Verwaltungsrecht

Abschiebungsandrohung in Herkunftsstaat – Kein konkret benannter Zielstaat

Aktenzeichen  Au 7 S 17.31302

Datum:
10.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AufenthG AufenthG § 59 Abs. 2
AsylG AsylG § 36 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat können Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden, so dass einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung das Rechtsschutzinteresse fehlt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Abschiebungsandrohung mit der Angabe des Herkunftsstaates als Zielstaat hat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, der dem Ausländer lediglich klar machen soll, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu benennenden Staat abgeschoben werden kann (BVerwG BeckRS 2000, 30124091). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die sofortige Vollziehung der Androhung ihrer Abschiebung in den Herkunftsstaat.
1. Die ausweislose Antragstellerin, geboren am * 1993, ist nach eigenen Angaben eritreische Staatsangehörige, die dem Volk Tigrinya angehören will, und orthodoxe Christin sei. Ihr Sohn, der Antragsteller ist am * 2012 geboren. Sie reisten am 10. Juni 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 9. Juli 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) Asylanträge.
Bei ihrem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens vor dem Bundesamt am 9. Juli 2014 trug die Antragstellerin vor, ihr Herkunftsland habe sie zusammen mit dem Antragsteller am 25. März 2014 per Auto verlassen. Sie seien über Libyen nach Italien gereist. Asyl hätten sie in keinem anderen Staat beantragt. Sie wolle in Deutschland bleiben, weil hier Frieden herrsche und Frauen gleichberechtigt seien.
Bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 1. März 2016 in der Sprache Tigrina trug sie Folgendes vor:
Sie könne keine Personalpapiere vorlegen, habe solche auch in ihrem Heimatland nicht besessen. Sie habe die eritreische Staatsangehörigkeit. Ihre Eltern seien Eritreer gewesen. Sie sei noch nie in Eritrea gewesen. Sie sei im Sudan, im Flüchtlingslager, geboren worden. Als sie fünf Jahre alt gewesen sei, seien ihre Eltern verstorben.
Sie sei bei einer Nachbarin, die Äthiopierin sei, aufgewachsen. Die Frau sei die beste Freundin ihrer Mutter gewesen. In dem Flüchtlingslager hätte es Menschen mit verschiedenen Staatsangehörigkeiten gegeben.
Die sudanesische Staatsangehörigkeit habe sie nicht. Den Sudan habe sie im März 2014 mit Hilfe eines Schleppers verlassen. Die Reise vom Sudan nach Libyen habe 1600 Dollar gekostet. Sie habe im Sudan als Putzfrau und als Straßenhändlerin gearbeitet.
Ob noch weitere Verwandte in ihrem Heimatland leben würden, wisse sie nicht.
Sie habe noch eine Tochter, die bei ihrem Vater in Äthiopien lebe. Der Vater sei Äthiopier. Wer der Vater ihres Sohnes, des Antragstellers, sei, wisse sie nicht. Sie kenne auch seine Staatsangehörigkeit nicht. Sie selbst habe die Schule im Flüchtlingslager besucht.
Zu ihrem Verfolgungsschicksal trug die Antragstellerin vor:
Ihr Vater sei in Eritrea Soldat gewesen und im Jahr 1992 in den Sudan abgeschoben worden. Über Eritrea könne sie nichts sagen.
Im Sudan sei ihr Leben schlecht gewesen. Sie habe dort illegal gelebt und habe keine Papiere bekommen. Die Polizei sei immer wieder gekommen, man habe Strafe bezahlen müssen. Der Mann der Tochter habe auch selten geholfen. Angst habe sie wegen des Vaters ihres Sohnes, dem Antragsteller. Sie kenne ihn nicht, aber nachdem sie nach Deutschland gegangen sei, bedrohe er sie. Er sei Sudanese und wolle wissen, warum sie mit seinem Sohn abgehauen sei. Kontakt habe sie aber nicht zu ihm.
In Äthiopien sei sie auch nie gewesen.
Die Antragstellerin beschränkte ihre Anträge auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz.
Sie wurde auch hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots angehört.
Mit Bescheid vom 27. Februar 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 1); subsidiärer Schutz wurde nicht zuerkannt (Nr. 2.). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 3). Weiter wurden die Abschiebungen in den Herkunftsstaat angedroht, die Antragsteller dürfen auch in jeden anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürfen, oder der zu ihrer Aufnahme verpflichtet seien (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 5).
Der Bescheid wurde der Antragstellerin laut Postzustellungsurkunde am 2. März 2017 zugestellt.
