Verwaltungsrecht

Abschiebungshaft: Von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeit des Haftantrags; Anforderungen an die Begründung; Heilung eines fehlerhaften Haftantrags

Aktenzeichen  V ZB 171/18

Datum:
21.3.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:210319BVZB171.18.0
Normen:
§ 417 Abs 2 FamFG
§ 2 Abs 14 S 2 Nr 2 AufenthG
§ 62 Abs 3 S 1 Nr 5 AufenthG
Spruchkörper:
5. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Verden, 21. September 2018, Az: 6 T 87/18vorgehend AG Verden, 27. Juni 2018, Az: 9a XIV 1088 B

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 21. September 2018 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 27. Juni 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Verden auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.
1
Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober 2015 erstmals in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 4. Oktober 2017 als unzulässig ab. Seine Abschiebung nach Pakistan wurde angedroht. Ab dem 1. November 2017 war er unbekannten Aufenthalts; am 24. Juni 2018 wurde er bei einer Einreise aus der Schweiz kommend am deutschen Grenzübergang Weil am Rhein angetroffen. Er wies sich mit einem am 6. Mai 2018 ausgestellten pakistanischen Reisepass und seiner pakistanischen ID-Karte aus. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2018 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum 17. Juli 2018 angeordnet. Die nach seiner Abschiebung am 11. Juli 2018 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
2
Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die Sicherungshaft gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG. Insbesondere seien die Erforderlichkeit der Haft und die notwendige Haftdauer ausreichend dargelegt worden. Der Hinweis der beteiligten Behörde, dass für die Organisation der Abschiebung seitens des Landeskriminalamtes Niedersachsen ein Zeitraum von drei Wochen benötigt werde und dass bereits ein pakistanischer Reisepass vorliege, so dass eine Abschiebung auch erfolgen könne, sei ausreichend. Es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG vor. Der Betroffene habe durch Angabe verschiedener Identitäten über seine wahre Identität getäuscht. Insgesamt seien neun Alias-Personalien erfasst worden.
III.
3
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts schon deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts an einem zulässigen Haftantrag fehlt.
4
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 – V ZB 74/17, juris Rn. 6 mwN).
5
2. Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 27. Juni 2018, mit dem eine Haft von vier Wochen beantragt wurde, nicht, weil er keine ausreichenden Angaben zu der notwendigen Haftdauer enthält. Er beschränkt sich auf den schlichten Hinweis, dass das Landeskriminalamt Niedersachsen „für die Organisation der Abschiebung einen Zeitraum von ca. drei Wochen“ benötige. Hiermit wird über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts ausgesagt. Die Begründung stellt vielmehr eine in einer Vielzahl von Verfahren einsetzbare Leerformel dar, die vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), unzureichend ist (vgl. auch Senat, Beschluss vom 22. November 2018 – V ZB 54/18, juris Rn. 8). Die Haftdauer von drei Wochen ist auch nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst versteht, zumal der Pass des Betroffenen vorlag. Entgegen der von der beteiligten Behörde in der Erwiderung vertretenen Auffassung wird sie ihrer Begründungspflicht gemäß § 417 Abs. 2 FamFG nicht bereits dadurch gerecht, dass sie auf eine Auskunft des Landeskriminalamtes Niedersachsen verweist.
6
3. Der Mangel des Haftantrags ist auch nicht geheilt worden. Dies ist zwar grundsätzlich möglich, wenn eine ausreichende Ergänzung erfolgt und der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 – V ZB 201/17, juris Rn. 8 mwN). Hier hat die beteiligte Behörde im Rahmen der Anhörung vor dem Amtsgericht am 27. Juni 2018 aber nur erklärt, der Antrag werde nunmehr dahingehend geändert, dass die Abschiebung innerhalb von drei Wochen durchgeführt werden könne. Nähere Angaben zu diesem zeitlichen Rahmen sind nicht erfolgt.
IV.
7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 u. 3 GNotKG.
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