Aktenzeichen M 15 S 16.31723
Leitsatz
Die Abschiebung eines Minderjährigen in den Kosovo ist trotz der dort herrschenden schwierigen Lebensverhältnisse möglich, wenn er vor Eintritt der Volljährigkeit gemeinsam mit seinen Eltern abgeschoben wird. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Bezüglich des Sachverhalts nimmt das Gericht Bezug auf die Darstellung im angegriffenen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 16. Juni 2016, der es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Antragsteller hat am 24. Juli 2016 Klage zum Verwaltungsgericht … erheben und beantragen lassen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Juni 2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen bzw. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse bestehen.
Gleichzeitig wurde gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der angeordneten Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller noch minderjährig sei und nicht alleine in den Kosovo ausreisen bzw. dorthin abgeschoben werden könne. Im Übrigen dürfe der Fall des Antragstellers nicht allein betrachtet werden, sondern müsse gemeinsam mit seinen Familienangehörigen gesehen werden, die in ihren jeweiligen Asylverfahren viele Angaben zur spezifischen Verfolgung und Diskriminierung gemacht hätten. So sei etwa die Mutter des Antragstellers Opfer einer Vergewaltigung geworden, obwohl ursprünglich die Schwester des Antragstellers als Opfer ausgesucht gewesen sei. Beide seien selbstmordgefährdet. Die gesamte Familie habe aufgrund des Erlebten kein Vertrauen in ihre Sicherheit im Kosovo.
Die Antragsgegnerin hat die Akten vorgelegt ohne sich in der Sache zu äußern.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts … vom 12. Juli 2016 wurden das Klage- und das Eilverfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Verwaltungsgericht … verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakte sowie die Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie im Klageverfahren (…) Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Gemäß Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts – insbesondere am Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts – bestehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Dies ist nicht anzunehmen, wenn eine hohe Gewissheit dafür spricht, dass ein materieller Asylanspruch nicht verletzt wird (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff, Rn. 94 ff.).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zum einen die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht bestehe sowie die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43 ff.). Letzteres ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; BVerfG, B. v. 10.7.1997 – 2 BvR 1291/96 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung des Bundesamts. Weder sind die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, für eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG, noch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG gegeben. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor. Nach § 29a AsylG ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sog. sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn die von dem Ausländer angegeben Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Der Antragsteller stammt aus dem Kosovo, einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. Anlage II zu § 29a AsylG). Nach § 29a AsylG i. V. m. Art. 16 Abs. 3 Satz 1 GG wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht politisch verfolgt wird, es sein denn, die von ihm angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsland politische Verfolgung droht. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Vortrag des Antragstellers nicht die Anforderungen zur Erschütterung dieser Regelvermutung erfüllt.
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid, auch in Bezug auf die Ablehnung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) sowie von Abschiebungshindernissen (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes, wonach die Regierung öffentlich für Toleranz und Respekt gegenüber ethnischen Minderheiten (Roma, Ashkali, Ägypter) eintritt (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo/Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 9.12.2015, Stand: September 2015, Seite 9).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach der Auskunftslage davon auszugehen ist, dass die Republik Kosovo im Allgemeinen willens und in der Lage ist, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, wenngleich ein lückenloser Schutz nicht möglich ist (VG München, B. v. 13.6.2016 – M 16 S 16.30784 – juris Rn. 23). Dies gilt auch für die vom Antragsteller behaupteten Übergriffe Dritter.
Der vorliegende Eilantrag des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung.
E ist auch davon auszugehen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht auf sich alleine gestellt ist bzw. allein und ohne Unterstützung bleibt. Die Gewährleistung des Existenzminimums und der notwendigen medizinischen Versorgung ist über die (Groß-)Familie (u. a. der Großvater lebt noch im Kosovo) sowie durch die Möglichkeit der Erlangung von Sozialleistungen grundsätzlich gesichert (VG Oldenburg, B. v. 8.1.2016 – 5 B 4510/15 – juris; VG Bremen, B. v. 5.1.2016 – 5 V 2543/15 – juris; VG Würzburg, B. v. 20.1.2016 – W 6 S 16.30045 – juris).
Nach der vorliegenden Erkenntnislage ist unter der Voraussetzung der Registrierung am Wohnort sowohl der Zugang zu einer das Existenzminimum sichernden Sozialhilfe als auch zur nötigen medizinischen Versorgung gegeben. Bei der Registrierung gibt es verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo vom 9.12.2015, Stand: September 2015, S. 11 f., 13 und 28).
Das Gericht verkennt auch nicht die schwierigen Lebensverhältnisse im Kosovo. Diese betreffen jedoch jeden Kosovaren bzw. jede Kosovarin in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Zu den vorgetragenen Erkrankungen der am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Mutter sowie der Schwester des Antragstellers ist anzumerken, dass derartige Gründe für den Antragsteller keine zielstaatsbezogenen, sondern – bezogen auf die Wahrung der Familieneinheit – allenfalls inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind, die im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen sind. Vielmehr ist die Ausländerbehörde zuständig, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen. Die Vermeidung der Trennung der Familie ist ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Das Gericht geht davon aus, dass der Antragsteller vor Eintritt der Volljährigkeit nicht allein und ohne seine Eltern abgeschoben wird und dass die Vorgaben von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK seitens der Ausländerbehörde beachtet werden (vgl. VG München, U. v. 15.1.2016 – M 15 K 15.30647 – juris; BayVGH, B. v. 4.2.2016 – 10 CE 16.222 – juris).
Sofern sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG richten sollte, wäre er mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil sich die Rechtsstellung des Antragstellers bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht verbessern würde, da in diesem Fall das Einreise- und Aufenthaltsverbot unbefristet gelten würde (vgl. VG Oldenburg, B. v. 8.1.2016 – 5 B 4510/15 – juris; NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – NVwZ-RR 2016, 276). Abgesehen davon sind Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Befristung rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen könnte, weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Im Übrigen bliebe die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung ohnehin unberührt (§ 36 Abs. 4 Satz 11 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).