Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot bei Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung

Aktenzeichen  20 ZB 17.30873

Datum:
18.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128934
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
AsylG § 3c

 

Leitsatz

1 Einer Frage fehlt es an der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit, wenn sie zwar noch nicht ausdrücklich durch eine obergerichtliche Rechtsprechung geklärt ist, aus bereits ergangenen Entscheidungen insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sich aber ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der gestellten Frage ableiten lassen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus muss eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen, die von einem Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3, § 3c AsylG ausgeht, also vom Staat, einer staatsähnlichen Organisation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG oder nichtstaatlichen Akteuren, soweit der Staat oder eine staatsähnliche Organisation nicht Willens oder in der Lage ist, Schutz zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK genügt es, dass die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht, auch wenn sie nicht von einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG ausgeht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 16.30750 2017-05-24 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Mit Urteil vom 24. Mai 2017 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach die u.a. auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klage der Kläger ab. Darin führte es hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aus, dass in der – insoweit unterstellten – Annahme, dass eine sozialpädagogische Betreuung und Beschulung der Klägerinnen zu 3) und zu 5) in ihrem Heimatland nicht möglich sei, noch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK liege. Art. 3 EMRK schütze nur vor extremen Gefahrenlagen, insbesondere vor Misshandlungen, die in ihrer Art, Intensität und Urheberschaft die Menschenwürde des Betroffenen verletzten. Art. 3 EMRK setze regelmäßig ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus, sei aber regelmäßig noch nicht verletzt, wenn Personengruppen, die einer besonderen Fürsorge bedürften, von den nachteiligen Auswirkungen eines unterentwickelten Gesundheits- oder Sozialsystems betroffen seien (vgl. BVerwG, U.v. 2.9.1997, – 9 C 40/96 – juris). Die auch hier erforderliche Schwelle einer lebensbedrohlichen Gefahr sei wie zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG dargelegt, nicht erreicht.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Die Berufung sei zuzulassen, da der vorliegenden Rechtsstreitigkeit grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zukomme. Vorliegend bestehe Klärungsbedarf für die grundsätzliche Frage,
ob die Situation von geistig behinderten Menschen mit einer psychomotorischen Entwicklungsstörung sowie einer Verhaltensstörung im Irak, im vorliegenden Fall speziell in Bagdad, aufgrund der prekären humanitären Verhältnisse, ihrer vulnerablen Stellung, aber auch wegen ihrer fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz, die zum sozialen Ausschluss ihrer Person und ihrer Familien führe, zu einem realen Risiko einer Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 3 EMRK, insbesondere die Verletzung der Menschenwürde und der UN-Kinderrechtskonvention führe und damit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sei.
Eine Verletzung von Art. 3 EMRK komme auch bei Vorliegen schlechter humanitärer Verhältnisse in Betracht, wenn begründete Tatsachen vorlägen, dass ein „real risk“ einer Menschenrechtsverletzung bestehe. Dies sei der Fall, wenn neben der prekären humanitären Situation weitere Faktoren hinzuträten, wie die besonders schutzwürdige Stellung der Betroffenen sowie eine Kausalität zwischen der bestehenden humanitären Krise und dem Verhalten der Konfliktparteien. Die geistige Behinderung der Antragstellerinnen zu 3) und zu 5) stelle eine besondere Schutzwürdigkeit dar. Aufgrund der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der herrschenden schlechten humanitären Bedingungen sowie fehlender staatlicher Maßnahmen zur Sicherung der Rechte von geistig behinderten Menschen werde der Tatbestand des Art. 3 EMRK erfüllt. Die Verletzung bestehe insbesondere in der Verletzung der Menschenwürde. Zudem handele es sich bei den Klägerinnen zu 3) und 5) um minderjährige Kinder, die zusätzlich den Schutz der UN-Kinderrechtskonvention genössen. Geistig behinderte Menschen würden in der irakischen Gesellschaft nicht akzeptiert und von ihr nahezu völlig ausgeschlossen. Der gesellschaftliche Ausschluss führe somit zu ihrer gesellschaftlichen Isolation sowie auch zur völligen Isolation ihrer Familienangehörigen. Menschen mit einer geistigen Behinderung würden massiv diskriminiert und oftmals zuhause eingesperrt, so dass sie ihrer Menschenrechte, insbesondere ihres Rechts auf Menschenwürde, völlig verlustig würden. Die Kläger zu 1) und zu 2) hätten geschildert, dass ihnen genau dieses Schicksal in