Verwaltungsrecht

Abschiebung eines somalischen Lehrers wegen unglaubhaften Sachvortrages bezüglich der Bedrohung durch die Al-Shabaab

Aktenzeichen  Au 2 K 17.30323

Datum:
14.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60 Abs. 2 S. 1, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AslyG § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 3c, § 3d Abs. 2, § 3e Abs. 1, Abs. 4, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 34 Abs. 1
AuslG AuslG § 53 Abs. 4
EMRK EMRK Art. 3
Richtlinie 2011/95/EG Art. 15 lit. b

 

Leitsatz

1. Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund des nicht nachvollziehbaren Sachvortrages des Klägers, der die Bedrohung durch die Al-Shabaab während seiner Arbeit als Lehrer in einer Privatschule in Somalia nicht glaubhaft machen konnte.     (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Konflikt in der Herkunftsregion Mogadischu erreicht derzeit nicht (mehr) eine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, sodass kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG besteht. (Rn. 25 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die allgemeine schlechte Versorgungslage in Somalia führt nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2017 entschieden werden, obwohl kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. In der form- und fristgerecht erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung war darauf hingewiesen worden, dass auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf die Gewährung subsidiären Schutzes, noch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind nicht erfüllt. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befin 12 det, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylsuchenden kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.71989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3).
Dabei ist es Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss beurteilen, ob das Vorbringen des Schutzsuchenden glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen (BVerwG, B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 -juris Rn. 2; B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – juris Rn. 8).
Nach diesen Maßstäben kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen. Dem Kläger ist es nicht gelungen, dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, dass er Somalia unter dem Druck bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung verlassen hat. Der Vortrag des Klägers erscheint insgesamt sehr vage, oberflächlich, detailarm und kann damit nicht als glaubhaft eingestuft werden. Auch erscheint es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der in einer relativ großen Privatschule mit einem weitreichendem Einzugsgebiet gearbeitet hat, über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren von der Al-Shabaab unbehelligt leben konnte und erst nach einem vergleichsweise langem Zeitraum von der Al-Shabaab kontaktiert worden ist. Weiter beschränken sich seine Ausführungen zu einer Diskriminierung als Angehöriger der Benadiri auf allgemeine Ausführungen, die genauere Details und Erläuterungen, die die Glaubwürdigkeit des Klägers steigern würden, vermissen lassen. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die zutreffenden Ausführungen hierzu im verfahrensgegenständlichen Bundesamtsbescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Da der Kläger aufgrund einer angeblichen Verhandlungsunfähigkeit, für die er im Nachgang zur mündlichen Verhandlung – trotz Fristsetzung bis zum 10. Juli 2017 – keinen ärztlichen Nachweis erbringen konnte, eine informatorische Anhörung verweigerte, ergaben sich in Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts keine Neuerungen.
Der Kläger hat nach der im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes – AsylG -) auch keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, da die Voraussetzungen der § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen.
Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Schutzgewährung greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt nur auf einen Teil des Staatsgebietes erstreckt (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist bezüglich der anzustellenden Gefahrenprognose auf den Zielort der Abschiebung abzustellen. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer seinem subjektiven Blickwinkel nach strebt. Vielmehr ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ein Abweichen von dieser Regel kann jedenfalls nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ihm Schutz gewähren soll (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O.; B.v. 14.11.2012 – 10 B 22.12 – juris; zur Frage der „tatsächlichen Zielregion“ OVG NW, B.v. 15.10.2012 – 13 A 2010/12.A – juris; VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3177/11 – juris).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) anzunehmen ist (BVerwG, U.v. 24.6.2008, a.a.O.; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris; U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – – juris). Danach genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, U.v. 13.2.2014, a.a.O.). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (BVerwG, U.v. 24.6.2008, a.a.O.). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist (BVerwG, U.v. 17.11.2010, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Gefahrerhöhende individuelle Umstände dieser Art liegen beim Kläger nicht vor.
Fehlen – wie hier – individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.). Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.). Für die individuelle Betroffenheit von der Gefahr bedarf es Feststellungen zur Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, zu umfassen hat, sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.; U.v. 13.2.2014, a.a.O.; NdsOVG, U.v. 7.9.2015 – 9 LB 98/13 – juris). Allerdings sieht das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls ein Risiko von 1:800 (0,125%), in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.).
Gemessen an diesen Kriterien besteht für den Kläger bezogen auf seine Herkunftsregion in Somalia keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Dabei kann offen bleiben, ob in seiner Herkunftsregion Mogadischu noch ein innerstaatlicher Konflikt vorliegt, denn es fehlt an der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben bei einer Rückkehr in den Raum Mogadischu. Die erforderliche Gefahrendichte ist in Mogadischu derzeit nicht (mehr) gegeben.
Die Al-Shabaab übernahm bis Ende 2010 die Kontrolle in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias. Seither unterstützen Truppen der Afrikanischen Union (African Union Mission in Somalia – AMISOM) aus Uganda und Burundi die somalische Übergangsregierung. Im August 2011 zog sich die Al-Shabaab aus Mogadischu zurück -der letzte von der Al-Shabaab gehaltene Distrikt Daynile wurde im Mai 2012 befreit -und kam auch in anderen Landesteilen unter Druck. Im Zuge der im März 2014 begonnenen „Operation Eagle“ und der nachfolgenden „Operation Indian Ocean“ ab September 2014 ist es der somalischen Armee (Somali National Army – SNA) und Truppen der Afrikanischen Union (African Union Mission in Somalia – AMISOM) bis Oktober 2014 gelungen, weitere Städte zu befreien und 80% des somalischen Staatsgebiets unter Kontrolle zu bringen (VG Aachen, U.v. 13.4.2015 – 7 K 711/14.A – juris; VG Stade, U.v. 5.10.2015 – 3 A 3658/13 – juris Rn. 37). Seit 2012 gibt es eine politische Entwicklung in Somalia, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markieren könnte.
Auf dieser Grundlage ist fraglich, ob für die Region Mogadischu, in der es nicht mehr zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, überhaupt noch das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu bejahen ist. Allerdings wird der erreichte Zustand in nahezu allen Berichten als fragil bezeichnet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Somalia: Sicherheitssituation in Mogadischu, Stand: 25.10.2013, m.w.N.; EASO, Country of Origin Information report: South and Central Somalia – Country Overview, Stand: August 2014, jeweils abrufbar im Internet) und er kann nur durch den Einsatz ausländischer und internationaler Truppen aufrechterhalten werden. Die Al-Shabaab hat auf die durch das offensive Vorgehen von SNA und AMISOM bewirkten erheblichen Territorialverluste mit einem Wechsel in der Strategie reagiert. Sie präferiert nunmehr eine asymmetrische Kriegführung, die insbesondere gezielte Attentate, den Einsatz von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (sog. IED – Improvised Explosive Device) und überfallartige Angriffe (hit and run) umfasst (VG Aachen, U.v. 13.4.2015, a.a.O.; U.v. 9.11.2015 – 7 K 53/15.A – juris Rn. 68).
Zur allgemeinen Sicherheitslage in Mogadischu und Somalia ist auf die umfassenden Darstellungen in den Urteilen des VG Aachen vom 13. April 2015 (a.a.O., Rn. 34 ff.) und vom 9. November 2015 (a.a.O. Rn. 42 ff.), des VG Stade im Urteil vom 5. Oktober 2015 (3 A 3658/13, a.a.O. Rn. 37 ff.), des VG Regensburg im Urteil vom 8. Januar 2015 (RO 7 K 13.30801 – juris Rn. 18 ff.), des OVG RhPf (U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 33 ff.) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris) zu verweisen. Es ist weder der aktuellen medialen Berichterstattung noch den in das Verfahren eingeführten amtlichen Informationsquellen zu entnehmen, dass seitdem eine wesentliche Änderung der Situation eingetreten wäre. Vielmehr lassen diese auf eine gewisse Stabilisierung schließen (vgl. zuletzt z.B. Frankfurter Rundschau v. 28.10.2015, S. 6 „Ein Hoffnung namens Mogadischu“).
Nach Auswertung der in den vorgenannten Entscheidungen eingeführten Erkenntnismittel ist nicht festzustellen, dass der Konflikt in Mogadischu eine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung erreicht, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Über das allgemeine Risiko hinausgehende, persönliche gefahrerhöhende Merkmale des Klägers wurden nicht vorgetragen und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
Ferner liegen die Voraussetzungen für die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nicht vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezo-gene“ Abschiebungshindernisse).
Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz – und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG – vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Auf-enthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O.). Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht nur bei Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, in Betracht, sondern auch extreme Gefahren, die sich z. B. aus einer katastrophalen Versorgungslage ergeben können, können unter § 60 Abs. 5 AufenthG fallen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 -juris; EGMR, U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi – NVwZ 2012, 681 ff.). Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn nämlich die gegen die Ausweisung sprechenden humanitären Gründe als zwingend anzusehen sind (EGMR, U.v. 28.06.2011, a.a.O.).
Derartige Verhältnisse liegen im Falle der somalischen Hauptstadt Mogadischu nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht vor. Für den Lebenserhalt im wirtschaftlichen Sinne braucht es in erster Linie die Kernfamilie. Der größere Familienkreis wird den Lebenserhalt nur kurzfristig garantieren. Im Fall des Klägers bietet seine nach wie vor in Mogadischu lebende Kernfamilie (Mutter und Vater) ein hinreichendes Unterstützungsnetzwerk. Außerdem gibt es lokale NGOs, die den Neuankömmlingen helfen können (EASO, a.a.O, S. 117 ff.). Zudem unterstützt der UNHCR die Pläne der somalischen Regierung, im Jahr 2015 zehntausend somalische Flüchtlinge aus Kenia im Rahmen einer freiwilligen Rückkehr zurückzuführen und für die Reintegration in neun Distrikten, darunter auch in Mogadischu, zu sorgen (UNHCR Joint Communiqué vom 30.7.2015: Tripartite Commission for the Voluntary Repatriation of Somali Refugees from Kenya, abrufbar im Internet), was ebenfalls für eine hinreichend sichere Rückkehrsituation in Mogadischu spricht.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger nicht angesichts der allgemeinen schlechten Versorgungslage in Somalia. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Insofern folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht dementsprechend von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Familie des Klägers weiterhin in Somalia lebt. Auch wenn der Kläger seit seiner Ausreise nunmehr ca. drei Jahre nicht mehr in seiner Heimat gewesen ist und er mit den dortigen aktuellen Verhältnissen nicht mehr so vertraut sein dürfte, ist davon auszugehen, dass er sich auch in seiner Heimat wieder zurecht finden wird, nachdem er in den vergangenen Jahren vielfältige Lebenserfahrungen in unterschiedlichen Ländern gesammelt hat. Jedenfalls dürfte er auch angesichts der kritischen Lebensbedingungen in Somalia aufgrund seines familiären Hintergrundes und seines Bildungsstandes weder alsbald der Existenzvernichtung noch schwersten Gesundheitsschäden ausgesetzt sein. Der Kläger hat weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass er im Falle einer Rückkehr von der Unterstützung durch seine Familie ausgeschlossen sein sollte. Auch war er in der Lage, nicht unerhebliche finanzielle Mittel für seine Ausreise aufzubringen.
Rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG) und die ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus 83b AsylG.

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