Aktenzeichen Au 4 S 17.31715
AsylG AsylG § 12 Abs. 3, § 14a Abs. 3, § 32 S. 1
VwGO VwGO § 42 Abs. 1, § 80 Abs. 5
Leitsatz
1 Ist gegen einen Einstellungsbescheid nach § 32 AsylG mit Abschiebungsandrohung Anfechtungsklage zu erheben, richtet sich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Haben beide Eltern das gemeinsame Sorgerecht und halten sich beide im Bundesgebiet auf, kann allein die Mutter eines Minderjährigen nicht rechtswirksam eine Verzichtserklärung nach § 14a Abs. 3 AsylG abgeben. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Au 4 K 17.31714) gegen den Bescheid des Bundesamts vom 20. März 2017 (Gz.: …) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragssteller, Staatsangehöriger Sierra Leones, wendet sich im Wege des Eiverfahrens gegen einen Bescheid des Bundesamts, mit dem festgestellt wurde, dass das Asylverfahren eingestellt ist und mit dem seine Abschiebung nach Sierra Leone innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung angedroht wurde.
Der Antragsteller ist am 11.1.2015 in Nördlingen geboren. Am 20. Juli 2015 zeigte seine Mutter, ebenfalls Staatsangehörige Sierra Leone, gemäß § 14 a Abs. 2 AsylG gegenüber dem Landratsamt … die Geburt des Antragstellers an. Mit Schreiben vom 12. August 2015 wies das Bundesamt die Mutter des Antragstellers auf die Regelung des § 14a Abs. 3 AsylVfG (a.F.) hin. Danach könne der gesetzliche Vertreter des Kindes bis zur Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind verzichten, in dem er erklärt, dass für das Kind keine Gründe geltend gemacht werden, die das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG (a.F.) rechtfertigen bzw. dass dem Kind in seinem Heimatland kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 AsylVfG (a.F.) droht. Ebenfalls am 20. Juli 2015 wurde durch den gesetzlichen Vertreter des Antragstellers ein Asylantrag gestellt.
Am 25. Juni 2015 wurde ausweislich der Vorlagen durch die Bevollmächtigte des Antragstellers vor dem Amtsgericht … die Anerkennung der Vaterschaft bezüglich des Vaters des Antragstellers (Herr …) mit Zustimmung der Mutter erklärt. Zudem wurde eine Beurkundung über die gemeinsame Sorgeerklärung gemäß § 1626 a BGB vorgenommen.
Am 25. August 2015 erklärte die Mutter des Antragstellers schriftlich gegenüber dem Bundesamt, dass für den Antragssteller auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet werde. Dieses Schreiben ist lediglich von der Mutter des Antragstellers unterzeichnet (Bl. 25 Bundesamtsakte).
Mit Schreiben vom 8. März 2017 an das Bundesamt teilte das Landratsamt … dem Bundesamt mit, dass der Asylantrag der Mutter des Antragstellers mit Bescheid vom 25.1.2017 abgelehnt wurde und gleichzeitig die Abschiebung nach Sierra Leone angedroht bzw. angeordnet wurde. Die hiergegen erhobene Klage (Au 4 K 17.30409) wurde am 20. Februar 2017 zurückgenommen. Das Klageverfahren wurde daraufhin mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 21. Februar 2017 eingestellt. Das Landratsamt bat das Bundesamt daher um Mitteilung, bis wann mit einer Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers zu rechnen sei.
Mit Bescheid vom 20. März 2017 stellte das Bundesamt fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist (Ziffer 1). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes würden nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Falls der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalte, werde er nach Sierra Leone abgeschoben. Der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Mutter des Kindes mit einer Erklärung vom 25. August 2015 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet habe. Das rechtliche Gehör zum Einreise- und Aufenthaltsverbot sei dem Antragsteller mit Schreiben vom 14. Oktober 2016 gewährt worden. Eine Stellungnahme seitens der Mutter sei nicht erfolgt. In Anbetracht des Verzichtes auf die Durchführung des Asylverfahrens sei gemäß § 32 Satz 1 AsylG festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei. Abschiebungsverbote seien weder vorgetragen noch würden sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vorliegen. Auch im Asylverfahren der Mutter seien keinerlei Abschiebungsverbote festgestellt. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 38 Abs. 2 AsylG analog. Auf die Begründung des Bescheides im Übrigen wird Bezug genommen.
