Verwaltungsrecht

Abschiebung in „Herkunftsstaat“ – Antrag unstatthaft, da kein Regelungscharakter

Aktenzeichen  M 17 S7 17.37029

Datum:
24.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 7
AsylG AsylG § 36 Abs. 3 S. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 59 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Androhung der Abschiebung „in den Herkunftsstaat“ aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit des Antragstellers ohne konkrete Benennung des Ziellandes hat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, dass beabsichtigt sei, den Betroffenen in den Staat abzuschieben, aus dem dieser stamme, sobald dieser Staat ermittelt sei. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Angehöriger der Volksgruppe der … und stammt ursprünglich aus … Er reiste im November 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 29. August 2016 Asylantrag.
Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Februar 2017 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass er … mit seinem Vater verlassen und nach Indien gereist sei, als er vier Jahre alt gewesen sei. Nach ca. sieben Jahren seien sie nach Pakistan gegangen. Als sein Vater nach etwa fünf Jahren gestorben sei, sei er in die Türkei gereist und habe etwa vier Jahre in … gearbeitet. Sein Vater habe … verlassen und sei nicht zurückgegangen. Wenn man zurückgehe, werde man umgebracht.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2017, zugestellt am 3. März 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung in den Herkunftsstaat oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Die Würdigung aller Umstände, vor allem der Angaben des Ausländers in der persönlichen Anhörung, führe nicht zu der Überzeugung, dass er die …ische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze. Der Ausländer habe keine Personaldokumente vorlegen können und sei nicht einmal in der Lage gewesen, einfachste Fragen im Zusammenhang mit den örtlichen Gegebenheiten in … zu beantworten und habe zudem keine Kenntnisse zu diesem Land. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit und dem damit verbundenen unbekannten Herkunftsland des Antragstellers müsse die geschilderte Furcht vor Verfolgung und die geschilderte Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden. Aus dem Sachvortrag des Antragstellers bezüglich … sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Bei dem vorgebrachten Sachverhalt handele es sich vielmehr um Gründe, die den Vater des Antragstellers beträfen. Die Angaben des Antragstellers zu den fluchtauslösenden Ereignissen blieben arm an Details und oberflächlich. Seine Angaben insbesondere zu seinem angeblichen Herkunftsland … seien in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Er habe angegeben, er stamme aus …, dem früheren Gebiet …, welches heute … heiße. Konkrete Fragen seien vom Antragsteller nur knapp, wiederholend und ausweichend beantwortet worden und es sei nicht nachvollziehbar, dass er bis zur Ausreise aus der Türkei im Jahr 2015 regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter gehabt habe und Geld überwiesen worden sei, der Antragsteller aber trotzdem keine genaueren Angaben über ihren Aufenthaltsort machen könne. Auch subsidiärer Schutz sei daher nicht zu gewähren gewesen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor, insbesondere führe das Vorliegen der Diagnose Nahrungsmittelunverträglichkeit nicht zu einer anderen Bewertung, da aufgrund des unbekannten Herkunftslandes eine zielstaatsbezogene wesentliche Verschlechterung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr nicht festgestellt werden könne. Dem Antragsteller sei die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat anzudrohen gewesen, da aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit keine konkrete Benennung des Ziellandes habe erfolgen können. Die Androhung der Abschiebung in den noch ungeklärten Herkunftsstaat enthalte somit zwar keine ordnungsgemäße Zielstaatsbezeichnung im Sinne des § 59 Abs. 2 AufenthG, sondern lediglich einen unverbindlichen Hinweis. Sei jedoch wie vorliegend der Herkunftsstaat ungeklärt, dürfe in der Abschiebungsandrohung nach der Rechtsprechung von der Angabe eines Zielstaates ausnahmsweise abgesehen werden.
Hiergegen erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 13. März 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage (M 17 K 17.34690) und beantragten gleichzeitig, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (M 17 S. 17.34693).
Zur Begründung wurde auf das bisherige Vorbringen des Klägers verwiesen und im Übrigen im Wesentlichen ausgeführt, dass die … … … seit Jahrzehnten wegen ihres Glaubens verfolgt würden. Der Kläger besitze keinerlei Staatsangehörigkeit und habe in …, Indien, Pakistan und Türkei jeweils als illegaler und damit rechtloser Immigrant gelebt. Der Umstand, dass er keine Personaldokumente habe vorlegen können, sei kein Kriterium bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit. Im Übrigen habe er als illegaler Migrant gar keine Dokumente erhalten können. Er habe … mit vier Jahre verlassen und deswegen diesbezügliche Fragen nicht sehr präzise beantworten können. Zu dem vermeintlichen Widerspruch bei der Anhörung sei klarzustellen, dass der Kläger nur in den ersten zwei Jahren nach seiner Ankunft in der Türkei über ein Internetcafé in … noch Kontakt zu seiner Mutter gehabt habe und Überweisungen mit Hilfe des Ladeninhabers, für den er gearbeitet habe, durchgeführt habe. Bei seiner Rückkehr nach … würde dem Kläger als … ernsthafter Schaden zumindest in Form von unmenschlicher bzw. erniedrigender Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt drohen. Als Staatenloser wäre er faktisch rechtlos, schutzlos den Repressalien von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen ausgesetzt und würde unter das Existenzminimum fallen. Zudem sei … nicht bereit, … wieder aufzunehmen. Gleiches gelte für Indien, Pakistan und die Türkei.
Dieser Antrag wurde vom Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 23. März 2017 abgelehnt, weil der streitgegenständliche Bescheid laut Behördenakte am 3. März 2017 zugestellt worden sei, sodass der Antrag nicht innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 3. April 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 4. April 2017, beantragten die Prozessbevollmächtigten, den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 23. März 2017 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Bescheid vom 24. Februar 2017 sei dem Kläger im Wege der förmlichen Zustellung erstmals am 6. März 2017 zugestellt worden, sodass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO rechtzeitig gestellt worden sei.
Eine Kopie des Kuverts, in dem als Zustellungsdatum der 6. März 2017 eingetragen ist, wurde vorgelegt.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den Verfahren M 17 K 17.34690 und M 17 S. 17.34693 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
1. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Zudem kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO darf nicht als Rechtsmittelverfahren zu einer vorhergehenden Entscheidung verstanden werden. Es dient allein der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris; VGH BW, B. v. 16.12.2001 – 13 S 1824/01 – juris; OVG NRW, B. v. 7.2.2012 – 18 B 14/12 – juris). Dasselbe gilt bei einer Veränderung der Prozesslage, etwa aufgrund neuer Erkenntnisse. Darüber hinaus müssen die geänderten Umstände geeignet sein, eine andere Entscheidung herbeizuführen (vgl. VG Augsburg, B.v. 30.9.2013 – Au 5 S. 13.30305 – juris Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 80 Rn. 202 ff. m.w.N.)
2. Demnach war vorliegend der Beschluss vom 23. März 2017 nicht abzuändern.
2.1 Zwar ist zugunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass die Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides tatsächlich erst am 6. März 2017 erfolgte, wie auf dem Umschlag vermerkt ist. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wurde damit innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
2.2 Der Antrag ist aber unstatthaft, so dass die neuen Erkenntnisse bezüglich des Zustelldatums keine andere Entscheidung herbeiführen können:
Wie sich aus § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ergibt, ist Gegenstand des Eilrechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO die Abschiebungsandrohung nach § 34 bzw. § 35 AsylG (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 36 Rn. 8).
Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt jedoch in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides die Abschiebung „in den Herkunftsstaat“ angedroht, da aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit des Antragstellers eine konkrete Benennung des Ziellandes nicht habe erfolgen können. Eine derartige Androhung hat jedoch keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, dass beabsichtigt sei, den Betroffenen in den Staat abzuschieben, aus dem dieser stamme, sobald dieser Staat ermittelt sei. Aus einem solchen Hinweis ergeben sich jedoch keine Rechtsfolgen. In derartigen Fällen muss dem Ausländer vielmehr der konkrete Zielstaat vor der Abschiebung noch in einer Weise mitgeteilt werden, dass er einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) genügenden Rechtsschutz erlangen kann. Gegen diese konkrete Androhung eines Zielstaates ist dann gegebenenfalls Eilrechtsschutz möglich. Insbesondere kann die positive oder negative Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nur in Ansehung der tatsächlichen Verhältnisse eines konkreten Staates getroffen und gerichtlich überprüft werden (BVerwG, U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris Rn. 13 f. zum vergleichbaren § 50 AuslG; Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, Stand Januar 2017, § 59 Rn. 85, 87). Auch der Hinweis, dass in jeden anderen Staat abgeschoben werden kann, in den der Ausländer einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, hat keinen Regelungscharakter (Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, Stand Januar 2017, § 59 Rn. 88).
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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