Aktenzeichen AN 14 K 18.50495
EMRK Art. 3
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 34a Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 1, § 38
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz
1 Nach Erhalt des Schutzstatus müssen die Betroffenen in Griechenland die Unterbringungseinrichtungen für Asylbewerber verlassen. Staatlicherseits sind für Zuwanderer – ebenso wie für Einheimische – keine Sozialwohnungen, Mietsubventionen, Fördermittel, spezielle Fonds oder sonstigen finanziellen Hilfen verfügbar. Im Falle von Obdachlosigkeit müssen die Flüchtlinge mit bedürftigen Griechen um die geringen Hilfsmöglichkeiten lokaler Behörden konkurrieren, wobei sie oftmals Diskriminierungen ausgesetzt sind. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Letztlich besitzen anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland die gleichen Rechte wie die einheimische Bevölkerung, von der ebenfalls erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgt. Dies ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Lebensbedingungen für Personen mit internationalen Schutzstatus in Griechenland mögen zwar sehr schwierig sein, zumal sie – anders als die griechische Bevölkerung – in der Regel nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es herrschen in Griechenland nicht derart handgreiflich eklatante Missstände, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Kläger müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Einem gesunden und arbeitsfähigen Mann ist es in Griechenland möglich und zumutbar, seine Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 Nur besondere individuelle Umstände können also im Einzelfall dazu führen, dass in Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK vorliegt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
5 Setzt das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entgegen § 36 Abs. 1 AsylG eine rechtswidrige Ausreisefrist von 30 Tagen, so ist die Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Wenn auch die Sinnhaftigkeit des hier objektiv umgangenen § 37 Abs. 1 AsylG in Frage gestellt werden könnte, ist dennoch die Beklagte als Verwaltungsbehörde nach Art. 20 Abs. 3 GG an (objektives) Recht und Gesetz gebunden und nicht befugt, geltendes Recht zu missachten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 18. Mai 2018 wird in Ziff. 3 und 4 aufgehoben.
2. Der Bescheid der Beklagten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 18. Mai 2018 wird in Ziff. 2, soweit diese die Klägerin zu 2. betrifft, aufgehoben.
3. Die Beklagte wird verpflichtet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG für die Klägerin zu 2. für Griechenland festzustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
Über die Streitsache entscheidet der Einzelrichter aufgrund Übertragungsbeschlusses der Kammer vom 17. September 2018 zur. Über die Klage kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
1. Die Klage ist unbegründet, soweit mit ihr die Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids begehrt wird. Diese erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor. Den Klägern wurde internationaler Schutz in Griechenland gewährt. Der Asylantrag ist damit in Deutschland unzulässig. Für die Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist die Frage, ob das Asylsystem des schutzgewährenden Staats in Bezug auf die Behandlung anerkannter Flüchtlinge an systemischen Mängeln leidet, unerheblich (vgl. statt vieler VG Bayreuth, B.v. 2.5.2017 – B 3 S 17.50490 -, juris). Eine insoweit weiter gehende Prüfung, ob die Kläger im Fall einer Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, sehen weder das nationale Recht noch das Unionsrecht als Voraussetzung für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig vor. Die Kläger als international Schutzberechtigte haben mithin keinen Anspruch auf erneute Zuerkennung internationalen Schutzes durch die Beklagte (so auch OVG NW, U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A -, juris).
2. Der Klägerin zu 2. steht indes ein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 AufenthG (Aufenthaltsgesetz) bezüglich Griechenlands zu. Bei Entscheidungen über gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässige Asylanträge ist gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
Zwar sind die Lebensverhältnisse international Schutzberechtigter in Griechenland (vgl. ausführlich VG Berlin, U.v. 30.11.2017 – 23 K 463.17 A -, juris) nicht allgemein unmenschlich oder erniedrigend i.S.v. Art. 3 EMRK.
2.1. Der Klägerin zu 2. droht in Griechenland aufgrund der dortigen Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zwar zum Ausdruck gekommen, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen. Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 -, juris).
Allerdings verpflichtet diese unionsrechtliche Norm nicht, jeden mit einer Unterkunft zu versorgen oder ihn finanziell zu unterstützen, um ihm einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, B.v 2.4.2013 – 27725.10, ZAR 2013, 336 f.; U.v. 21.1.2011 – 30696.09 -, juris). Ebenso existiert grundsätzlich kein Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin medizinische, soziale oder anderweitige Unterstützung in Anspruch zu nehmen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725.10 -, ZAR 2013, 336n f.). Die Verantwortlichkeit eines Staates käme in Frage, sobald der Anerkannte vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig wäre und behördlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt wäre, so dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696.09 -, juris). Bei der Prüfung einer Überstellung kommt es nicht nur auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat an, sondern zusätzlich auf die individuellen Umstände des konkret Betroffenen. Auch das Bundesverfassungsgericht geht bei Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung nicht von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK aus, sondern anerkennt bei drohender Obdachlosigkeit im Zielstaat in besonderen Einzelfällen – etwa bei Familien mit Kleinstkindern – lediglich ein inländisches Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris; vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12, „Tarakhel“ -, juris). Insoweit wird nach § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
Nach der aktuellen Auskunftslage gewährt inzwischen auch Griechenland anerkannt Schutzberechtigten prinzipiell Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung (vgl. Deutscher Bundestag, 2016: Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten, WD 6-056/16, S. 9, abrufbar unter https.\www.bundestag.de). In der Praxis sorgt zwar die schlechte wirtschaftliche und staatlich-administrative Situation des Landes für starke Einschränkungen bei der tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Rechte. Es existiert eine „Nationale Integrationsstrategie“, jedoch fehlen zielgerichtete Maßnahmen zur Integration und Unterstützung nach der Zuerkennung eines Schutzstatus. Auf lokaler Ebene bestehen im ganzen Land gegenwärtig über 50 „Integrationsräte“, welche das Ziel verfolgen, Integrationsprobleme zu erkennen und dem zuständigen Gemeinderat Vorschläge für die Integration von Einwanderern zu unterbreiten. Hinzu kommen Initiativen kommunaler und zivilgesellschaftlicher Akteure (vgl. zum Ganzen: VG Berlin, B.v. 17.2.2017 – 23 L 1629.16 A -, juris).
Nach Erhalt des Schutzstatus müssen die Betroffenen die Unterbringungseinrichtungen für Asylbewerber verlassen. Staatlicherseits sind für Zuwanderer – ebenso wie für Einheimische – keine Sozialwohnungen, Mietsubventionen, Fördermittel, spezielle Fonds oder sonstigen finanziellen Hilfen verfügbar. Im Falle von Obdachlosigkeit müssen die Flüchtlinge mit bedürftigen Griechen um die geringen Hilfsmöglichkeiten lokaler Behörden konkurrieren, wobei sie oftmals Diskriminierungen ausgesetzt sind. Überdies ist das Existenzminimum nicht staatlich abgesichert, staatliche Sozialhilfe hat nicht leicht erfüllbare Voraussetzungen (seit Februar 2017; „soziale Solidaritätsbeihilfe“; vgl. Pro Asyl, Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland v. 23.6.2017). Dies gilt für griechische Staatsbürger und Personen mit Schutzstatus gleichermaßen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Sozialkompass Europa, Griechenland: Soziale Notlagen, abrufbar unter http://www.sozialkompass.eu). Grundsätzlich haben Flüchtlinge und Asylsuchende den gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsbürger. Nicht Krankenversicherte erhalten im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens dieselben Rechte wie die Versicherten. Sämtliche ärztliche Untersuchungen und Eingriffe sind kostenfrei. Bei Operationen in den öffentlichen Krankenhäusern fallen keine Zuzahlungen an, die zahnmedizinische Versorgung ist ebenso kostenfrei (vgl. hierzu Ärzteblatt v. 21.7.2016, Griechenland: Nicht Krankenversicherte erhalten Zugang zur Gesundheitsversorgung).
Letztlich besitzen anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland die gleichen Rechte wie die einheimische Bevölkerung, von der ebenfalls erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgt. Dies ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. OVG NRW, U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A -, juris; U.v. 19. 5.2016 – 13 A 1490/13.A -, juris). Die Lebensbedingungen für Personen mit internationalen Schutzstatus in Griechenland mögen, wie der Kläger vorträgt, zwar sehr schwierig sein, zumal sie – anders als die griechische Bevölkerung – in der Regel nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen. Es herrschen allerdings nicht derart handgreiflich eklatante Missstände, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Kläger müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Einem gesunden und arbeitsfähigen Mann – wie dem Kläger – ist es in Griechenland möglich und zumutbar, seine Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken.
Nach der aktuellen Auskunftslage ist Griechenland durch eigenverantwortliches Handeln des Einzelnen geprägt. Daher muss der Schutzberechtigte grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Bei besonders schutzbedürftigen Personen kann sich demzufolge die Verweigerung von staatlicher Hilfeleistung zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten. es kommt also auf die individuelle Situation an (vgl. VG Würzburg, B.v. 8.3.2017 – W 2 S.17.31032 -, juris).
