Verwaltungsrecht

Alleinstehender arbeitsfähiger Afghane mit Tätigkeit bei einer internationalen Organisation

Aktenzeichen  M 6 K 17.38927

Datum:
4.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42807
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2020 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte wurde form- und fristgerecht geladen.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG. Die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid nach Afghanistan sowie das festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot erweisen sich insoweit als rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung nimmt das Gericht zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 26. April 2017 Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt im Hinblick auf das klägerische Vorbringen und die aktuelle Auskunftsklage ergänzend aus:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG.
a. Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG). Dem Kläger droht zudem weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger bringt nicht mit Erfolg vor, individuell und unmittelbar von dem Eintritt eines ernsthaften Schadens bedroht zu sein, denn diesem droht bei seiner Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden.
Selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers, dass dieser vor Ausreise aus Afghanistan als A* … für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet hat, ist es dem Gericht nicht gelungen, sich die volle Überzeugung darüber zu bilden, dass der Kläger vor seiner Ausreise Bedrohungen seitens der Taliban ausgesetzt war bzw. bei seiner Rückkehr zu befürchten hat.
Zwar agieren die Taliban landesweit und dürften im Einzelfall auch in der Lage sein, einen wohl bekannten und exponierten Gegner zu finden, wenn sich dieser in einer anderen Provinz niedergelassen hat (Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Whether the Taliban has the capacity to pursue individuals after they relocate to another region; their capacity to track individuals over the long term; Taliban capacity to carry out targeted killings, 15.2.2016). Angesichts der Anonymität der Großstadt, des fehlenden Meldesystems und der Entfernung zum Heimatort seiner Familie ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Kabul aufgesucht und aufgefunden werden würde. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass aufgrund der hohen sozialen Kontrolle selbst in den Großstädten ein vollkommen anonymes Leben auf Dauer nur schwer möglich sein dürfte (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 16.7.2020, S. 18). Gerade in größeren Städten unterhalten die Taliban Netzwerke mit Informanten; so gibt es in Kabul schätzungsweise 1.500 Spione der Taliban. Allerdings richtet sich ihr Interesse aufgrund ihrer personell begrenzten Möglichkeiten vorrangig auf prominente Personen wie Regierungsmitglieder und hochrangige Angehörige der Streitkräfte. Das European Asylum Support Office (EASO) schätzt die Zahl derjenigen, die von den Taliban in größeren Städten Afghanistans gezielt gesucht und verfolgt werden, auf wenige Dutzend bis maximal 100 Personen (EASO, Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 63 f.). Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger als A* … für eine Nichtregierungsorganisation ersichtlich nicht.
Selbst nach den Schilderungen des Klägers kam es bei dem Vorfalls Mitte/Ende 2012 in Kunduz zu keiner konkreten Bedrohung seitens der Taliban. Die Personen, die den Kläger nach seinem Namen fragten und baten mitzukommen, haben vom Kläger abgelassen und sind geflüchtet, nachdem sich Mitglieder der Familie des Klägers näherten. Der Kläger selbst gab an, den Vorfall zunächst nicht ernst genommen, sondern für einen Spaß unter Jugendlichen gehalten zu haben. Lediglich auf Anraten seines Vaters hat der Kläger einige Monate später im März/April 2013 Afghanistan verlassen. Als Auslöser hierzu gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, dass die Familie einen Drohbrief erhalten habe; in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger hingegen an, dass sein Bruder nach ihm gefragt wurde. Gleichbleibend gab der Kläger hingegen an, auch nach dem Vorfall weiterhin in Kabul gearbeitet zu haben und dort nie bedroht worden zu sein. Auch habe es keine weiteren Bedrohungen gegenüber der Familie mehr gegeben.
Es ist nach der Überzeugung des Gerichts bereits nicht ersichtlich, dass die Taliban zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers ein gesteigertes Interesse an dessen Habhaftwerdung hatten, sodass sie provinzenübergreifend nach ihm gesucht hätten. Der Kläger hat in Kabul gelebt und wurde dort auch viele Monate nach dem einmaligen Vorfall bei seiner Rückkehr nach Kunduz nie bedroht.
Der Kläger stellt vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisse jedenfalls keine so profilierte und exponierte Persönlichkeit für die Taliban dar, dass diese nunmehr über sieben Jahre nach dessen Ausreise mit Nachdruck nach ihm suchen würden, schon gar nicht, wenn er nicht an den Heimatort seiner Familie – oder dessen unmittelbare Nähe – zurückkehrt, sondern sich wieder in Kabul niederlässt.
b. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan kann ebenfalls nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat der Kläger nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht zu befürchten.
Dabei kann offenbleiben, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher Konflikt zu qualifizieren sind, weil nach Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG). Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nummer 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. zum örtlichen Bezugspunkt der Gefahrenprognose BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – juris).
Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul, wohin eine Abschiebung erfolgen würde, erreicht auch unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnisquellen keine Intensität aufgrund derer bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhende Umstände von der Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Bei einer Bevölkerungszahl von mindestens 4,7 Mio. Einwohnern (vgl. Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization, Afghanistan Statistical Yearbook 2017-18, August 2018, S. 5; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan, 13.11.2019, S. 36) und einer Zahl von 1.563 im Jahr 2019 getöteten und verletzten Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflicts: 2019, Annex IV, Februar 2020, S. 94) liegt in Kabul ein Risiko von 1 zu 3007 bzw. eine Gefahrendichte von 0,03% vor, die auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer deutlich unter der Schwelle der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (vgl. dazu BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23 und U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 13).
Diese Einschätzung wird darüber hinaus durch den aktuellen Bericht von UNAMA für das dritte Quartal 2020 (UNAMA, Afghanistan Third Quarter Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 September 2020) bestätigt. Danach sind die zivilen Opferzahlen (für ganz Afghanistan) mit insgesamt 5.939 Getöteten und Verletzten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 30 v. H. zurückgegangen und haben den niedrigsten Stand für die ersten neun Monate eines Jahres seit 2012 erreicht.
Auch unter Berücksichtigung der jüngsten Anschläge (z. B. Anschlag auf Schulzentrum in Kabul am 25.10.2020) ändert sich die Risikosituation nicht wesentlich.
Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die eine Gefährdung im obigen Sinne dennoch begründen könnten, liegen beim Kläger nicht in einem rechtlich relevanten Maß vor.
Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Einzelnen von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa, weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten (z.B. Arzt oder Journalist). Möglich sind ferner solche persönlichen Umstände, aufgrund derer Zivilpersonen zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10, juris Rn. 18 m.w.N.).
Derartige Umstände liegen jedoch in der Person des Klägers nicht vor. Insbesondere hat er seine Tätigkeit als A* … beendet und kann gerade in Hinblick auf seine für afghanische Verhältnisse überdurchschnittliche Schulbildung bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Tätigkeit außerhalb des Sicherheitssektors ausüben. Er ist weder gezwungen, noch ist er nicht darauf angewiesen, sich an Orten wie zentralen Gebieten mit staatlichen bzw. ausländischen Einrichtungen aufzuhalten, die von den Aufständischen als „lohnende“ Ziele (sog. high-profile Ziele) angesehen werden und Schwerpunkt von Anschlägen sind. Außerhalb dieser Gebiete insbesondere in den Randbezirken, in denen sich Rückkehrer hauptsächlich niederlassen, ist die Anschlagsgefahr sehr viel geringer (vgl. VGH BW U.v. 29.10.2019 – A 11 S 1203/19 – beckonline BeckRS 2019, 28916 Rn. 51).
Ebenso wenig ergibt sich bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und der Schwere der Schädigungen – Todesfälle und Verletzungen – bei der Zivilbevölkerung ein anderes Ergebnis. Angesichts des bei quantitativer Betrachtung niedrigen Risikos kann die gebotene qualitative Betrachtung hier auch im Übrigen nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Gewährung subsidiären Schutzes führen.
2. Schließlich besteht kein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a. Ein Abschiebungsverbot gemäß auf § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Eine solche ergibt sich zunächst nicht aus dem individuellen Verfolgungsvortrag des Klägers und der allgemeinen Gefährdungslage (vgl. dazu Ausführungen oben).
Ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch nicht aus der aktuellen humanitären bzw. wirtschaftlichen Lage in Afghanistan.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817, juris Rn. 47). Das Gericht geht unter Berücksichtigung der tagaktuellen Erkenntnismittellage insoweit weiterhin davon aus, dass ein alleinstehender und arbeitsfähiger Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Es bestehen grundsätzlich trotz großer Schwierigkeiten auch für Rückkehrer Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, wobei die Rückkehrer aus dem Westen auf dem Arbeitsmarkt schon aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position sind. Ausreichend ist die Möglichkeit einer hinreichenden Verständigung in einer der afghanischen Landessprachen, ein stützendes Netzwerk in Afghanistan ist hilfreich aber nicht erforderlich.
