Aktenzeichen Au 2 K 16.32201
Leitsatz
1. Beruft sich der Kläger zur Folgeantragstellung auf keine neuen, erst nach dem Abschluss des Erstverfahrens entstandenen Gründe, sondern im Wesentlichen auf die „Probleme im Erstverfahren”, liegen keine Wiederaufgreifensgründe iSd § 51 Abs. 1 VwVfG vor, die bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG zu einer Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen würden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bietet die Kern- sowie die Großfamilie des Klägers ein hinreichendes Unterstützungsnetzwerk für den Lebensunterhalt im wirtschaftlichen Sinne und ist nicht ersichtlich, dass die Familie und der Clan im Falle seiner Rückkehr keine Unterstützung gewähren können und wollen, wird ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht begründet. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt worden ist, erweist sich in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Ergebnis als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Es kann vorliegend dahin gestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 i.V.m. § 71a AsylG vorliegen, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn im Falle eines Zweitantrags kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist. Denn die Entscheidung des Bundesamts erweist sich jedenfalls auf Grundlage der Vorschriften des § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 i.V.m. § 71 AsylG (Folgeverfahren) als unzulässig. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert würde, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U. v. 27.1.1982 – 8 C 12.81 – BVerwGE 64, 356; U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96/98; U.v. 31.3.2010 – 8 C 12.09 – juris Rn. 10).
So liegt der Fall hier. Der Austausch beider Normen ließe den Tenor der Grundverfügung unberührt. Er erfordert auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Erwägungen im Rahmen des Ermessens. Nach § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG vorliegen.
Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 71 AsylG ist die Rücknahme des Asylantrags oder die Unanfechtbarkeit der Ablehnung eines früheren Asylantrags. Zur Fallgruppe der Unanfechtbarkeit gehört die Nichteinlegung eines Rechtsmittels innerhalb der Rechtsmittelfrist. Dies ist hier der Fall, denn gegen die Ablehnung des ersten Asylantrags des Klägers mit Bescheid vom 7. Dezember 2010 hat er keine Rechtsmittel eingelegt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags stattgefunden hat (VG München, B.v. 4.4.2016 – M 1 K 16.50007 – juris Rn. 14 m.w.N.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 71 AsylG Rn. 7; Schönenbroicher in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, § 71 AsylG Rn. 5). Demnach können auch unbeachtliche Asylanträge im Sinne des § 29 Abs. 1 AsylG gemäß § 71 Abs. 1 AsylG unanfechtbar werden, obwohl keine sachliche Prüfung erfolgt ist (Kerstin Müller in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 71 AsylG Rn. 10 m.w.N.).
Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG wurden seitens des Klägers weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich. Insofern kann auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger hat ausweislich der Niederschrift zur Folgeantragstellung keine neuen, erst nach dem Abschluss des Erstverfahrens entstandenen Gründe angeführt, sondern sich im Wesentlichen auf die „Probleme im Erstverfahren“ berufen.
Schließlich begegnet auch die Entscheidung nach § 51 Abs. 5 VwVfG in Verbindung mit § 48, § 49 VwVfG hinsichtlich des (Nicht) Bestehens von nationalen Abschiebungsverboten keinen rechtlichen Bedenken.
Die Voraussetzungen für die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots liegen nicht vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse).
Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht nur bei Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, in Betracht, sondern auch extreme Gefahren, die sich z. B. aus einer katastrophalen Versorgungslage ergeben können, können unter § 60 Abs. 5 AufenthG fallen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris; EGMR, U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi – NVwZ 2012, 681 ff.). Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn nämlich die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend seien (EGMR, U.v. 28.06.2011, a.a.O.).
Derartige Verhältnisse liegen im Falle * bzw. * nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht vor. Für den Lebenserhalt im wirtschaftlichen Sinne braucht es in erster Linie die Kernfamilie. Clan und Familie, einbezogen die weitere Familie, sind nach wie vor die wichtigsten Faktoren bezüglich Akzeptanz, Sicherheit und dem Zugang zu Grundbedürfnissen (BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris Rn. 30). Im Fall des Klägers ist mangels gegenteiliger Angaben davon auszugehen, dass seine Kernsowie die Großfamilie ein hinreichendes Unterstützungsnetzwerk bieten. So befindet sich beispielsweise seine Ehefrau weiterhin in *. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Familie und der Clan des Klägers im Falle seiner Rückkehr keine Unterstützung gewähren können und wollen. Der Kläger hat auch nichts Gegenteiliges behauptet.
Insofern ist es ihm auch zuzumuten, den zu seinen Familienangehörigen bestehenden Kontakt weiter zu pflegen bzw. wieder aufzunehmen. Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass er nicht mit der Unterstützung seiner Familie und seines Clans rechnen könnte. Familienmitglieder in Saudi-Arabien und Nairobi finanzierten seinerzeit seine Ausreise. Auch zu diesen bestehe noch Kontakt.
Selbst unter Berücksichtigung der schweren Lebensbedingungen in Somalia dürfte der Kläger weder alsbald der Existenzvernichtung noch schwersten Gesundheitsschäden ausgesetzt sein. Auch wenn der Kläger nunmehr seit fast neun Jahren nicht mehr in Somalia gewesen ist und er mit den dortigen aktuellen Verhältnissen nicht vertraut sein dürfte, ist davon auszugehen, dass er sich als junger, gesunder Mann, der in den vergangenen Jahren vielfältige Lebenserfahrungen in unterschiedlichen Ländern gesammelt und sich auch dort zurecht gefunden hat, auch in Somalia wieder zurecht finden wird (vgl. OVG RhPf, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 52). Es spricht ferner nichts dagegen, dass der Kläger seinen vormals ausgeübten Beruf als Aushilfskraft in einem Geschäft wieder aufgreift. Außerdem gibt es lokale NGOs, die den Neuankömmlingen helfen können (EASO, Süd- und Zentralsomalia Länderüberblick, S. 117 ff.). Zudem unterstützt der UNHCR die Pläne der somalischen Regierung, im Jahr 2015 zehntausend somalische Flüchtlinge aus Kenia im Rahmen einer freiwilligen Rückkehr zurückzuführen und für die Reintegration in neun Distrikten, darunter auch in Mogadischu, zu sorgen (UNHCR Joint Communiqué vom 30.7.2015: Tripartite Commission for the Voluntary Repatriation of Somali Refugees from Kenya, abrufbar im Internet), was ebenfalls für eine hinreichend ungefährdete Rückkehrsituation spricht. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung erhielten seine Ehefrau und seine Kinder Lebensmittelhilfen in, so dass ihre Existenz dadurch gesichert erscheint.
Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maß auszulegen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist dann erreicht, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn 37 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30465 – juris; OVG NW, U.v. 26.8.2014 – 13 A 2998/11.A – juris). Eine solche Gefahrenlage ist hier auch im Hinblick auf die Versorgungslage nicht ersichtlich (s. hierzu BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris Rn. 30; OVG RhPf, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 50 ff.). Wie oben dargelegt ist es dem Kläger zumutbar, den Kontakt zu seinen Familienangehörigen und seinem Clan wiederaufzunehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass er nicht mit einer zumindest vorübergehenden Unterstützung seiner Familie und seines Clans rechnen könnte.
Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG. Zwar bestimmen § 71 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG im Grundsatz die Weiterführung des bisherigen Vollstreckungsverfahrens; insbesondere bedarf es keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Allerdings steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Bundesamts, ob es nach § 71 Abs. 5 AsylG vorgeht oder eine neue Abschiebungsandrohung erlässt (§ 71 Abs. 4 AsylG).
Ermessensfehler hinsichtlich der Befristungsentscheidung nach § 11 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylG.