Aktenzeichen M 32 E 18.32788
Leitsatz
1. Für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Ablehnung eines Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig gilt der Prüfungsmaßstab der „ernstlichen Zweifel“. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme – hier: Ablehnung des Antrags – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516.93 – BeckRS 9998, 170716). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Es bestehen keine Zweifel, dass im Fall der Antragstellerin keine humanitären Gründe der Abschiebung entgegenstehen. (Rn. 29 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen auf den bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 11. September 2017 gestützte Abschiebemaßnahmen.
Die Antragstellerinnen sind nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige, der Volksgruppe Yoruba zugehörig. Am 21. Januar 2017 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 16. Februar 2017 einen Asylantrag, den sie im Wesentlichen damit begründeten, dass die Eltern des verstorbenen Ehemanns der Antragstellerin zu 1 bzw. des Vaters der Antragstellerin zu 2 bei dessen Beerdigung gesagt hätten, sie würden die Antragstellerin zu 2 nach deren fünftem Geburtstag zu sich holen. Eine Kollegin habe die Antragstellerin zu 1 gewarnt, dass ihrer Tochter dann die Beschneidung drohe. Deshalb seien die Antragstellerinnen mit Hilfe eines Schleusers nach Mailand geflogen. Dort hätte die Antragstellerin zu 1 die Reisekosten durch Prostitution abarbeiten sollen. Deshalb sei sie mit ihrer Tochter weiter nach Deutschland gereist. Dieser Asylantrag wurde vom Bundesamt mit Bescheid vom 18. April 2017 abgelehnt; die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht München als offensichtlich unbegründet ab, da die Ausführungen der Antragstellerinnen in sich widersprüchlich und absolut unglaubhaft seien. Zum einen widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, dass die von der Antragstellerin zu 1 erwähnte „Madame“ in Vorleistung alle Reisekosten übernommen habe, dann aber aufgrund einer schlichten Weigerung der Antragstellerin zu 1, der Prostitution nachzugehen, diese zusammen mit ihrer Tochter ohne weitere Druckausübung oder Rückforderung ihrer Auslagen aus dem Haus geworfen habe. Zum anderen sei nicht ersichtlich, warum die Antragstellerin zu 1, die nach eigenen Angaben keinen Kontakt mit der Familie ihres verstorben Ehemanns hatte, nicht in der Lage sein sollte, ihr Kind einer drohenden Beschneidung zu entziehen; in einer Stadt wie Lagos dürfte sie von der Familie des Kindsvaters kaum aufzufinden sein.
Am 20. Februar 2018 stellten die Antragstellerinnen einen Asylfolgeantrag, den sie im Wesentlichen damit begründeten, dass die Antragstellerin zu 1 in Mailand gezwungen worden sei, auf der Straße der Prostitution nachzugehen. Nähere Angaben hierzu könne sie aber nicht machen. Nach 14 Tagen habe sie mit ihrer Tochter fliehen können. Bei ihrer ersten Anhörung habe sie auf Anraten eines Manns aus dem Flüchtlingscamp in Deutschland nichts davon erzählt. Es bestehe kein Kontakt mehr zur „Madame“. Weiterhin führte die Antragstellerin zu 1 aus, ihrer Tochter drohe in Nigeria die Beschneidung. Zwar seien Beschneidungen in der Familie der Antragstellerin zu 1 nicht üblich, wohl aber in der Familie ihres verstorbenen Ehemanns. Bei einer Rückkehr nach Nigeria gebe es keine Möglichkeit, ihre Tochter vor einer Beschneidung zu schützen. Auch in Lagos könnten Bekannte sie erkennen. Weiterhin führte die Antragstellerin zu 1 aus, sie leide – wie im ärztlichen Schreiben vom 20. Februar 2018 angegeben – an psychischen Problemen und nehme deshalb Medikamente. Ergänzend legte sie ein Schreiben von Solwodi Bayern e.V. vor, in dem ausgeführt wurde, dass die Gefahr einer Beschneidung der Antragstellerin zu 2 als sehr hoch eingeschätzt werde, da die Großeltern des Mädchens im Bundesstaat Kwara wohnen, der nicht zu den 10 Bundesstaaten in Nigeria gehöre, in denen die Genitalverstümmelung verboten sei.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Weiterhin wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 18. April 2017 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abgelehnt (Nr. 2). Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG erforderliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten der Antragstellerinnen sei nicht gegeben. Die Antragstellerinnen hätten keine rechtlich relevanten Wiederaufnahmegründe geltend gemacht. Soweit sich die Antragstellerin zu 2 auf eine Verfolgung durch die Familie ihres Vaters berufe, seien dies Umstände, die bereits Gegenstand des Erstverfahrens gewesen seien. Die vorgelegten Schriftstücke seien als vermeintliche Beweismittel ungeeignet, da sie lediglich in Kopie vorgelegt wurden, inhaltlich bereits Gegenstand des Erstverfahrens waren und nicht geeignet seien, eine detaillierte lebensnahe Schilderung des Verfolgungsschicksals zu ersetzen. Im Übrigen sei es – selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens bezüglich der Zwangsprostitution in Italien – nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Antragstellerin zu 1 bei einer Rückkehr nach Nigeria stigmatisiert sein könnte, da sie nach eigenen Angaben keinen Kontakt zu Familienangehörigen gehabt und ihre Ausreise ohne Beteiligung von Familienangehörigen organisiert habe. Im Übrigen sei es den Antragstellerinnen zumutbar, in einen anderen Teil Nigerias auszuweichen, wo sie in relativer Anonymität leben könnten. Den Lebensunterhalt könne die Antragstellerin zu 1 finanzieren, zumal sie über eine solide Schulbildung und Arbeitserfahrung als Straßenverkäuferin verfüge. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Seitens der Antragstellerinnen seien keine Umstände vorgetragen, die zu einem vom Erstverfahrensbescheid differierenden Ergebnis bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG führen würden. Ferner seien solche Umstände auch nicht bekannt.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerinnen am 12. Juli 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 32 K 18.32787) und beantragte gleichzeitig,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Ausländerbehörde unverzüglich mitzuteilen, dass die Antragstellerinnen bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht nach Nigeria abgeschoben werden dürfen.
Zur Begründung wurde auf die (in Kopie) vorgelegten Schriftstücke vom 6. Dezember 2017 verwiesen. Angesichts dieser Erklärungen hätte das Bundesamt die Asylfolgeanträge nicht als unzulässig ablehnen dürfen. Die darin enthaltenen Angaben seien lebensnah und glaubhaft. Im Übrigen seien die Antragstellerinnen infolge ihrer Flucht aus Nigeria traumatisiert, depressiv und akut suizidgefährdet. Sie seien nicht reisefähig.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
1. Gem. § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Antrag der Antragstellerinnen als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 16; VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 11) sowie als Antrag auf vorläufigen Rechtschutz zur Sicherung eines Anspruchs der Antragstellerinnen auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (vgl. VG München, B.v. 8.8.2018 – M 18 E 18.32455 – juris Rn. 13 m.w.N.) auszulegen.
a) Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Rahmen eines Folgeantrags, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage anzugreifen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff). Denn eine Unzulässigkeitsentscheidung verschlechtert die Rechtsstellung des Antragstellers, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass sein Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten wird (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 16). Des Weiteren darf ein Antragsteller bis zur Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 5 AsylG nicht abgeschoben werden, so dass ihm bis zur Entscheidung des Bundesamts, ob ein neues Asylverfahren einzuleiten ist, auf Antrag eine Duldung erteilt werden muss. Mit der Ablehnung des Antrags als unzulässig entfällt damit auch ein Duldungsgrund; auch hierin liegt eine belastende Entscheidung, gegen die eine Anfechtungsklage statthaft ist.
Da in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft ist, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (so unter Verweis auf die neue Rspr. des BVerwG ausführlich VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 11 ff.; VG Dresden, B.v. 11.9.2017 – 13 L 1004/17.A – juris Rn. 17 ff.; VG Würzburg, B.v. 10.10.2017 – W 8 E 17.33483 – juris Rn. 8 ff.). Der Antrag richtet sich auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig. Denn die Anfechtungsklage entfaltet keine aufschiebende Wirkung (§ 71 Abs. 4 AsylG verweist auf § 36 AsylG; damit liegt kein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG vor, bei dem eine Anfechtungsklage gem. § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung hätte).
b) Demgegenüber ist die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, in der Hauptsache weiterhin (hilfsweise) durch eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung zu stellen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 20). Denn insoweit hat sich das Bundesamt nach § 31 Abs. 3 AsylG sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen (BVerwG, a.a.O.).
Da in der Hauptsache die (hilfsweise) Verpflichtungsklage statthaft ist, kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur ein Antrag nach § 123 VwGO in Betracht. Insoweit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dem Bundesamt aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung des betroffenen Ausländers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hauptsacheverfahren vorläufig nicht vollzogen werden darf. Auf die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG kann hingegen nicht abgestellt werden, da diese allein den Folgeantrag nach § 71 AsylG betrifft.
2. Der so ausgelegte Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
a) Für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Ablehnung eines Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig gilt der Prüfungsmaßstab der „ernstlichen Zweifel“: Denn für Fälle, in denen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG kein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird, hat der Gesetzgeber durch die Regelungen in § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kraft einfachen Rechts für das gerichtliche Eilverfahren den Maßstab des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG bestimmt. Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz daher nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 22). Ernstliche Zweifel in diesem Sinn liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516.93 – juris Rn. 99).
Solche ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nr. 1 des Bescheids vom 22. Juni 2018 bestehen hier nicht. Das Bundesamt hat den Folgeantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorliegen.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
§ 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 30 ff.). Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32).
Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens dagegen nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem Folgeantragsteller steht – weil § 71 Abs. 1 AsylG den § 51 Abs. 5 VwVfG nicht in Bezug nimmt – auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (BVerwG; U.v. 15.12.1987 – 9 C 285.86 – juris Rn. 21). In diesem Fall ist – wie vorliegend geschehen – der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen.
Die Antragstellerinnen haben zur Begründung ihres Folgeantrags keine in diesem Sinne rechtlich relevanten neuen Gründe vorgetragen. Insoweit folgt das Gericht vollumfänglich den Feststellungen und der Begründung des Bescheids des Bundesamts, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist anzumerken, dass die vorgelegten Kopien der Erklärung des Baale Oloko Muritadh vor der Nigeria Police Force und dem High Court of Lagos State vom 6. Dezember 2017 wohl kein geeignetes Beweismittel darstellen, weil bloßen Kopien, deren Echtheit nicht geprüft werden kann, grundsätzlich allenfalls eine geringe Aussagekraft, jedenfalls aber keinerlei Beweiswert zugemessen werden kann, zumal nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts selbst von den zuständigen Behörden in Nigeria ausgestellte Bescheinigungen inhaltlich unwahr sein können. Die Frage, ob die von den Antragstellerinnen vorgelegten Kopien der Erklärung des Baale Oloko Muritadh vor der Nigeria Police Force und dem High Court of Lagos State vom 6. Dezember 2017 neue Beweismittel i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG darstellen, kann aber letztlich offenbleiben, weil die Antragstellerinnen jedenfalls die weitere Voraussetzung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, dass das Beweismittel im Erstverfahren eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, nicht in asylverfahrensrelevanter Weise glaubhaft und substantiiert dargelegt haben.
Aus dem Folgeantrag muss sich ergeben, dass das neue Beweismittel im Zusammenhang mit dem Sachvortrag geeignet erscheint, dem Asylantrag zum Erfolg zu verhelfen. An der vorauszusetzenden Eignung fehlt es, wenn das Asylbegehren nicht mangels Berücksichtigung des Beweismittels oder wegen fehlender Glaubhaftmachung der durch das Beweismittel zu belegenden individuellen Gründe des Asylbewerbers abgelehnt worden war, sondern aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen. Der schlüssige Antrag setzt daher die Darlegung voraus, dass das neue Beweismittel geeignet ist, die Richtigkeit gerade derjenigen Feststellungen in Frage zu stellen, die für die Entscheidung im Erstverfahren tragend waren. Wird beispielsweise in einem Folgeantrag lediglich eine Behauptung urkundlich belegt, die bereits im ursprünglichen Verfahren selbst bei Unterstellung ihrer Wahrheit als für die Annahme einer politischen Verfolgung unerheblich oder unzureichend gewürdigt wurde, ist der Folgeantrag asylverfahrensrechtlich nicht relevant (GK-AsylVfG, Stand 9/2000, § 71 AsylVfG, Rdnr. 106.2).
Diesen Anforderungen an die Darlegungslast der Folgeantragstellerinnen genügt der Vortrag nicht. Das Verwaltungsgericht München hat in seinem Urteil vom 11. September 2017 ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, warum es der Antragstellerin zu 1 nicht gelingen sollte, ihr Kind einer drohenden Beschneidung zu entziehen, zumal die Familie des Kindsvaters die Antragstellerinnen in einer Stadt wie Lagos mit ihren über 18 Millionen Einwohnern kaum finden dürfte. Mit dieser Argumentation haben sich die Antragstellerinnen in ihrem Folgeantrag entgegen der sie treffenden Darlegungslast nicht auseinandergesetzt.
Die Entscheidung des Bundesamts, ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) und den Asylfolgeantrag der Antragstellerinnen daher als unzulässig abzulehnen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG), wird daher wahrscheinlich auch einer umfassenden rechtlichen Prüfung standhalten.
b) Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Die Antragstellerinnen haben keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Wie vom Bundesamt im Bescheid vom 22. Juni 2018 unter Bezugnahme auf seinen Erstverfahrensbescheid vom 18. April 2017 zutreffend ausgeführt wurde, liegen – weiterhin – keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Dem folgt das Gericht (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
Die erneute Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG davon abhängig zu machen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen, ist zwar fehlerhaft. Denn das Bundesamt hat gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich und grundsätzlich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 18 und 20). In Bezug auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat sich das Bundesamt somit anlässlich einer Entscheidung über einen Folgeantrag in jedem Fall sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 20). Es darf sich nicht mit der Prüfung begnügen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Vielmehr hat es – so ausdrücklich § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG – „festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen“. Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2000 (9 C 41/99 – juris Rn. 9) und 15. Januar 2011 (9 B 475.00 – juris Rn. 5) sind wegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG als überholt anzusehen.
Dieser Fehler wirkt sich vorliegend aber nicht aus, weil das Bundesamt dennoch auf der Grundlage der informatorischen Anhörung der Antragstellerinnen im Bescheid vom 22. Juni 2018 eine vollumfängliche Sachprüfung vorgenommen hat, ob Abschiebungsverbote vorliegen und das Vorliegen von Abschiebungsverboten zu Recht verneint hat.
aa) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
aaa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht. Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 – 30696/09 – (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 – 8319/07 und 11449/07 – (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 – 10 C 13.12 – Rn. 24 f.; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist – wie im Rahmen von §§ 3 ff. und § 4 Asylgesetz – der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 27 m.w.N.). Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die – wie hier – nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) – vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) – Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen. Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 29.5.2019 – M 32 S 18.30208 – Rn. 20 ff, noch nicht veröffentlicht)
Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr des Asylbewerbers mit den Familienangehörigen auszugehen, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit Ihnen als Familie zusammen lebt. Eine gemeinsame Rückkehr mit Familienangehörigen, die aufgrund rechtskräftiger Feststellung als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genießen, kann hingegen im Regelfall nicht angenommen werden (zum Ganzen vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris Rn. 14; U.v. 16.8.93 – 9 C 7.93 – juris Rn. 10; U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris Rn. 11). Es ist deshalb von einer gemeinschaftlichen Rückkehr minderjähriger Asylsuchender mit ihrer Mutter bzw. ihren Eltern auszugehen, zumal minderjährige Kinder in aller Regel nicht getrennt von ihrem vertretungsberechtigten Elternteil bzw. ihren Eltern abgeschoben werden (vgl. auch Pietsch, in BeckOK AuslR, 22. Ed., Stand 01.08.2018, Asylgesetz; § 43, Rn. 10).
bbb) Unter dieser Annahme bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für eine ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung der Antragstellerinnen – auch unter Berücksichtigung ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei Rückkehr nach Nigeria – nicht vorliegen. Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria schwierig. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 10.12.2018, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigten im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 10.12.2018, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte der Kinder in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 21.1.2018, S. 15 sowie vom 10.12.2018, S. 14). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria – und damit auch für deren Kinder – nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Vor allem im Norden Nigerias sind Kinderehen weit verbreitet, die oft zu Schwangerschaften in jungem Alter mit gesundheitlichen Schädigungen sowie zu vorzeitigem Abbruch der Schulbildung führen. Darüber hinaus können viele Frauen im Norden keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß)-Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 21.1.2018, S. 16 f. sowie vom 10.12.2018, S. 15; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Situation alleinstehender Frauen vom 14.7.2010; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung vom 21.6.2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Update vom 12.4.2010).
Es besteht somit für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und auch ohne Hilfe Dritter zu überleben. Vor diesem Hintergrund kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung von alleinstehenden Frauen mit Kindern nach Nigeria stets gegen die EMRK verstieße. Es bestehen zwar in Nigeria – in ihrem Ausmaß insbesondere auch abhängig von der Region – für alleinerziehende Mütter besondere Schwierigkeiten. Jedoch ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch in Nigeria für alleinstehende Frauen mit Kind(ern) die Möglichkeit gegeben ist, ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Auch insoweit kann allein in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 – 2 K 2051/10.A – juris Rn. 32).