Zwar ist die Versorgungslage nach Auswertung der herangezogenen Erkenntnismittel in Afghanistan weiterhin schlecht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Juni 2020, S. 22 ff.). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden. Es liegen jedoch keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zulassen, dass jeder alleinstehende, arbeitsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind damit weiterhin nicht erfüllt. Zudem liegen trotz hoher Rückkehrzahlen keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918, juris Rn. 32 und BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817, juris Rn. 63).
Auch wenn die wirtschaftliche Lage in Afghanistan weiterhin angespannt ist und sich in Folge der Covid-19-Pandemie weiter verschärft hat, kann der erwerbsfähige volljährige Kläger bei seiner Rückkehr auch ohne Unterstützung seiner Familie den Lebensunterhalt sichern. Der 28-jährige Kläger spricht eine der Landessprachen (Dari) und ist auch arbeitsfähig. Der Kläger arbeitet nach eigenen Angaben derzeit als Küchenhilfe. In Afghanistan war der Kläger nach seinem Abitur als A* … tätig. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch weiterhin in der Lage sein wird, zu arbeiten.
Auch der Gesundheitszustand des Klägers steht seiner Erwerbstätigkeit und insoweit einer Rückkehr nach Afghanistan nicht entgegen. Der Kläger erklärte in der mündlichen Verhandlung er sei kerngesund.
Ohne dass es hierauf ankommt – s.o. – kann der Kläger auf eine gewisse Unterstützung seitens seiner Familie zählen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass seine Familie nach Kabul gezogen sei und jedenfalls seine Mutter derzeit dort lebe. Mit dieser hat der Kläger auch aktuell Kontakt.
Auch die Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung durch die Corona-Pandemie führt zu keinem anderen Ergebnis.
Nach den am 20. Oktober 2020 vorgelegten Zahlen des Afghanischen Ministry of Public Health waren zu diesem Zeitpunkt 40.510 Personen mit dem Coronavirus infiziert, 33.824 galten als genesen und 1.501 Personen waren am Coronavirus verstorben. Getestet wurden 118.540 Personen (OCHA: Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 81, 22.10.2020, S. 1).
Nachdem für verschiedene Städte und Regionen Ausgangsbeschränkungen bis 24. Mai 2020 bestanden, wurden diese zwischenzeitlich bis heute verlängert, werden aber jedenfalls im Wesentlichen nicht mehr durchgesetzt (OCHA: Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 71, 27.8.2020, S. 3; BAMF, Briefing Notes – Gruppe 62 v. 7.9.2020, S. 2). Auch die Verhaltensempfehlungen werden nicht überall beachtet. Zwischenzeitlich können beispielsweise die Bewohner von Kabul wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen (OCHA, Afghanistan – Brief No. 48 COVID-19, 28.5.2020, S. 3; OCHA, Afghanistan – Brief No. 55 COVID-19, 21.6.2020, S. 3f; BAMF, Briefing Notes Gruppe 62, 15.6.2020, S. 1; EASO Special Report: Asylum Trends and Covid-19, June 2020, S. 11). Der Verdienst von ungelernten Kräften liegt derzeit bei 300 – 400 AFG pro Tag. Die Anzahl der Tage pro Woche, an denen Arbeit zur Verfügung steht, liegt zwischen zwei (Kabul) und sechs (Bamyan) (BAMF, Briefing Notes – Gruppe 62 v. 14.9.2020, S. 1). In den meisten Städten haben Geschäfte und Restaurants geöffnet (OCHA, Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 65, 26.7.2020, S. 2).
Die in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen können weiterhin ihrer Tätigkeit nachgehen, wobei die bestehenden Beschränkungen die Tätigkeit zunehmend weniger behindern (z.B. OCHA: Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 71, 27.8.2020, S. 2). Neben Hilfe bei der Bewältigung der Corona-Pandemie leisten sie auch humanitäre Hilfe für Rückkehrer (OCHA: Afghanistan – Brief No. 55 COVID-19, 21.6.2020, S. 2). Daneben ist eine Kultur der Großzügigkeit, des Freiwilligendienstes und der Fürsorge innerhalb der Gemeinschaft wieder zum Vorschein gekommen. Landesweit verzichten viele Vermieter auf die Miete, Schneider verteilen tausend selbstgemachte Gesichtsmasken, Sportler liefern Lebensmittel an Krankenhäuser und Familien in Not (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation – COVID 19 Afghanistan; Stand: 2.4.2020, S. 1f).