2. Am 7. März 2017 ließen die Antragsteller per Telefax durch ihre Bevollmächtigte Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Februar 2017 in Ziffern 2 – 5 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass die Antragsteller gemäß § 4 AsylG subsidiär Schutzberechtigte sind, hilfsweise festzustellen, dass bei den Antragstellern nationale Abschiebungshindernisse gemäß §§ 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wird im Rahmen von Anträgen nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
Nur weil sie keine Personaldokumente zu ihrer eritreischen Staatsangehörigkeit vorlegen habe können, sei ihr Vortrag über die Herkunft nicht unglaubwürdig. Viele Flüchtlinge von Afrika hätten nie Personaldokumente besessen. Die Eritreer hätten keine Pässe, weil sie das Land gar nicht verlassen dürften. Zudem habe die Antragstellerin angegeben, als eritreischer Flüchtling im Sudan gelebt zu haben. Da Eritrea keine Pässe ausstelle, sei auch nachvollziehbar, dass sie als Flüchtling im Sudan keine Personaldokumente gehabt habe, erst recht dann nicht, wenn die Eltern schon in ihrem Kleinkindalter gestorben seien. Sicher sei die Antragstellerin keine Sudanesin, weil sie wie die Eritreer aussehe. Dass sie Tigrinya spreche und die Eltern schon lange im Sudan gewesen seien, spreche dafür, dass sie Eritreerin sei und nicht Äthiopierin. Dass sie nicht viele Informationen über Eritrea geben könne, sei verständlich, wenn die Eltern so früh gestorben seien. Dass sie wisse, dass sie aus Eritrea komme, verwundere nicht, weil auch Kinder das früh mitbekämen, schon allein in einem Lager, wo die Unterschiede zwischen den Kulturen offensichtlich seien. Sie habe ihren Sohn auch christlich-orthodox in der eritreischen Kirche taufen lassen, was ebenfalls für die eritreische Herkunft spreche. Die Antragstellerin sei in der Tat nicht vorverfolgt ausgereist. Eine Abschiebung nach Eritrea würde dazu führen, dass sie der Diktatur in die Hände fallen würde und somit intensive Befragungen über sich ergehen lassen müsste. Im Übrigen würden bei der Antragstellerin und ihrem Sohn Abschiebungshindernisse vorliegen, da sie als Mutter eines unehelichen Kindes sowohl in Eritrea als auch in Äthiopien gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren würde.
3. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist bereits unzulässig. Die Antragsteller können für ihre Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Abschiebungsandrohungen (§ 36 Abs. 3 AsylVfG) kein Rechtsschutzbedürfnis in Anspruch nehmen, da lediglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht wurde (VG München, B.v. 24.10.2016 – M 12 S. 16.33647; VG Augsburg, B.v. 29.11.2010 – Au 7 S. 10.30621; VG Augsburg, B.v. 13.7.2010 – Au 7 S. 10.30257).
Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., vor § 40 RdNr. 30).
Im Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Februar 2017 wurden lediglich Abschiebungen in den Herkunftsstaat angedroht. Aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat können Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Die Antragsteller bedürfen daher keiner gerichtlichen Entscheidung, durch die sie vor Abschiebungsmaßnahmen geschützt werden würden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris) besitzt eine Abschiebungsandrohung mit der Angabe des Herkunftsstaates als Zielstaat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergeben. Dieser Hinweis, mit dem nicht mehr erreicht werden kann als mit dem allgemeinen Hinweis auf andere aufnahmebereite Staaten, soll dem Ausländer lediglich klar machen, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu benennenden Staat abgeschoben werden kann. Vor einer Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Solange ein Zielstaat nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorgenommen werden. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist; dies ist bei den Antragstellern noch nicht der Fall.
Im Hinblick darauf kann die Tatsache, dass im Rahmen der gem. § 36 AsylG gestellten Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO auch zu prüfen ist, ob die Ablehnung auf subsidiären Schutz offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt rechtmäßig war, kein aktuelles rechtliches Interesse der Antragsteller an einer Entscheidung des Gerichtes begründen, da es ausreichend ist, wenn die Antragsteller nach der Konkretisierung des Zielstaates Gelegenheit erhalten, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen und die Entscheidung des Bundesamtes in ihrer Gesamtheit einer Richtigkeitskontrolle zu unterziehen.
Die Anträge waren daher schon als unzulässig abzulehnen, ohne dass es noch darauf ankäme, ob sie in der Sache begründet wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen