Verwaltungsrecht

Ablehnung des Asylantrags einer Familie aus der Ukraine

Aktenzeichen  W 7 K 16.30541

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Sind die Kläger ukrainische Staatsangehörige oder hatten sie als Staatenlose ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine, so stellt das Bundesamt zutreffend auf die Ukraine als maßgebliches Herkunftsland nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ab.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist den Klägern zuzumuten, sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Ukrainische Staatsbürger, Ausländer, Staatenlose und Flüchtlinge, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine haben, haben Anspruch auf soziale Unterstützung seitens des Staates; auch für Rückkehrer ist für eine knapp ausreichende Grundversorgung gewährleistet.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 22. April 2016 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Denn die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG noch einen solchen auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 -, InfAuslR 1991, 94; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 113).
Das Gericht folgt den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im angegriffenen Bescheid und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:
Das Bundesamt hat im angegriffenen Bescheid zutreffend auf die Ukraine als maßgebliches Herkunftsland nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgestellt. Denn die Kläger sind entweder ukrainische Staatsangehörige oder hatten als Staatenlose ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine.
Es wäre den Klägern zuzumuten, sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen. Denn mit dem ukrainischen Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) steht eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung gewährleistet. Im Übrigen haben ukrainische Staatsbürger, Ausländer, Staatenlose und Flüchtlinge, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine haben, Anspruch auf soziale Unterstützung seitens des Staates. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Januar 2016) ist auch für Rückkehrer eine knapp ausreichende Grundversorgung gewährleistet.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Auch insoweit steht den Klägern eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Ergänzend wird auch im Hinblick auf den subsidiären Schutz auf die Gründe des angegriffenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), denen das Gericht folgt. Dort wurde die Lage in der Ostukraine zutreffend beurteilt.
3. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich. Wie oben ausgeführt ist auch für Rückkehrer eine knapp ausreichende Grundversorgung des Staates gewährleistet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerinnen zu 1) und 3) einer besonderen medizinischen Versorgung bedürften, die in der Ukraine für sie nicht erreichbar wäre.
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG). Die Ausreisefrist entspricht den gesetzlichen Vorgaben des § 38 Abs. 1 AsylG. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung in Ziffer 6 des Bescheids bestehen ebenfalls keine Bedenken. Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

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