sierra Leone, dem angeblichen Herkunftsland des Antagstellers, allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. Eine extreme Gefahrenlage ist für einen voll erwerbsfähigen jungen Mann, der eine Ausbildung zum Automechaniker absolviert und bis zu seiner Ausreise in diesem Beruf gearbeitet hat, nicht anzunehmen. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, der sich nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere befindet, ist nach eigenen Angaben ein am 22. August 1992 geborener sierra-leonischer Staatsangehöriger.
Er ist am 28. November 2014 auf dem Landweg von Frankreich kommend nach Deutschland eingereist und hat am 16. April 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt.
Bei seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt am 3. November 2016 führte er aus, er habe bis zu seiner Ausreise in Daru gelebt. Er habe dort als Automechaniker gearbeitet. Seine wirtschaftliche Situation sei aber sehr schlecht gewesen. Er habe sich nicht dasselbe leisten können wie andere. Er habe kein eigenes Mofa und kein Auto gehabt. Aufgewachsen sei er in Nigeria bei seiner Tante. Erst mit zwölf Jahren sei er zu seinem Vater nach Sierra Leone. Von dort geflohen sei er schließlich, weil sein Vater ihn habe umbringen wollen. Er habe ihn opfern wollen für ein Ritual. Sein Vater habe eine neue Frau geheiratet, die der Teufel sei. Sie habe ihm klar und deutlich gesagt, dass sie ihn opfern wollten. Der Antragsteller habe sogar die Vorbereitungen dafür gesehen. Er habe aber nicht zur Polizei gehen können, weil nicht jeder das könne und er auch nicht gewusst habe, was er dort erzählen solle. Außerdem hätten ihm seine Gedanken gesagt, dass sie ihm nicht glauben würden. Auch habe er nicht in einer andere Stadt in Sierra Leone gehen können, weil sein Vater und seine Frau ihn überall mit Juju finden könnten. Sie würden ihn umbringen.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2017, zur Post gegeben am 3. Februar 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigten sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes jeweils als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 1 Satz 1 AufenthG und drohte dem Antragsteller unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung die Abschiebung nach Sierra Leone oder in ein anderes zur Aufnahme des Antragstellers bereites oder verpflichtetes Land an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde schließlich auf 60 Monate befristet. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, aus dem Sachvortrag des Antragstellers sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Der Sachvortrag hinsichtlich der möglichen Übergriffe durch seinen Vater sei vage, unsubstantiiert und wenig plausibel. Zudem hätte der Antragsteller staatliche Schutzmaßnahmen in Anspruch nehmen können. Der Vortrag des Antragstellers erscheine als Konstruktion, die sein wahres Schicksal verschleiere. Es sei noch nicht einmal ersichtlich, ob er überhaupt sierra-leonischer Staatsangehöriger sei, da er selbst einfache Fragen zu seinem Heimatort und seinem Heimatland nicht habe beantworten können.
Hiergegen erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 13. Februar 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom 2. Februar 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG festzustellen (M 21 K 17.32928).
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine angekündigte Begründung erfolgte nicht.
Das Bundesamt hat die Akten mit Schreiben vom 5. Februar 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zum Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers vor dem Bundesamt liegen die Voraussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vor. Asylerhebliche Gesichtspunkte sind weder vorgetragen noch auch nur im Mindesten ersichtlich, zumal das Bundesamt zu Recht an der sierra-leonischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers gezweifelt hat. Das Vorbringen des Antragstellers ist widersprüchlich und derart inhaltsarm, dass es ihm nicht abgenommen werden kann. Der Antragsteller kann selbst einfach Fragen zu seinem Herkunftsort oder zu Sierra Leone selbst nicht beantworten und flüchtet sich nach mehrfachen Vorhalten diesbezüglich in den Vortrag, er sei in Nigeria aufgewachsen und erst mit zwölf Jahren nach Sierra Leone verzogen. Selbst und erst recht dann hätte er aber Fragen zu seinem Heimatort, etwa ob ein Fluss in der Nähe sei oder ein großer Arbeitgeber, beantworten können müssen.
Überdies ist auch der Vortrag zu seinem Verfolgungsschicksal dünn. Er hat hierzu lediglich vorgetragen, dass sein Vater und dessen Frau ihn opfern wollten und entsprechende Vorbereitungen getroffen hätten. Weder führte er aus, auf welche Weise, wann oder wo dies geschehen sollte noch welcher Art die Vorbereitungen waren, die er gesehen haben will.
Selbst als wahr unterstellt vermag das Vorbringen des Antragstellers aber keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes zu begründen. Zu Recht weist insoweit das Bundesamt darauf hin, dass der Kläger zum einen um staatlichen Schutz hätte ersuchen können, zum anderen aber auch in einer anderen Stadt in Sierra Leone zumutbar Schutz hätte finden können.
Es besteht darüber hinaus auch kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines Abschiebungsverbots. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Sierra Leone allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann wie dem Antragsteller nicht anzunehmen, zumal er nach eigenen Angaben eine Ausbildung zum Automechaniker absolviert und bis zu seiner Ausreise in diesem Beruf gearbeitet hat.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).