Aktenzeichen M 21 S 17.42860
Leitsatz
Allein harte Lebensbedingungen in Nigeria stellen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt R. K., S. Straße 3, B., wird für dieses und für das Klageverfahren (M 21 K 17.42848) abgelehnt.
Gründe
I.
Die nicht ausgewiesenen Antragsteller sind nach Angaben des Antragstellers zu 1) nigerianische Staatsangehörige. Der Antragsteller zu 2) ist der Sohn des Antragstellers zu 1). Sie reisten am 9. März 2016 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 18. April 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 11. Oktober 2016 führte der Antragsteller zu 1) zur Begründung seines Asylbegehrens aus, er habe Nigeria verlassen, da er krank gewesen sei. Er habe mehrere Operationen gehabt. In Nigeria nenne man die Krankheit Ude. Sie verursache Schmerzen in der Leistengegend. Sein Sohn habe die gleiche Erkrankung und sei ebenfalls operiert worden. Bei seinem Sohn habe die Erkrankung dazu geführt, dass sein Kopf angeschwollen sei. Sie seien derzeit nicht in ärztlicher Behandlung. Er fürchte aber an seiner Erkrankung zu sterben, wenn er nach Nigeria zurückmüsse.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2017, zugestellt am 20. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, aus dem Vorbringen des Antragstellers zu 1) sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Der Wunsch des Antragstellers zu 1), sich und seinen Sohn in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Schmerzen in der Leistengegend bzw. im Bauchbereich behandeln zu lassen, sei menschlich nachvollziehbar, flüchtlingsrechtlich jedoch unbeachtlich. Überdies sei nicht dargetan, dass bei einer Rückkehr nach Nigeria eine erhebliche, individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne des §§ 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG drohe.
Die Antragsteller haben am Montag, den 29. Mai 2017 durch ihren Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.42848), mit der sie beantragen, den Bescheid vom 18. Mai 2017 mit Ausnahme der Ziffern 1 bis 3 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen festzustellen, hilfsweise das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auf weniger als 30 Monate zu bemessen.
Gleichzeitig beantragen sie, hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung tragen sie vor, sie litten an einer nicht konkretisierten Erkrankung, die beim Antragsteller zu 2) zu einer Schwellung des Kopfes geführt habe. Eine ärztliche Abklärung sei dringend geboten. Dem Antragsteller zu 1) sei aufgrund seiner Erkrankung die Erwirtschaftung des Existenzminimums in Nigeria nicht möglich, zumal er zugleich die Verantwortung für den Antragsteller zu 2) wahrzunehmen habe.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 22. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Es besteht vorliegend kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines Abschiebungsverbots. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen insbesondere in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage aus-gesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei dem Antragsteller zu 1) nicht anzunehmen. Nach eigenen Angaben lebt er bereits von Kindesbeinen an mit den von ihm beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen. Er hat bereits vor seiner Ausreise aus Nigeria dort als Maler, Fliesenleger, Landarbeiter und Kirchenmusiker gearbeitet und damit bei durchschnittlichem Einkommen seine Familie ernähren können. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies bei seiner Rückkehr nicht erneut möglich sein soll, zumal seine Erkrankung nach eigenen Angaben deutlich besser geworden sei. Soweit der Antragsteller zu 1) vorträgt, er könne nicht arbeiten, weil er die Verantwortung für den Antragsteller zu 2) zu tragen habe, verfängt dies ebenfalls nicht, weil der Antragsteller zu 1) in Nigeria seine Frau hat, die sich neben den beiden weiteren Kindern auch um den Antragsteller zu 2), dessen Mutter sie ist, kümmern kann. Zudem leben auch der Vater und die Schwester des Antragstellers zu 1) noch in Nigeria.
Die Antragsteller können sich überdies nicht mit Erfolg auf ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot berufen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Eine solche wurde vom Antragsteller zu 1) nicht vorgelegt, geschweige denn hat er auch nur seine Erkrankung genauer bezeichnet. Überdies ist er nach eigenen Angaben in Deutschland bislang nicht in ärztlicher Behandlung gewesen. Auch die vom Antragsteller zu 1) behauptete ärztliche Behandlung des Antragstellers zu 2) bezog sich nach dessen Angaben auf Beschwerden im Bauchbereich und nicht auf die von ihm beschriebene Erkrankung. Damit bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass ihrer Abschiebung nach Nigeria gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt R. K., S. Straße 3, B., ist nach den vorstehenden Ausführungen sowohl für den Eilantrag als auch für das Hauptsacheverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 166 VwGO, §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 121 Abs. 2 ZPO) ebenfalls abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).