Verwaltungsrecht

Ablehnung Wiedereinsetzungsantrag – Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 1 K 16.30886

Datum:
30.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 56 Abs. 2, § 58 Abs. 1, § 60
AsylG AsylG § 3, § 4, § 31 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Auch bei einem Ausländer, der eine Frist versäumt, beurteilt sich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand danach, ob ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat. (redaktioneller Leitsatz)
2 Versäumt ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer eine Rechtsmittelfrist, so verbieten es die Rechtsschutzgarantien der Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG die Versäumung dieser Frist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen des Ausländers beruht, als nicht unverschuldet im Sinne des Rechts auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ausgangspunkt für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist die Frage, ob dem Schutzsuchenden in dem Land seiner Staatsangehörigkeit Verfolgung droht. Dagegen ist es unerheblich, ob er in einem Drittstaat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Verfolgung befürchten muss. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Beschluss:
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist bereits unzulässig, darüber hinaus auch unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 3. Mai 2016 ist – soweit er Gegenstand dieser Klage ist – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist unzulässig, weil sie nach Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist erhoben wurde und somit verfristet ist, § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes wurde gemäß § 56 Abs. 2 VwGO, § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO am 6. Mai 2016 einem zum Empfang desselben ermächtigten Vertreter in der Asylbewerberunterkunft in der … Straße …, in der der Kläger zu wohnen verpflichtet war, übergeben und damit rechtmäßig zugestellt. Der Bundesamtsbescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, die gemäß § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG auch in der Sprache Persisch beigefügt war, die der Kläger beherrscht, § 58 Abs. 1 VwGO. Die sonach einzuhaltende zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG begann am 7. Mai 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des 23. Mai 2016, § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Die beim Verwaltungsgericht Würzburg am 1. Juli 2016 erhobene Klage ist somit verfristet.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt vorliegend nicht in Betracht. Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Verschuldet i. S. des § 60 Abs. 1 VwGO ist eine Fristversäumung dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (BVerwG, B. v. 23.2.1996 – 8 B 28/96 – juris Rn. 1 m. w. N.). Auch bei einem Ausländer, der eine Frist versäumt, beurteilt sich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand danach, ob ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat. Dabei sind seine Sprachschwierigkeiten zu berücksichtigen. Versäumt ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer eine Rechtsmittelfrist, so verbieten es die Rechtsschutzgarantien der Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG die Versäumung dieser Frist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen des Ausländers beruht, als nicht unverschuldet im Sinne des Rechts auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen. Unzureichende Sprachkenntnisse entheben den Ausländer allerdings nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte (BVerfG, E. v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91, 2 BvR 254/92 – juris Rn. 20). Gemessen hieran hat der Kläger die Klagefrist nicht unverschuldet versäumt. Er hat insoweit vorgetragen, er habe, nachdem er selbst der deutschen Sprache nicht mächtig sei, den Bundesamtsbescheid einem Flüchtlingsbetreuer der Stadt Würzburg gezeigt mit der Bitte, ihm den Inhalt des Schreibens zu erklären. Dieser habe ihm gesagt, dass es sich um eine Asylanerkennung handele und er einen Reisepass sowie einen Aufenthaltstitel für drei Jahre erhalten werde. Später habe er dann von der Ausländerbehörde erfahren, dass er lediglich den subsidiären Schutzstatus erhalten habe, ihm kein Reiseausweis ausgestellt werde und er lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erhalte. Hätte er eine korrekte rechtliche Beratung erhalten, so hätte er rechtzeitig Klage erhoben.
Nach Auffassung des Gerichts waren die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse des Klägers bereits nicht kausal für die Versäumung der Klagefrist. Der Kläger hat nämlich zeitgleich mit dem Bescheid des Bundesamtes ein Merkblatt erhalten, das eingehend über die Rechte und Pflichten des subsidiär Schutzberechtigten informiert. Dieses Merkblatt war in persischer Sprache abgefasst, vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz AsylG, die der Kläger beherrscht. Aus dem Merkblatt ergibt sich – neben zahlreichen weiteren Informationen über Rechte und Pflichten in Deutschland – bereits, dass der Kläger zunächst nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erhält. Ebenso wird in dem Merkblatt – insbesondere unter der Rubrik „5.) Residenzpflicht/Freizügigkeit“ – die Ausstellung eines Reiseausweises nicht erwähnt. Der Kläger war somit über seine Rechte als subsidiär Schutzberechtigter vollumfänglich in einer für ihn verständlichen Sprache informiert. Zudem ist bereits dem Wortlaut der Tenorierung des Bundesamtsbescheides sowie der Überschrift des erwähnten Merkblattes zu entnehmen, dass der Kläger nur den subsidiären Schutzstatus zuerkannt bekommen hat; von einer Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung ist dort nicht die Rede.
Unabhängig davon hat der Kläger im Rahmen der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht nicht alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen, um sich über den Inhalt des Bundesamtsbescheides Klarheit zu verschaffen. So hat der Kläger es bereits unterlassen, den Bescheid des Bundesamtes sowie das Merkblatt – soweit diese in persischer Sprache verfasst waren – überhaupt zu lesen, wie er in der mündlichen Verhandlung erklärt hat. Dabei handelt es sich jedoch um das Minimum, was von dem Kläger erwartet werden musste. Er hat sich vielmehr allein auf die Aussage eines Flüchtlingshelfers der Stadt Würzburg verlassen, welcher – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – nur die erste Seite des Bundesamtsbescheides gelesen hat. Allein dies hätte den Kläger veranlassen müssen, den Bescheid selbst zu lesen, was dann auch einen Widerspruch zwischen der Aussage des Flüchtlingshelfers (sofern so erfolgt, wie der Kläger vorträgt) und dem Inhalt des Bescheides/Merkblattes zu Tage gefördert hätte (vgl. oben). Spätestens dies hätte den Kläger veranlassen müssen, eine rechtliche Beratung durch eine hierzu geeignete Person einzuholen, was gerade in einer Stadt der Größe Würzburgs auch unproblematisch innerhalb der Klagefrist möglich ist.
Des weiteren war der vom Kläger hinsichtlich des Inhalts seines Bescheides befragte Flüchtlingshelfer Herr M. für Rechtsauskünfte erkennbar ungeeignet. Die Stadt Würzburg hat diesbezüglich auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, dass das Aufgabengebiet des Herrn M. lediglich die alltägliche Betreuung und Begleitung umfasse und dessen Arbeitsgebiet dort ende, wo das Tätigkeitsfeld Dritter beginne. Herr M. erinnere sich noch gut an das seinerzeitige Gespräch mit dem Kläger, in dem er diesem eine allgemeine Darstellung der Grundsätze des Asylverfahrens in Deutschland übermittelt sowie deutlich beigefügt habe, dass der Kläger sich in rechtlichen Angelegenheiten sein persönliches Asylverfahren betreffend verbindlich von der zuständigen Asylsozialberatung bzw. von einem Rechtsanwalt beraten lassen könne. Herr M. habe keine konkrete Rechtsberatung erteilt oder auch nur ansatzweise rechtliche Wertungen vorgenommen. Das diesbezügliche pauschale Bestreiten des Klägers wertet das Gericht als Schutzbehauptung und geht davon aus, dass der genannte Flüchtlingsbetreuer für den Kläger eine erkennbar ungeeignete Person für die Erteilung verbindlicher Rechtsauskünfte zu seinem Asylverfahren darstellte und er es unterlassen hat, fristgerecht rechtskundige Hilfe in Anspruch zu nehmen, was zu seinen Sorgfaltspflichten im Asylverfahren gehört hätte.
Der Kläger hat damit die Klagefrist nicht unverschuldet versäumt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist somit nicht möglich und die erhobene Klage verfristet und damit unzulässig.