Der Bescheid wurde als Einschreiben am 21. März 2017 zur Post gegeben.
Am 27. März 2017 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 20. März 2017.
Zugleich beantragte sie
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Vater des Antragstellers im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei. Vorgelegt werden die Vaterschaftsanerkennungsurkunde, die Sorgerechtserklärung sowie ein Auszug aus dem Geburtenregister in Kopie.
Mit Schreiben vom 7. April 2017 bat der Einzelrichter um Vorlage von Unterlagen, die weitere Nachweise erlauben, dass der Vater des Antragstellers während des Asylverfahrens einen im Bundesgebiet bekannten Aufenthaltsort hatte.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antrag, gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der unter dem Az. Au 4 K 17.31714 erhobenen Klage anzuordnen, ist zulässig, insbesondere statthaft. Bezüglich eines Einstellungsbescheids gem. § 32 AsylG ist eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) zu erheben. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes richtet sich nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – InfAuslR 2016, 390 – juris Rn. 8; VG München, B.v. 28.11.2016 – M 16 S. 16.34334 – juris Rn. 10; VG Augsburg, U.v. 2.11.2016 – Au 5 K 16.32019 – juris Rn. 23; VG Dresden, U.v. 24.10.2016 – 4 K 733/16.A – juris Rn. 14), nachdem der Klage wegen § 75 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt. Zwar hat der Antragsteller im Hauptsacheverfahren Klageanträge stellen lassen, die auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage hindeuten (§§ 42 Abs. 1 Alt. 2, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Nachdem jedoch (auch) ein Anfechtungsantrag auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 20. März 2017 ausdrücklich und isoliert gestellt wurde, kann jedoch das Klage- und Antragsbegehren so ausgelegt werden (§ 88 VwGO), dass die für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nötige Anfechtungsklage erhoben sein soll.
Er ist des Weiteren statthaft, weil der Klage wegen Ziffer 3. des Bescheides wegen § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 38 Abs. 2 AsylG analog i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
Der Antrag ist auch begründet. Bei summarischer Prüfung ist nach derzeitiger Beurteilung des Sachverhalts davon auszugehen, dass der Anfechtungsantrag in der Hauptsache Erfolg haben wird, weil der streitgegenständliche Einstellungsbescheid voraussichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller damit in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit überwiegt das Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheids verschont zu bleiben, das entgegenstehende öffentliche Interesse.
Die voraussichtliche Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids ergibt sich daraus, dass die Voraussetzungen des § 32 AsylG nicht vorgelegen haben dürften. Demnach ist zwar im Falle des Verzichts gemäß § 14 a Abs. 3 AsylG wegen § 14 a Abs. 3 Satz 1, § 12 Abs. 3 AsylG vorbehaltlich einer abweichenden Entscheidung des Familiengerichts jeder Elternteil zur Vertretung eines minderjährigen Kindes befugt. Danach hätte die Mutter des Antragstellers rechtswirksam eine Verzichtserklärung nach § 14 a Abs. 3 AsylG abgeben können. Dies gilt jedoch ausweislich § 12 Abs. 3 AsylG letzter Halbsatz nur dann, wenn sich der andere Elternteil nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthaltsort im Bundesgebiet unbekannt ist. Da eine gemeinsame Sorgerechtserklärung gemäß § 1626 a BGB auf einen Zeitpunkt vor dieser Verzichtserklärung vorgelegt wurde, ist nach einer summarischen Prüfung davon auszugehen, dass diese Erklärung aber unwirksam ist. Demnach hätte sie auch vom Vater des Antragstellers unterschrieben werden müssen. Die dem Gericht vorgelegten Unterlagen lassen die Vermutung zu, dass der Vater des Antragstellers sich zumindest im Juni 2015 in … (…–Straße 1, PLZ …) aufgehalten haben muss. Demnach hätte die Mutter allein nicht den Asylantrag des Kindes schriftlich zurücknehmen können (vgl. VG Ansbach, U.v. 25.10.1996 – AN 12 K 96.35581 –juris).
Da es sich beim Eilverfahren um eine summarische Prüfung handelt, muss eine endgültige Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Nach allem überwiegt nach Auffassung des Gerichts jedoch derzeit das Interesse des Antragstellers, da ein Aufenthalt seines Vaters zum Zeitpunkt seines Asylverfahrens im Bundesgebiet nicht auszuschließen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).