Die Lebensverhältnisse international Schutzberechtigter in Griechenland sind trotz der dort herrschenden Defizite nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend i.S.v. Art. 3 EMRK anzusehen (vgl. VG Saarland, B.v. 15.3.2017 – 3 K 1165/16 -, juris; VG Göttingen, B.v. 26.4.2017 – 3 B 267/17 -, juris; VG Augsburg, U.v. 7.6.2017 – Au 5 K 17.32168 -, juris; VG Würzburg, B.v. 8.3.2017 – W 2 S 17.31032 -, juris; VG Hamburg, B.v. 11.5.2017 – 9 AE 2728/17 -, juris sowie VG Oldenburg, B.v. 31.3.2017 – 11 B 1853/17 -, juris; ausführlich: Asylum Information Database – aida – Country Report: Geece; Update 2017; Greek Council for Refugees and European Council of Refugees and Exils; Overview S. 14 ff. sowie speziell zu in Griechenland anerkannten Schutzberechtigten S. 168 ff.; Stiftung Pro Asyl i.V.m. Refugee Support Aegean, Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 23. Juni 2017; Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2017 des US Department of State – US DOS – vom 20. April 2018: Geece 2017 Human Rights Report; zum Schutz von Flüchtlingen S. 11 ff.; Background information for the LIEBE Committee delegation to Geece 22-25 May 2017: Internationale Protection in Geece; Überblick der Flüchtlings- und Migrationssituation in Griechenland S. 6 ff.; Jahresbericht zur Menschenrechtssituation in der EU im Jahr 2017 vom 18. Januar 2018; Human Rights Watch; zu Griechenland S. 9 ff.; Amnesty International Report 2017/18 zur weltweiten Lage der Menschenrechte; zu Griechenland S. 27 ff.).
Nur besondere individuelle Umstände können also im Einzelfall dazu führen, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK vorliegt (so insbesondere VG München, B.v. 12.1.2018 – M 28 S 17.35846 -, juris: bei alleinstehender Frau, die in Griechenland zur Prostitution gezwungen wurde und wohnungslos sowie zuletzt obdachlos gewesen ist; in diese Richtung auch VG Saarland, B.v. 15.3.2017 – 3 K 1165/16 -, juris; VG Hamburg, B.v. 11.5.2017 – 9 AE 2728/17 -, juris; VG Augsburg, U.v. 7.6.2017 – Au 5 K 17.32168 -, juris und VG Würzburg, B.v. 8.3.2017 – W 2 S 17.31032 -, juris; vor allem hinsichtlich vulnerabler Personen VG Düsseldorf, B.v. 17.5.2017 – 12 L 1978/17.A -, juris; a.A. insbesondere VG Bremen, B.v. 20.10.2017 – 5 V 2274/17 -, juris; sehr ausführlich VG Berlin, U.v. 30.11.2017 – 23 K 463.17 A und B.v. 22.12.2017 – 23 L 896.17 A -, beide juris; VG Stuttgart, B.v. 9.2.2017 – A 7 K 556/17 -, juris sowie VG Aachen, B.v. 3.7.2017 – 4 L 782/17.A).
Das Gericht folgt damit der Begründung im streitbefangenen Bescheid der Beklagten: dieser enthält eine ausführliche Begründung zu Unterkunft, Unterstützungsleistungen, Gesundheitsversorgung, Integrationsmaßnahmen und Arbeit sowie eine anschließende rechtliche Bewertung; die tatsächlichen Angaben decken sich im Wesentlichen mit oben genannten Berichten. Es existiert auch eine dementsprechende Zusicherung der griechischen Behörden (Hellenic Republic, Ministry for Migration Policy, General Secretariat of Migration Policy, Ref. No. 006/080118) vom 8. Januar 2018.
Für die Kläger geht das Gericht auf der Grundlage ihres Vortrages und der beigezogenen Behördenakte nicht davon aus, dass sie zu einem besonders schutzbedürftigen Personenkreis gehören.
2.2. Indes liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AsylG nach Griechenland bei der Klägerin zu 2. vor. Nach den vorliegenden Schriftsätzen der Bevollmächtigten der Kläger war der Klageantrag der Bevollmächtigten dahingehend nach § 88 VwGO auszulegen, dass sie beantragen wollten, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen. Das Gericht selbst anstelle der Beklagten kann diese Abschiebungsverbote wegen der Vorschrift des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht feststellen (Verpflichtungsantrag). Zwar kommt dem Klageantrag gesteigerte Bedeutung zu, wenn der Kläger bei der Antragsfassung anwaltlich vertreten ist (BVerwG, B.v. 13.01.2012 – 9 B 56.11 -, juris). Dennoch konnte hier der Klageantrag gemäß § 88 VwGO so ausgelegt werden, dass ein Verpflichtungsantrag gemeint war und kein Durchentscheiden des Gerichts.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AsylG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Klägerin zu 2. ist in Griechenland vergewaltigt worden, was zur Überzeugung des Gerichts feststeht, und was auch durch das ausführliche ärztliche Gutachten des Klinikums … (Klinikum der höchsten Versorgungsstufe III) vom 10. Juli 2018 unterstrichen wird.
