Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot für pakistanischen Staatsangehörigen wegen PTBS

Aktenzeichen  B 5 K 16.31983

Datum:
29.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8026
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 3, § 3e, § 4

 

Leitsatz

1 In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karatschi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Pakistan ist eine medizinische Behandlung grundsätzlich möglich und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt. Dies gilt jedoch nicht für die Behandlung psychischer Erkrankungen, insbesondere mit einer Psychotherapie. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Nrn. 4, 5 und 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. Dezember 2016 verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beim Kläger hinsichtlich Pakistans vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger 3/4, die Beklagte 1/4.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist teilweise begründet, da hinsichtlich des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Pakistan besteht. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzulehnen, da der streitgegenständliche Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO), da er weder Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG hat und zugunsten des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Hieran gemessen sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Weder aus seinem Vorbringen gegenüber dem Bundesamt noch aus seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich eine Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale. Vielmehr ist der Kläger Opfer kriminellen Unrechts geworden.
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes muss sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU – QualifikationsRL). Dies privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Damit wird für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür begründet, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35; Hess. VGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 15).
Hieran gemessen sind die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht gegeben, denn dem Kläger steht jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karatschi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, Stand August 2017, S. 20). Es besteht – schon aufgrund der Größe des Landes – die Möglichkeit, in den Schutz der größeren Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Personen handelt, die bereits überregional bekannt geworden sind. Dies wird auch von Vertretern unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als Ausweichmöglichkeit gesehen. (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan, Stand 20.12.2017, S. 116; Accord – Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Pakistan: Gibt es für Personen, die sich weigern, sich den Taliban anzuschließen, eine innerstaatliche Fluchtalternative oder droht in diesem Fall eine landesweite Verfolg…, a-9045-2 (9046), vom 5.2.2015). Beim Kläger handelt es sich nicht um eine Person, bei der von einer überregionalen Bekanntheit in Pakistan auszugehen ist. Männer können bei privaten Disputen oder der Gefährdung, Opfer eines Ehrverbrechens zu werden, also in Fällen, wo nur durch Privatpersonen eine Verfolgung besteht, grundsätzlich meist in andere Gebiete Pakistans ausweichen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan, Stand 20.12.2017, S. 116 f.). Dass der Kläger, wie von ihm vorgetragen, zwar in einem kleinen Ort im Punjab von seinen Verfolgern aufgespürt wurde, steht dem nicht entgegen. Naturgemäß ist es einfacher, eine gesuchte Person in einem ländlichen bzw. dörflichen Umfeld, in dem ein fremder wesentlich schneller auffällt, zu finden als in einer anonymen Großstadt wie beispielsweise Karatschi mit knapp 15 Millionen Einwohnern.
Es kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich an einem anderen Ort niederlässt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und dort sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Der knapp 21-jährige Kläger ist arbeitsfähig und war auch bislang in der Lage, in Pakistan für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass ihm dies nicht auch in einer anderen Region Pakistans möglich sein sollte. Zudem kann sich der Kläger in Pakistan weitgehend frei bewegen. Laut Gesetz ist die Bewegungsfreiheit in Pakistan gewährleistet, eine Einschränkung besteht nur hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Gebieten der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung im Nordwesten Pakistans (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan, Stand 29.6.2017, S. 109).
c) Der Kläger kann sich schließlich auch nicht auf das Bestehen eines Abschiebungsverbotes i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG berufen. Auch insoweit schließt sich das Gericht den zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids insbesondere auch zu den humanitären Bedingungen in Pakistan im Hinblick auf Art. 3 EMRK an, auf die Bezug genommen wird, § 77 Abs. 2 AsylG.
d) Allerdings liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Pakistan vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche krankheitsbedingte Gefahr setzt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG voraus, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers in seiner Heimat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, wobei eine konkrete Gefahr besteht, wenn der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat in diese Lage geriete, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – BVerwGE 105, 383).
Im Falle einer psychischen Erkrankung wie der vorliegend geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) besteht angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Notwendigkeit der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251).
Aus dem von Klägerseite vorgelegten Arztbrief des Bezirkskrankenhauses …, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 6. September 2017, der ausführlich und nachvollziehbar die bisherige Behandlung, die Beschwerden des Klägers sowie die erhobenen Befunde darstellt, ergibt sich insoweit zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger an einer PTBS leidet. Er bedarf zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer psychiatrischen Behandlung und Medikation, wie sie derzeit vom Bezirkskrankenhaus … durchgeführt wird. Eine solche wäre für ihn aber in Pakistan nicht zu erreichen. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht zwar davon aus, dass in Pakistan eine medizinische Behandlung grundsätzlich möglich ist und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht, Stand August 2017, S. 25), allerdings gilt dies nicht hinsichtlich der Behandlung psychischer Erkrankungen; insbesondere mit einer Psychotherapie. Die psychiatrische Versorgung in Pakistan ist gemessen an europäischen Standards dürftig, es besteht dabei noch ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land. 90% der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit sind darüber hinaus privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch. Auf Grund des akuten Mangels an psychosozialen Fachkräften und des relativ geringen Bewusstseinsstandes für psychische Gesundheit, lässt sich die Mehrheit der psychiatrischen Patienten von traditionellen „Wunderheilern“ und religiösen Heilern behandeln. Das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie hält Personen davon ab, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Der Bereich der geistigen Gesundheit hat die niedrigste Priorität, der Gesundheitsdienst ist elementar bis miserabel (vgl. hierzu ausführlich VG Ansbach, U.v. 27.2.2014 – AN 11 K 13.31170 – juris Rn. 43 ff; VG München, U.v. 12.5.2016 – M 23 K 14.31059 – juris Rn. 36, jeweils m.w.N.). Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht, Stand August 2017, S. 25). Die Kernfamilie des Klägers wurde nach seinem glaubhaften und auch vom Bundesamt nicht in Zweifel gezogenen Vortrag ermordet. Ebenso konnte der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar schildern, dass sein Onkel mütterlicherseits, der ihn zunächst bei sich aufgenommen hatte, aus Angst vor den Verfolgern des Klägers dessen weitere Unterstützung abgelehnt und ihm geraten hat, das Land zu verlassen. Zu anderen Verwandten hat der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben keinen Kontakt mehr. Anders als in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids ausgeführt, kann der Kläger somit nicht auf weitere familiäre Bindungen in seinem Heimatland zurückgreifen. Bei einer Rückkehr nach Pakistan wäre er vielmehr auf sich allein gestellt. Darüber hinaus erscheint es aufgrund der medizinischen Stellungnahme als äußerst wahrscheinlich, dass sich der gesundheitliche Zustand des Klägers im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland deutlich verschlechtern würde. Im Laufe der Behandlung trat beim Kläger bereits einmal ein dissoziatonsnaher Zustand ein, in dem er Suizidabsichten äußerte. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in seine Heimat der Gesundheitszustand mangels Möglichkeit der Inanspruchnahme einer umfangreichen psychologischen und psychiatrischen Behandlung deutlich verschlechtern würde. Damit liegt ein Abschiebungshindernis vor, dass zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt.
Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids war daher insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass für den Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen. Infolge des Abschiebungsverbots war auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids aufzuheben, da im Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG eine Abschiebungsandrohung unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und kein atypischer Fall gegeben ist (BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris). Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Gegenstandswert beträgt nach § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) 5.000,00 €.

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