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass bei den Antragstellerinnen kein außergewöhnlicher Fall vorliegt, bei dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind. Die Voraussetzungen für eine solche ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung der Antragstellerinnen – auch unter Berücksichtigung ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei Rückkehr nach Nigeria – liegen nicht vor. Denn es ist gegenwärtig nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 1 in Nigeria nicht in der Lage wäre, etwa durch eine Arbeitsaufnahme ein kleines Einkommen zu erzielen, um damit den Lebensunterhalt ihrer Familie zu finanzieren. Die Antragstellerin zu 1 ist jung, verfügt über 6 Jahre Schulbildung und hat in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt bereits selbst durch den Verkauf von Getränken sichergestellt. Daraus ist zu schließen, dass ihr auch bei Rückkehr nach Nigeria die Wiederaufnahme einer praktischen beruflichen Tätigkeit möglich sein wird, mit der sie das Existenzminimum für sich und ihre Tochter erwirtschaften kann, sofern sie nicht ohnehin über entsprechende finanzielle Rücklagen verfügt. Die 2016 mittels Reisepässen mit Schengen-Visum erfolgte Einreise in Italien auf dem Luftweg gibt zumindest Anlass zu der Vermutung, dass sie über entsprechende finanzielle Mittel verfügt, zumal die bei der Anhörung zur Finanzierung der Reise abgegeben Erklärung – wie bereits im Urteil vom 11. September 2017 ausgeführt wurde – völlig unglaubwürdig erscheint.
Es ist damit nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Antragstellerin zu 1, die Mutter der Antragstellerin zu 2, nicht in der Lage sein wird, in Nigeria eine Existenzgrundlage für sich und ihre Tochter zu schaffen. Zudem wird darauf hingewiesen, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, dass die Antragstellerin zu 1 grundsätzlich daran gehindert sei, die Antragstellerin zu 2 beispielsweise im Fall der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit als Getränkeverkäuferin zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit mitzunehmen, was in Nigeria durchaus üblich.
Auch unter dem Gesichtspunkt der von der Antragstellerin zu 2 vorgebrachten in Nigeria angeblich drohenden Genitalverstümmelung ergibt sich kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob der Antragstellerin zu 2 bei einer Rückkehr in die Nähe der Familie des verstorbenen Vaters tatsächlich Beschneidung droht, obwohl in der Familie ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 1, Beschneidungen nicht üblich sind und von ihrer Mutter eine Beschneidung ausdrücklich abgelehnt wird. Denn die Antragstellerinnen sind in der Lage, sich bei Rückkehr nach Nigeria von der Familie des verstorbenen Kindsvaters fernzuhalten und sich einer etwaigen Bedrohung zu entziehen, indem sie in einen anderen Landesteil Nigerias ziehen und/oder sich z.B. in einer Großstadt niederlassen. Wie sich aus dem Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria des Auswärtigen Amts vom 10. Dezember 2018 (Lagebericht), S. 16 f., ergibt, besteht grundsätzlich in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung oder Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias auszuweichen. Die Antragstellerinnen können sich z.B. in einer Großstadt Nigerias (wie Lagos, Port Harcourt oder Abuja) niederlassen, wo sie mit asylrechtlich hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht ausfindig gemacht werden können. In einem Land mit einer Bevölkerung von ca. 188 Millionen bzw. einer Millionenstadt wie Lagos (mit einer Bevölkerung von über 18 Mio.) ohne funktionierendes Meldesystem (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.12.2017 – Au 7 K 17.30060 – juris Rn. 47) lässt sich in keiner Weise nachvollziehen, wie potentiellen Verfolgern ein Auffinden gelingen sollte.
Wie oben ausgeführt, ist dabei davon auszugehen, dass die Antragstellerinnen auch in einem anderen Landesteil in der Lage sein werden, für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage aufzubauen.
bb) Es sind auch keine Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht.
Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit. Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Zwar sind allgemeine Gefahren – also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land – gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich auch dann kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Hiervon ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 29.5.2019 – M 32 S 18.30208 – Rn. 39 ff, noch nicht veröffentlicht).
Gem. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Eine vorhandene Erkrankung eines Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht (vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 – 1 B 84.16 – Rn. 4 m.w.N.). Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG besteht dabei die gesetzliche Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese Vermutung haben die Antragstellerinnen schon mangels Vorlage aktueller ärztlicher Atteste nicht widerlegt. Die von ihnen vorgelegten Atteste vom Februar 2018 sind zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht (mehr) geeignet, da sie bereits vor mehr als einem Jahr ausgestellt wurden und infolgedessen zeitlich überholt sind.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.