Die Überstellung nach Griechenland – wie von der Beklagten angedroht – kann daher nicht rechtswirksam sein, da der Klägerin zu 2. erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach dessen Satz 2 nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Das ist bei der Klägerin zu 2. bezüglich Griechenland, ein Land, das für sie im höchsten Maße traumatisierend ist, der Fall, wie sich aus dem ärztlichen Gutachten des Klinikums … vom 10. Juli 2018 ergibt. Sie hat in zeitlicher Folge nach der Vergewaltigung auch noch eine Fehlgeburt erlitten. Es ist konkret zu besorgen, dass sie – in Griechenland angekommen – dort Suizid begeht. Das Gutachten des Klinikums … vom 10. Juli 2018 genügt den Anforderungen, die an qualifizierte ärztliche Bescheinigungen zu stellen sind. Gemäß dem allgemeinen Rechtsgedanken in § 60a Abs. 2c S. 3 AufenthG sollen solche Bescheinigungen insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Das Gutachten stützt sich auf eine persönliche Untersuchung der Klägerin zu 2, es wird nachvollziehbar dargelegt, wie das Klinikum zur fachlich-medizinischen Beurteilung des Krankheitsbildes gelangt, so dass auf dieser Grundlage die ärztliche Einschätzung zur voraussichtlichen Entwicklung des Gesundheitszustandes bei Abschiebung der Klägerin zu 2. folgt.
Die laut Attest vom 10. Juli 2018 nicht bestehende Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 2. an sich ist als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis weder von der Beklagten noch vom Gericht zu überprüfen, sondern obliegt zunächst der Überprüfung der zuständigen Ausländerbehörde. Ob einer Abschiebung ein inlandsbezogenes Abschiebehindernis im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aufgrund Reiseunfähigkeit entgegensteht, hat die Beklagte nur bei Abschiebungsanordnungen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 19.427 -, juris; B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 -, juris). Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Im vorliegenden Fall wäre mithin die gesetzliche Vermutung für die Reisefähigkeit widerlegt durch das amtsärztliche Gutachten vom 10. Juli 2018.
3. Im Übrigen war Ziffer 3 des streitbefangenen Bescheides rechtswidrig und daher der Bescheid ebenso insoweit aufzuheben.
Nach der der Abschiebungsandrohung zugrundeliegenden, aufgrund von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffenen Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrages wäre gemäß §§ 35, 36 Abs. 1 AsylG korrekt eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe der Entscheidung festzusetzen gewesen. Maßgeblich ist aber die nach dem Asylgesetz (AsylG) zu setzende, nicht die vom Bundesamt tatsächlich – irrigerweise oder bewusst – falsch gesetzte Ausreisefrist.
Setzt das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entgegen § 36 Abs. 1 AsylG eine rechtswidrige Ausreisefrist von 30 Tagen, so ist die Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (VG Bayreuth, U.v. 01.12.2017 – B 3 K 17.33153 -, juris). Wenn auch die Sinnhaftigkeit des hier objektiv umgangenen § 37 Abs. 1 AsylG in Frage gestellt werden könnte, ist dennoch die Beklagte als Verwaltungsbehörde nach Art. 20 Abs. 3 GG an (objektives) Recht und Gesetz gebunden und nicht befugt, geltendes Recht zu missachten. Will die Beklagte vom gesetzlich angeordneten Sofortvollzug der Abschiebungsandrohung Abstand nehmen, verbleibt ihr allenfalls die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung (vgl. § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) mit einer Einzelfallbegründung analog § 80 Abs. 3 VwGO. Der Weg über § 38 AsylG, den sie hier rechtswidrig gegangen ist, indes ist und bleibt ihr auch dann versperrt.
Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) für Recht erkannt hat (U.v. 14.6.2016, 21 ZB 16.30074 – juris), ist der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts „stets einem staatlichen Freiheitseingriff ausgesetzt mit der Folge, dass er nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt ist, weil er geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein.“ Folgerichtig müsse eine als Eingriff in die Freiheit ihres Adressaten zu bewertende behördliche Verfügung regelmäßig nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgehoben werden, wenn die Sach- und Rechtsprüfung ergibt, dass der grundrechtliche Anspruch auf Gesetzmäßigkeit durch die Eingriffsverwaltung verletzt wurde, denn der Eingriff ist dann nicht durch die Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Nur in durch besondere Normstrukturen gekennzeichneten Fällen kann sich, so der BayVGH (U.v. 14.6.2016, 21 ZB 16.30074 -, juris), eine Ausnahme von dieser Regel ergeben (vgl. BVerwG, B.v. 19.7.2010 – 6 B 20/10 -, NVwZ 2011, 372, 374).
Eine solche besondere Normstruktur enthält § 37 AsylG nicht, sondern die objektive Gesetzesumgehung durch die Beklagte durch Missbrauch des § 38 AsylG führt zu einem völlig anderen, gesetzeswidrigen Verfahren (z.B. zwei Wochen Klagefrist statt einer etc.; ähnlich dem Fall des BayVGH a.a.O.: Abschiebungsandrohung statt Abschiebungsanordnung). Ebenso hat der BayVGH (U.v. 14.6.2016 – 21 ZB 16.30074 -, juris) deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nicht darauf ankommt, ob einer Befugnisnorm (hier § 37 Abs. 1 AsylG) nach dem Regelungswillen des Gesetzgebers eine „drittschützende Wirkung“ entnommen werden kann. Der Kläger kann sich als Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes also darauf berufen, dass die herangezogene Befugnisnorm eine andere Rechtsfolge nach sich zieht als die eigentlich korrekte, heranzuziehende Befugnisnorm.
Denn soweit die Beklagte die Ausreisefrist von 30 Tagen auf § 38 Abs. 1 AsylG („in den sonstigen Fällen“) stützt, wird zumindest verkannt, dass § 36 Abs. 1 AsylG gegenüber § 38 Abs. 1 AsylG eine Spezialregelung ist. Nach § 35 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG ist in den Fällen der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen, und zwar mit einer dem Ausländer zu setzenden Ausreisefrist von exakt einer Woche. Die Wochenfrist hat ausweislich des Gesetzeswortlautes zwingenden Charakter. Einer anderweitigen Fristsetzung durch das Bundesamt steht § 36 Abs. 1 AsylG entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2017 – 4 ZB 17.31379 -, juris), selbst wenn diese – wie hier scheinbar – für den Kläger günstiger ist. Diese weitergehenden Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG dürfen dem Kläger nicht durch Umgehung der gesetzlichen Regelungen genommen werden. Hierbei kommt es nicht auf die von der Beklagten möglicherweise bezweifelte Sinnhaftigkeit von § 37 Abs. 1 AsylG an.
Zwar bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides hinsichtlich der Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG; hiernach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 gewährt hat. Diese Voraussetzungen stehen wie erwähnt fest. Auch bezüglich der allerdings ohne Frist nicht vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist die streitgegenständliche Ziffer 3 des Bescheides rechtmäßig. Dem Grunde nach bestehen gegen die Abschiebungsandrohung keine Bedenken. Eine untrennbare Verknüpfung zwischen der Fristsetzung für die Ausreisepflicht und der Abschiebungsandrohung besteht grundsätzlich nicht. Wird die zusammen mit einer Abschiebungsandrohung verfügte Ausreisefrist aber als rechtswidrig aufgehoben, ist die verbleibende Abschiebungsandrohung unvollständig, behält aber gleichwohl ihren Regelungsgehalt, so dass die Abschiebungsandrohung selbst nicht rechtswidrig ist und nicht aufgehoben werden müsste (anders aber im Ergebnis § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG), nur weil die Fristsetzung ihrerseits rechtswidrig ist. Die Abschiebung kann in diesen Fällen nicht vollzogen werden, bevor die Behörde erneut eine Frist gesetzt hat und diese abgelaufen ist (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.2001 – 9 C 22/00 -, juris).
4. Aus dem unter 3. Ausgeführten ergibt sich in logischer Folge, dass auch die Ziff. 4 des streitbefangenen Bescheides keinen Bestand haben kann.
5. Im Übrigen war die Klage abzuweisen, also insbesondere soweit für den Kläger zu 1. das erwähnte Abschiebungshindernis nicht besteht. Auch die sich aus Art. 6 GG ergebende notwendige Wahrung der Familieneinheit gehört bei einer Abschiebungsandrohung zum Prüfungsrahmen der Ausländerbehörde, nicht der Beklagten.
6. Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 155 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.