Eine durch die Corona-Pandemie drastische Verschärfung der Versorgungslage mit Nahrungsmitteln ist derzeit nicht feststellbar. Zwar sind die Preise für Lebensmittel durchschnittlich 10% – 20% gestiegen, während das Einkommen der Haushalte Corona bedingt wegen eingeschränkter Erwerbsmöglichkeiten gesunken ist, wobei Einwohner ländlicher Gebiete nicht so stark betroffen sind, da sie die Möglichkeit der Selbstversorgung haben, im Gegensatz zur städtischen Bevölkerung (IPC, Afghanistan – Acute Food Insecurity Analysis April 2020 – November 2020, May 2020, S. 3; ACCORD, Afhganistan – COVID 19, 5.6.2020, S. 4). Auch konnte erreicht werden, dass die Grenzübergänge in den Iran, nach Pakistan, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan für den Güterverkehr weiterhin geöffnet sind (OCHA, Afghanistan – Strategic Situation Report: COVID-19, No. 77, 17.9.2020, S. 2). Kasachstan, der Hauptlieferant Afghanistans mit Weizen, hat seine Exportbeschränkungen inzwischen aufgehoben (IPC, Afghanistan – Acute Food Insecurity Analysis April 2020- November 2020, May 2020, S. 2). Lokale Führer profilieren sich zudem, in dem sie u.a. gegen Preistreiberei vorgehen. Auch hat eine Reihe von Religionsgelehrten und afghanische Bürger/innen die Geschäftswelt und die Händler aufgefordert, von Preistreiberei und Hamstern Abstand zu nehmen (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation – COVID-19 Afghanistan; Stand: 2.4.2020, S. 2). Nach der Ernte wird mit einer Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung gerechnet (IPC, Afghanistan – Acute Food Insecurity Analysis April 2020- November 2020, May 2020, S. 3).
Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nicht jedwede Möglichkeit genommen ist, seine Existenz zu sichern.
Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei den Ausgangsbeschränkungen und wirtschaftlichen Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie um ein temporäres Phänomen handelt. Auch kann der Kläger als Rückkehrer von verschiedenen Rückkehrhilfen profitieren (z.B. REAG/GARP- und des ERRIN-Programm). Für einen alleinstehenden Mann umfasst das „REAG/GARP-Programm 2020“ neben der Übernahme der Reisekosten, eine Reisebeihilfe in Höhe von 200 EUR, medizinische Unterstützung bis zu 2.000 EUR für drei Monate sowie eine Starthilfe in Höhe von 1.000 EUR (vgl. REAG/GARP-Programm 2020, https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/reag-garp). Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Leistungen nach dem Europäischen Rückkehr- und Reintegrationsprogramm „ERRIN“ (vormals „ERIN“). Diese beinhalten z.B. Services bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Hilfestellungen bei der Existenzgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation in Form von Sachleistungen gewährt und kann bei einer freiwilligen Rückkehr Leistungen im Wert von bis zu 2.000 EUR, bei rückgeführten Personen bis zu 1.500 EUR umfassen (vgl. Informationsangebote des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Internet, Stand: Februar 2020).
b. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Ein Abschiebungsverbot wegen allgemeiner Gefahren – wie die Corona-Pandemie eine darstellt – kommt schon allein auf Grund der Sperrwirkung des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht in Betracht. Sind zudem die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht erfüllt, so scheidet auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus, da die hierfür extreme Gefahrenlage nicht vorliegt (vgl. BayVGH U.v. 21.11.18 – 13a B 30632 – juris unter Bezugnahme auf VGH BW U.v. 12.10.18 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453). Individuelle Umstände in der Person des Klägers, insbesondere gesundheitlicher Art, die eine andere Beurteilung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich; der Kläger ist gesund (s.o.).
Auch die mögliche Gefahr des Klägers am Coronavirus schwer zu erkranken oder daran zu versterben, rechtfertigt kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen. Der Kläger ist jung und gesund, so dass weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist, dass ihn ein besonderes Risiko trifft, bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus schwer zu erkranken oder gar zu versterben (vgl. zu den Risikogruppen: Steckbrief des Robert-Koch-Institut, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, abgerufen am 30.10.2020). Es ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich erkranken würde.
3. Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Das gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten begegnet keinen Bedenken.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung.

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