Verwaltungsrecht

Abschiebung eines türkischen Staatsangehörigen nach Finnland

Aktenzeichen  9 ZB 18.50063

Datum:
13.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13908
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, § 80
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Gehörsrüge eines türkischen Staatsangehörigen der die Durchführung des Asylverfahrens begehrt, ist erfolglos, da kein Überraschungsurteil erkennbar ist. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 18.50605 2018-09-11 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Am 2. Februar 2018 wurde für ihn ein vom 8. Februar 2018 bis 8. März 2018 gültiges Schengen-Visum durch die finnische Botschaft in Ankara ausgestellt. Der Kläger gibt an, erst am 11. April 2018 auf dem Landweg aus der Türkei kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein und begehrt, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt und Abschiebungshindernisse feststellt.
Das Bundesamt für … (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 16. April 2018 den Antrag als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Zudem wurde die Abschiebung nach Finnland angedroht. Hiergegen erhob der Kläger Klage und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Mit Beschluss vom 23. August 2018 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Finnland an. Die Klage wurde mit Urteil vom 11. September 2018 abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die vom Kläger angeführte Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist aber nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. Art. 103 Abs. 1 GG enthält darüber hinaus ein Verbot von Überraschungsentscheidungen. Ein unzulässiges „Überraschungsurteil“ liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BayVGH B.v. 9.10.2018 – 9 ZB 16.30738 – juris Rn. 4 m.w.N.). Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht sei entgegen dem glaubhaften Vortrag des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass er unter Verwendung eines Visums in den Schengen-Raum und nicht – wie von ihm vorgetragen – erst einen Monat nach Ablauf der Gültigkeit durch einen illegalen Grenzübertritt eingereist sei. Diese Würdigung sei überraschend und habe dem Kläger die Möglichkeit genommen, Zweifel an seinem Reiseweg ausräumen zu können. Daraus ergibt sich die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs aber nicht.
Abgesehen davon, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 11. September 2018 informatorisch gehört wurde und Gelegenheit zu Ausführungen hatte, ist der Asylbewerber selbst für die Darlegung des Tatsachenvortrags, mithin auch seiner Einreise, verantwortlich (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 34.01 – juris Rn. 5 m.w.N.). Es ist dabei nicht überraschend, dass das Verwaltungsgericht das Begehren des Klägers und die Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamts vom 5. Juni 2018 unter allen rechtlichen Gesichtspunkten prüft und somit – im Rahmen der Prüfung des zuständigen Mitgliedsstaates – auch die Ausführungen des Klägers zu seinem Reiseweg bewertet. Eine Überraschungsentscheidung ergibt sich hieraus nicht, wie im Übrigen auch der Hinweis des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2018 zeigt, „dass es nicht ohne weiteres einleuchtend sei, im Besitz eines Visums dennoch die Ausreise auf dem Landweg in einem LKW durchzuführen“. Eine Pflicht, des Verwaltungsgerichts, den anwaltlich vertretenen Kläger dabei unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten zu beraten, besteht darüber hinaus nicht (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2018 – 9 ZB 18.31866 – juris Rn. 6).
Mit dem pauschalen Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger in einem patriarchalischen Familienverbund lebe, weshalb ihm die Beantragung des Visums durch seinen Vater nicht bekannt gewesen sei, wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts. Damit wird jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen. Gleiches gilt für die bloße Behauptung, der klägerische Vortrag sei glaubhaft, ohne jedoch aufzuzeigen, gegen welche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeinen Erfahrungssätze das Verwaltungsgericht, das seine Ausführungen ausführlich begründet hat, verstoßen haben soll.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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