Aktenzeichen M 17 K 16.35002
Leitsatz
Schlechte humanitäre Bedingungen können eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sine von Art. 3 EMRK und damit zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt (vgl. auch BayVGH BeckRS 2017, 101004). Dies ist bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen der Fall. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. November 2016 wird in den Nrn. 4 bis 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 5/6, die Beklagte 1/6.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 13. März 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagtenseite nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Die Klage ist dahingehend auszulegen (vgl. § 88 VwGO), dass die Kläger zu 1. und 2. nicht nur für sich, sondern auch für die Klägerin zu 3. Klage erhoben haben. Zwar sind im Schreiben vom 1. Dezember 2016 explizit nur die Kläger zu 1. und 2. erwähnt, es wurde jedoch der Bescheid vom 22. November 2016 beigefügt, der auch die ca. 1 ½ Jahre alte Tochter zum Gegenstand hat. Es ist daher davon auszugehen, dass die Klage auch die minderjährige Tochter umfassen sollte.
3. Die Klage ist zulässig und begründet, da die nunmehr nur noch angefochtenen Nrn. 4 bis 6 des Bescheids vom 22. November 2016 rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen; diese haben einen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
3.1 Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. B.v. 11.1.2017 – 13a ZB 16.30878 – juris) können schlechte humanitäre Bedingungen eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sine von Art. 3 EMRK und damit zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt. Dies ist bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen der Fall.
3.2 Vorliegend haben die Kläger glaubhaft geschildert, dass der Kläger zu 1. in Afghanistan keine Verwandte habe und dass zwar noch die Eltern, Schwestern und minderjährigen Brüder der Klägerin zu 2. in Afghanistan lebten, der Vater aber gesundheitliche Probleme habe, nur als Hilfskraft arbeite und die Miete nicht immer bezahlen könne. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Familie der Klägerin zu 2. diese, ihren Mann, ihr Kind sowie das bald geborene weitere Kind soweit unterstützen könnten, das zumindest das Existenzminimum gesichert wäre (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 22.12.2016 13a ZB 16.30591 – juris Rn. 4).
3.3 Ob daneben die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, das e sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Streitgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319, Rn. 16 f.).
Nach alledem war der Klage hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG stattzugeben (Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids). Dementsprechend waren auch die Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben (Nrn. 5 und 6 des Bescheids).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO (soweit die Klage teilweise zurückgenommen wurde) und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z.B. B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris); Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.