Darüber hinaus ist die Klage auch unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG hat.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i. S. d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der ab 6. August 2016 geltenden, durch Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939 ff.) geschaffenen Fassung anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Ausgangspunkt für die Prüfung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht, ist die Frage, ob ihm in dem Land seiner Staatsangehörigkeit Verfolgung droht. Dagegen ist es unerheblich, ob er in einem Drittstaat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Verfolgung befürchten muss. Denn eines Schutzes vor Verfolgung bedarf es zur Erreichung des mit § 3 AsylG verfolgten Zieles nicht, wenn derjenige, der in einem Drittstaat verfolgt worden ist, den Schutz des Staates in Anspruch nehmen kann, dem er angehört (vgl. BVerwG, U. v. 18.10.1983 – 9 C 158.80 – BVerwGE 68, 106). Der Kläger ist aufgrund seines eigenen Vortrages afghanischer Staatsangehöriger. Gründe, dies in Zweifel zu ziehen, bestehen vorliegend nicht. Eine Prüfung des § 3 AsylG erfolgt daher nur insoweit, ob dem Kläger in Afghanistan beachtliche Gefahren drohen, nicht jedoch in Bezug auf den Iran. Insofern kommt dem klägerischen Vortrag vor dem Bundesamt, wonach der iranische Staat versucht habe, seinen Bruder für den Syrien-Krieg zwangsweise zu rekrutieren und dem Kläger im Falle der Flucht seines Bruders dasselbe Schicksal anstelle seines Bruders gedroht hätte, für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung zu, da dieser Vortrag in keiner Hinsicht geeignet ist, eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan zu begründen. Der Kläger kann sich auch nicht auf die Vermutungsregelung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie berufen, wonach bei einem vorverfolgt ausgereisten Kläger vermutet wird, dass die Verfolgungsfurcht i. S. d. § 3 AsylG im Falle einer Rückkehr begründet ist bzw. der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden i. S. d. § 4 AsylG zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen im Einzelfall gegen diese Annahme. Denn die vom Bundesamt festgestellte Gefahr eines ernsthaften Schadens betreffend die individuelle Situation des Klägers im Iran weist wesentliche Unterschiede zu den im Heimatstaat befürchteten Verfolgungsmaßnahmen auf und ist unter wesentlich abweichenden politischen Verhältnissen erfolgt. Der innere Grund für die Anwendung der Vermutungsregel des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie entfällt, wenn die in der Vergangenheit liegende Verfolgung sich wesentlich von den in der Zukunft befürchteten Nachstellungen unterscheidet oder keinerlei Verbindung mit diesen aufweist, weil sich in diesem Fall die beendete Verfolgung nicht als wiederholungsträchtig erweist und daher kein erhöhtes Risiko auslöst (vgl. BVerwG, a. a. O.). Die Gefahr, dass der Kläger zwangsweise nach Syrien geschickt würde, um im dortigen Bürgerkrieg zu kämpfen, stellt sich allein im Iran, nicht jedoch in Afghanistan, wo entsprechende Berichte über eine solche Gefahr nicht existieren bzw. auch von Klägerseite nicht vorgetragen wurden.
Auch betreffend Afghanistan hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG. Vor dem Bundesamt hat der Kläger im Rahmen der Frage nach seinen Asylgründen und seinem Verfolgungsschicksal seine Erlebnisse im Iran eingehend geschildert; betreffend Afghanistan hat der Kläger eine individuelle Verfolgung nicht vorgetragen, sondern nur pauschal darauf verwiesen, dass Hazara in Afghanistan Schwierigkeiten bekommen würden. Auch auf Hinweis des Gerichts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, dass allein auf eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan abzustellen ist, hat der Kläger keine individuelle Verfolgungsgefahr vorgetragen. Er hat vielmehr nur erklärt, nie einen afghanischen Ausweis besessen zu haben und keinerlei Sprachkenntnisse in Dari zu besitzen. Zudem sei er aufgrund einer politischen Verfolgung seines Vaters nie in Afghanistan gewesen und Schiiten sowie Hazara hätten in Afghanistan keinen Lebensraum. Im Rahmen seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger sodann vorgetragen, dass er in Afghanistan als Hazara und Schiite wahrscheinlich getötet würde, da diese dort verfolgt würden. Darüber hinaus hat er erklärt, dass seine Familie vor 30 Jahren Afghanistan habe verlassen müssen, da sein Vater und sein Großvater eine Gruppe von Hazara gebildet hätten, die gegen die Kommunisten und die Kuchis Krieg geführt habe. Es seien sodann Konflikte mit anderen Gruppen ausgebrochen, in deren Verlauf dem Vater und dem Großvater vorgeworfen worden sei, dass sie von Amerika unterstützt würden, woraufhin der Großvater erschossen und der Vater festgenommen worden sei, so dass man sich aufgrund der bestehenden Lebensgefahr für die Familie zur Flucht in den Iran entschlossen habe.
Diesem Vorbringen kann eine individuelle Verfolgungsgefahr, die gerade dem Kläger persönlich – über seine Zugehörigkeit zur Gruppe der Hazara und der Schiiten hinaus – droht, nicht entnommen werden. Insbesondere ergibt sich eine solche nicht aus seinem Vorbringen hinsichtlich der Flucht der Familie aus Afghanistan vor rund 30 Jahren. Der Kläger hat insoweit nichts dazu vorgetragen, warum die Gründe, die zur Verfolgung seines Vaters sowie seines Großvaters geführt haben – wenn man diese als wahr unterstellen würde – für den Kläger persönlich bei seiner Rückkehr nach Afghanistan noch eine Gefahr darstellen sollten. Eine derartige Gefahr erscheint, nachdem die Familie seit rund 30 Jahren nicht mehr in Afghanistan ansässig ist, auch in keiner Weise lebensnah nachvollziehbar. Zudem ist der Kläger, der sein gesamtes bisheriges Leben im Iran verbracht hat, in Afghanistan auch nicht bekannt, so dass er – etwa von den Taliban – auch nicht als Sohn eines etwaig mit den Amerikanern in Verbindung stehenden Vaters erkannt würde. Unabhängig davon erscheint der klägerische Vortrag zu den fluchtauslösenden Ereignissen seiner Familie vor rund 30 Jahren aber auch in keiner Weise hinreichend substantiiert, detailliert und wirklichkeitsnah, um diesen dem Kläger glauben zu können. Das Vorbringen erweist sich vielmehr auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die vorgetragenen Ereignisse sehr lange Zeit zurückliegen, als ausgesprochen oberflächlich, ohne dass sie vom Kläger zeitlich, örtlich oder hinsichtlich lebensnaher Einzelheiten zu den Vorgängen und Beweggründen näher eingeordnet würden. Dies erscheint umso unverständlicher, da davon auszugehen ist, dass die Eltern des Klägers sicherlich eingehend über die diesbezüglich einschneidenden Erlebnisse berichtet haben. Zudem ist aus dem Vortrag auch kein Anknüpfungspunkt an einen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe ersichtlich. Schließlich besteht ein unauflösbarer Widerspruch zur Aussage seines Bruders, dem Kläger im Verfahren W 1 K 16.30885, in der mündlichen Verhandlung dahingehend, dass der Kläger im hiesigen Verfahren erklärt hat, dass sein Vater verhaftet und sein Großvater erschossen worden sei, während sein Bruder vorgetragen hat, dass sowohl der Vater als auch der Großvater verhaftet worden seien; von der Tötung des Großvaters hat der Bruder nichts berichtet. Dass der Bruder die Ermordung des Großvaters – einem besonders bedeutsamen und einschneidenden Vorkommnis – überhaupt nicht erwähnt hat, lässt vorliegend nach Auffassung des Gerichts nur den Schluss zu, dass diese tatsächlich nicht stattgefunden hat. Der Kläger kann aufgrund dessen nicht als glaubwürdig angesehen werden.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, unterliegen Hazara und Schiiten in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung; sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft jedoch keiner an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt (BayVGH, U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris; U. v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045 – juris; B. v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris). Auch durch den neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Zwar wird darin berichtet, dass sie Hazara in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert seien. Auch gesellschaftliche Spannungen bestünden fort und lebten in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Zudem sei es im Jahre 2015 zu Entführungen von Hazara mit Todesfällen gekommen. Insgesamt habe sich jedoch die Lage der insbesondere unter der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Zwar habe zum schiitischen Ashura-Fest am 6. Dezember 2011 eine der schwersten Anschlagserien der letzten Jahre stattgefunden, bei denen 60 Menschen getötet und etwa 200 verletzt worden seien. Eine längerfristige Auswirkung dieser Ereignisse auf das nicht ganz spannungsfreie, aber insgesamt doch verträgliche Zusammenleben der Ethnien und Religionen habe jedoch nicht beobachtet werden können. 2015 sei das Ashura-Fest in Afghanistan friedlich verlaufen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 6.11.2015, S. 11 f.). Die Verfolgungshandlungen, denen die Hazara und die Schiiten ausgesetzt sind, verfügen somit nach Auffassung des Gerichts nicht über die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte.

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