Bagdad widerfahren sei. Sie hätten ihre behinderten Kinder einsperren müssen und hätten sich nicht mit ihnen in die Öffentlichkeit getraut, ohne Aufsehen zu erregen und beleidigt oder beschimpft zu werden. So hätten sie auch immer befürchten müssen, dass ihre Kinder sich nackt auszögen oder andere anstößige Verhaltensweisen an den Tag legten, die gesellschaftlich nicht toleriert würden. Somit hätten die Klägerinnen zu 3) und zu 5) ausschließlich eingesperrt zuhause gelebt. Dies habe auch zum gesellschaftlichen Ausschluss der Familie geführt, deren eigene Familien sie ebenfalls gemieden hätten. Dass geistig behinderte Menschen im Irak keine Rechte genössen und erheblich diskriminiert würden, ergebe sich aus verschiedenen Berichten wie dem UNAMI Report on the rights of persons with disabilities in Iraq (Dezember 2016) oder auch einem Artikel von AL Monitor (abrufbar unter http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/08/Iraq-people-with-disabilities-social-stigma.html) und einem Bericht der SFH-Länderanalyse vom 22. Oktober 2015 zu den Verhältnissen für Menschen mit Behinderung in der Autonomieregion irakisch Kurdistan. Da die wirtschaftlichen Verhältnisse dort stabiler seien als im restlichen Irak liege die Vermutung nahe, dass die Situation für behinderte Menschen im Zentralirak nochmals deutlich schlechter sei. Das Verwaltungsgericht lasse in seiner Einschätzung außer Acht, dass es im vorliegenden Fall nicht nur um die bloße Fürsorge gehe oder darum, eine gleichwertige Versorgungslage geltend zu machen, sondern darum, geistig behinderten Menschen ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Das Gericht stelle in seinem Urteil lediglich darauf ab, dass Abschiebungsverbote nicht festgestellt werden könnten, weil eine medizinische Versorgung nicht notwendig und die Krankheit der Klägerinnen unheilbar sei. Diesbezüglich sei noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen, die den Klärungsbedarf dieser Frage ausräumen würde. Bislang sei nur geklärt, wann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bei behinderten Menschen bestehe, sobald für jene eine medizinische Behandlungsmöglichkeit durch ein Medikament erforderlich sei. Daneben liege auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO vor. Das Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar.
Die Kläger beantragen
die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach, Az. AN 2 K 16.30750.
Außerdem beantragen sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts, die Bundesamtsakten und den Zulassungsantrag Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe entweder nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt sind (hierzu 1.) oder nicht vorliegen (hierzu 2.).
1. Soweit eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nach § 138 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG geltend gemacht wird, sind bereits die Darlegungsanforderungen nicht gewahrt. Denn die Darlegung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt neben der Benennung des Verfahrensfehlers in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auch die Darlegung, was in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht noch vorgetragen worden wäre, wenn der beklagte Verfahrensmangel nicht vorgefallen wäre (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 74). Hier fehlt es aber an Ausführungen dazu, was die Kläger noch vorgetragen hätten, wenn es nicht zu der im Zulassungsantrag als Überraschungsentscheidung bezeichneten angeblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs gekommen wäre. Stattdessen wird nur ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht nicht auf die Situation der Kläger zu 3) und 5) und auf die Frage, ob ihre Rechte im Irak ausreichend gewahrt wären, eingegangen sei. Damit wird aber ein materieller Einwand gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erhoben und keine Frage, die die Verletzung des rechtlichen Gehörs betrifft.
2. Der im Zulassungsantrag als grundsätzlich klärungsbedürftig formulierten Frage fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit. Denn die Frage ist zwar noch nicht ausdrücklich durch eine obergerichtliche Rechtsprechung geklärt, aus bereits ergangenen Entscheidungen insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) lassen sich aber ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der gestellten Frage ableiten (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 38).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 31. Januar 2013 (10 C 15.12 – juris Rn. 36) ausgeführt, dass der sachliche Regelungsbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG (jetzt § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) ist und über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede stehe, jedenfalls nicht hinausgehe. Zwischen beiden Bestimmungen bestehe aber keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG (jetzt § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG), die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließe. Allerdings scheide bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar seien.
In Ergänzung und unter Bezugnahme auf diese Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13. Juni 2013 (10 C 13.12 – juris Rn. 24 und 25) ausgeführt, dass der Senat für das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK jedenfalls seit der Entscheidung des EGMR vom 28. Juni 2011 (Sufi und Elmi, Az. 8319/07 – NVwZ 2012, 681) nicht länger an der zu § 53 Abs. 4 Ausländergesetz 1990 vertretenen Auffassung festhält, dass die Vorschrift nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtige, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohten. Diese aufgegebene Rechtsprechung wurde vom Bundesverwaltungsgericht auch noch in dem vom Verwaltungsgericht in anderem Zusammenhang zitierten Urteil vom 2. September 1997 (9 C 40/96 – juris) vertreten. Die Zitierung ist daher zwar missverständlich, wirkt sich aber, da damit offensichtlich nicht auf die aufgegebene Rechtsprechung verwiesen werden sollte, hier nicht aus.
Damit ist der Regelungsbereich des § 60 Abs. 5 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK geklärt: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet im Ergebnis, dass für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen muss, die von einem Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3, § 3c AsylG ausgeht, also vom Staat, einer staatsähnlichen Organisation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG oder nichtstaatlichen Akteuren, soweit der Staat oder eine staatsähnliche Organisation nicht Willens oder in der Lage ist, Schutz zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). Dagegen genügt es für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, dass eine derartige Gefahr besteht, auch wenn sie nicht von einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG ausgeht.
Bei der Auslegung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu beachten (allgemeine Meinung, vgl. nur Koch in BeckOK Ausländerrecht, 15. Edition, Stand 15.8.2016, § 60 AufenthG, Rn. 34). Nach dessen ständiger Rechtsprechung haben die Konventionsstaaten das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Ausländern zu regeln. Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber eine Frage nach Art. 3 EMRK aufwerfen und die Verantwortung des Staates nach der Konvention begründen, wenn ernsthafte Gründe dafür nachgewiesen sind anzunehmen, dass der Betroffene tatsächlich im Falle einer Abschiebung Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK zuwiderhandelnden Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus dieser Vorschrift die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi, Az. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, 682 (Rn. 212) m.w.N.). Bei der Prüfung, ob ernsthafte Gründe dafür sprechen, dass für einen Beschwerdeführer tatsächlich eine solche Gefahr besteht, müssen die Verhältnisse im Bestimmungsland nach den Anforderungen von Art. 3 EMRK beurteilt werden. Dies bedeutet, dass die von ihm für den Fall der Abschiebung befürchteten Misshandlungen ein bestimmtes Mindestmaß an Schwere erreichen müssen, um unter Art. 3 EMRK zu fallen (EGMR a.a.O. S. 682 (Rn. 213) m.w.N.)
Der EGMR verwendet allerdings zur Beurteilung, ob eine gegen Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung, die das notwendige Mindestmaß an Schwere erreicht, besteht, kein einheitliches Kriterium, sondern legt stattdessen viele verschiedene Umstände des Einzelfalls zugrunde (Stiegeler in Hofmann (Hrsg.), Nomos-Kommentar Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 AufenthG, Rn. 27 m.w.N.). Entscheidungen zu einer gegen Art.3 EMRK verstoßenden Behandlung wegen einer geistigen Behinderung sind soweit ersichtlich noch nicht ergangen, allerdings hat sich der EGMR bereits mehrfach zu den Fällen einer Abschiebung von kranken Personen oder zu bei Abschiebung drohenden allgemeinen schlechten humanitären Bedingungen im Zielstaat der Abschiebung geäußert. In beiden Fallgestaltungen hat sich der EGMR letztlich zu den gleichen inhaltlichen Kriterien bekannt, weshalb diese Kriterien auch auf die vorliegende Fallgestaltung einer Abschiebung von geistig behinderten Personen übertragbar sind. Auf die klägerseits problematisierte Frage, ob eine medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung erforderlich und erreichbar ist, kommt es daher nicht an.
Für die Fälle einer Abschiebung von kranken Personen finden sich unterschiedliche Entscheidungen des EGMR. Während er in seiner Entscheidung vom 2. Mai 1997 (Az. 30240/96 – B/Vereinigtes Königreich – InfAuslR 1997, 381) noch entschieden hatte, dass die Abschiebung eines todkranken Aidspatienten seine Lebenserwartung weiter reduzieren würde und den Betroffenen psychischen und physischen Leiden aussetzen würde, weshalb außergewöhnliche Umstände vorlägen und die Abschiebung gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde, entschied er in seinem Urteil vom 27. Mai 2008 (N/Vereinigtes Königreich Az. 26565/05 – NVwZ 2008, 1334), dass die Tatsache, dass sich die Lebensumstände inklusive der Lebenserwartung eines an Aids Erkrankten durch die Abschiebung signifikant verschlechtern würden, für sich genommen nicht ausreichend für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK seien. Die Krankheit einer abzuschiebenden Person könne nur dann zu einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK führen, wenn zusätzliche, außergewöhnliche Umstände vorlägen.
Zu allgemein schlechten humanitären Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung hat der EGMR ausführlich in seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Sufi und Elmi, Az. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, Rn. 282 und 283) Stellung bezogen. Danach ist bereits bei der Frage, nach welchem Kriterium die drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu beurteilen ist, zu differenzieren. Wenn die schlechten humanitären Verhältnisse nur oder überwiegend auf Armut zurückzuführen seien oder auf fehlende staatliche Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, so könne das im Fall N/Vereinigtes Königreich (s.o.) verwendete Kriterium angemessen sein für die Beurteilung. Wenn dagegen die humanitäre Krise überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückzuführen sei, so sei das in der Entscheidung M.S.S./Belgien und Griechenland (U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413) herangezogene Kriterium besser geeignet: Danach müsse die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzbarkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf Verbesserung seiner Lage in angemessener Zeit.
Hier bestehen die Gründe für die, nach dem insoweit als zutreffend unterstellten Vortrag der Kläger, schlechte Lage der Kläger, insbesondere der Klägerinnen zu 3) und 5) bei einer Rückkehr nach Irak zum überwiegenden Teil nicht maßgeblich den Kampfhandlungen zwischen verschiedenen bewaffneten Kräften im Irak, sondern vielmehr auf einer allgemeinen Gleichgültigkeit der irakischen Gesellschaft gegenüber geistig Behinderten sowie mangelnden Einrichtungen zu deren Betreuung, die letztlich in mangelnden Geldmitteln der staatlichen Stellen begründet sind. Daher liegt ein Fall, in dem nach dem Urteil Sufi und Elmi des EGMR (s.o.) die Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Befriedigung seiner elementaren Bedürfnisse berücksichtigt werden kann für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vorliegt, gerade nicht vor. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist daher für die Beurteilung das Kriterium gemäß der Entscheidung vom 27. Mai 2008 (N/Vereinigtes Königreich) zugrunde zu legen. Maßgeblich ist daher, dass eine Abschiebung nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen kann, wenn nämlich die für den Betroffenen sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind. Wann derartige Gründe als zwingend zu beurteilen sind, hat der EGMR in seinem Urteil vom 27. Mai 2008 (N/Vereinigtes Königreich – a.a.O. Rn. 42) beispielhaft dargestellt: Danach wurden humanitäre Gründe als zwingend beurteilt, wenn es um Schwerstkranke, dem Tode nahe Menschen ging, die im Heimatland nicht mehr über Familie verfügten und für die eine Behandlung ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht verfügbar war.
Betrachtet man den Fall der Kläger nach diesen für die Auslegung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK maßgeblichen Kriterien, so ist zu berücksichtigen, dass (wie auch das Verwaltungsgericht ausgeführt hat) eine lebensbedrohliche Situation der Klägerinnen zu 3) und 5) bei einer Abschiebung in den Irak nicht zu erwarten ist, insbesondere da eine Rückführung nur zusammen mit ihren Eltern, den Klägern zu 1) und 2) überhaupt vorstellbar ist. Die Last der Betreuung würde bei einer Rückführung in den Irak wiederum wie bereits vor der Ausreise bei den Eltern liegen. Dem Senat ist bewusst, dass diese Belastung für die Kläger zu 1) und 2) bereits vor der Ausreise aber auch bei einer etwaigen Rückkehr mit nun (nach Geburt eines weiteren Kindes in Deutschland) vier kleinen Kindern, die der Betreuung bedürfen, sehr groß war und auch wieder sein würde. Dies ändert aber nichts daran, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass im Ergebnis keine zwingenden Gründe bestehen, die gegen eine Rückführung in den Irak sprechen, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Insoweit ist nämlich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR (vgl. hierzu u.a. Urteil v. 20.10.2011 – Samina / Schweden, 55463/09 – NJOZ 2012, 950, 952 (Rn. 61)) zu berücksichtigen, dass auch der Aspekt, dass der befürchtete Schaden nicht in die direkte Verantwortung des abschiebenden Staates, hier also der Bundesrepublik Deutschland, fällt, für die Festlegung der Schwelle des Art. 3 EMRK relevant ist (VGH Mannheim, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 81 m.w.N.)
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Aus den dargestellten Gründen fehlt es der beantragten Prozesskostenhilfe an der für die Bewilligung erforderlichen Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung, § 166 VwGO, § 114 ZPO.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.

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