Aktenzeichen 13a ZB 18.31906
Leitsatz
Mit Angriffen gegen die Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichts im Einzelfall kann eine Abweichungsrüge nicht begründet werden (BVerwG BeckRS 2017, 117404). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 8 K 17.33445 2018-06-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Juni 2018 bleibt ohne Erfolg.
Die Beklagte macht eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG geltend. Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Divergenz in diesem Sinne liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz insbesondere des Verwaltungsgerichtshofs oder des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328; Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 35). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das übergeordnete Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge jedoch nicht (BVerwG, B.v. 29.8.2018 – 3 B 24.18 – VRS 134, 157 – juris Rn. 7).
Hiervon ausgehend ist vorliegend keine Divergenz gegeben. Die Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht setze sich mit seiner Auffassung, dass vorliegend ausnahmsweise eine Gefahrenlage im Sinn von § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu bejahen sei, im Ergebnis in Widerspruch zur gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris unter Bezug auf U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Danach sei die Situation in Afghanistan nicht derart, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen eine extreme Gefahrenlage anzunehmen wäre, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde, oder dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Das Verwaltungsgericht habe keine Umstände festgestellt, die nicht bereits vom Verwaltungsgerichtshof als Risikofaktoren einbezogen worden wären. Zur Person des Klägers stelle das Verwaltungsgericht weder fest, dass er besondere Unterhaltslasten zu tragen habe, noch dass dieser unter solchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden würde, die ihn in seiner Arbeitsfähigkeit maßgeblich einschränkten. Der maßgebliche Grund für die (einschränkende) Abweichung sei lediglich die Kombination der Umstände, dass der vermögenslose Kläger auf sich allein gestellt sei, keine Erfahrung mit einer eigenständigen Lebensführung und keine ausreichende Unterstützung durch familiäre Strukturen habe. Das unterscheide sich aber nicht von den Konstellationen, die der genannten Rechtsprechung zugrunde lägen (siehe etwa BayVGH, B.v. 4.1.2018 13a ZB 17.31652 – juris; B.v. 25.8.2014 – 13a ZB 14.30235; B.v. 14.11.2012 – 13a ZB 12.30393). Der in der mündlichen Verhandlung angesprochene Betreuungsbedarf beziehe sich erkennbar nur auf die Situation im Bundesgebiet. Mit diesem Vortrag der Beklagten sind die Voraussetzungen einer Abweichung im dargelegten Sinn nicht erfüllt.
Das Verwaltungsgericht wendet vorliegend die genannte Rechtsprechung an, ist aber nach der Würdigung der individuellen Umstände des Klägers zur Einschätzung gelangt, dass eine abweichend zu beurteilende Ausnahmesituation vorliege (UA S. 7 ff.). Es hat dabei den Entwicklungsrückstand des Klägers berücksichtigt, der sich daran zeige, dass diesem trotz seines Alters (Volljährigkeit) weiter Leistungen der Erziehungsbeistandschaft gewährt würden. Auch in der mündlichen Verhandlung habe das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger zu einem selbstverantwortlichen Leben nicht in vollem Umfang in der Lage sei. Diese Unselbständigkeit habe sich aus dem persönlichen Eindruck ergeben. Aufgrund der besonderen Umstände des Klägers, insbesondere seines Verhaltens in der mündlichen Verhandlung, ist das Verwaltungsgericht zur Erkenntnis gelangt, dass dieser bei der Sicherung des Lebensunterhalts vor besonderen Schwierigkeiten stehen werde, die sich von den Regelfällen unterschieden. Gemäß § 108 VwGO hat das Verwaltungsgericht damit nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entschieden, dass dem Kläger bei einer Rückkehr die Sicherung eine Existenzgrundlage nicht gelingen wird. Soweit die Beklagte die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Ergebnis für unzutreffend hält, gilt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung sind (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 9; B.v. 17.5.2018 – 20 ZB 18.31049 – juris Rn. 3; B.v. 15.3.2018 – 13a ZB 17.30981 – BA Rn. 14).
Zwar verweist das Bundesamt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zutreffend darauf, dass sich die Fragen, ob ein vermögensloser Kläger auf sich allein gestellt sei, keine Erfahrung mit einer eigenständigen Lebensführung und keine ausreichende Unterstützung durch familiäre Strukturen habe, bei den Konstellationen, die der von ihm genannten Rechtsprechung zugrunde lägen, in gleichem Maße gestellt hätten. Allerdings hat sich das Verwaltungsgericht vorliegend in seinen Erwägungen nicht auf diese Aspekte beschränkt, sondern nach einer Würdigung der darüber hinaus beim Kläger vorliegenden individuellen Umstände die Erkenntnis gewonnen, dass dieser bei der Sicherung des Lebensunterhalts vor besonderen Schwierigkeiten stehen werde. Gestützt auf die Mitteilung einer Diplom-Sozialpädagogin, der Kläger bedürfe, obwohl er bereits über 18 Jahre alt sei, nach wie vor der Betreuung des Jugendamts (VG-Akte S. 24), auf die Tatsache, dass dem Kläger trotz seines Alters weiter Leistungen der Erziehungsbeistandschaft gewährt würden, er in einer sozial betreuten Einrichtung untergebracht sei und insbesondere auch auf den persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung ist das Verwaltungsgericht von einem Entwicklungsrückstand des Klägers und damit einer besonders gelagerten Ausnahmekonstellation ausgegangen (UA S. 7). Das betrifft allein Fragen der richterlichen Beweiswürdigung. Mit Angriffen gegen diese Tatsachenwürdigung im Einzelfall kann eine Abweichungsrüge nicht begründet werden (BVerwG, B.v. 9.5.2017 – 1 WNB 2/17 – juris, Rn. 7; BVerwG, B.v. 12.12.1991 – 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Soweit die Beklagte einwendet, der in der mündlichen Verhandlung angesprochene Betreuungsbedarf beziehe sich erkennbar nur auf die Situation im Bundesgebiet, mag das für Einzelaussagen von Betreuern zutreffen, die den Kläger naturgemäß (nur) im Bundesgebiet erleben. Dem steht aber die insoweit maßgebliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts entgegen, das den Eindruck gewonnen hat, der Kläger werde bei einer Rückkehr vor besonderen Schwierigkeiten stehen (UA S. 9).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.