Aktenzeichen M 22 S 17.535
BayVwZVG BayVwZVG Art. 19 Abs. 1 Nr. 3, Art. 21a S. 1, Art. 36 Abs. 1 S. 2
Leitsatz
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit nachfolgender Vollstreckungsakte ist allein die Wirksamkeit und nicht die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes, so dass in einem gegen Vollstreckungsakte gerichteten Streitverfahren Einwendungen gegen den Grundverwaltungsakt ausgeschlossen sind (vgl. BayVGH BeckRS 2014, 45854 Rn. 8 mwN). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,00 festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs hinsichtlich der angeordneten Räumung ihrer Unterkunft und die Umsetzung in eine andere Notunterkunft durch die Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin wohnt gemeinsam mit ihrem 16 Jahre alten Sohn und ihrem Lebensgefährten in einer Obdachlosenunterkunft in der …straße.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 – der Antragstellerin am 3. Dezember 2016 zugestellt – widerrief die Antragsgegnerin die Zuweisung der Wohnung in der …straße mit Wirkung ab dem 13. Dezember 2016 (Ziff. 1). Die Antragstellerin wurde in eine Unterkunft in der … Straße („Zimmer 3“) eingewiesen, wenn und solange ihr Sohn F. bei ihr wohne (Ziff. 2 Satz 1 und 2). Für den Fall, dass ihr Sohn F. nicht zu ihr ziehe, wurde die Antragstellerin in eine Unterkunft am … eingewiesen, wo ihr ein Schlafplatz zur Verfügung stehe (Ziff. 2 Satz 3 und 4). Sie habe aus der bisher genutzten Wohnung bis zum 12. Dezember 2016 auszuziehen (Ziff. 3.1), sie leer zu räumen sowie in einem sauberen Zustand zu hinterlassen (Ziff. 3.2 Satz 1). Die Schlüssel seien abzugeben (Ziff. 3.2 Satz 2), ihre Sachen könne sie bis zu einem Monat in einer Gitterbox einlagern (Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 1). Anschließend würden ihre Sachen aus der Gitterbox durch die Antragsgegnerin entsorgt (Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2). Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 und 3 wurde angeordnet (Ziff. 4). Unmittelbarer Zwang wurde für den Fall angedroht, dass den Verpflichtungen in Ziff. 3 nicht Folge geleistet werde (Ziff. 5).
Die Antragstellerin erhob durch ihre Verfahrensbevollmächtigte am 9. Dezember 2016 Klage gegen den Bescheid (Az. M 22 K 16.5525) und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az. M 22 S. 16.5528).
Mit Beschluss vom 2. Januar 2017 – M 22 S. 16.5528 – hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet, soweit sie sich gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs gerichtet hat und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Das Gericht kam im Rahmen der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu dem Ergebnis, dass die erhobene Anfechtungsklage aller Voraussicht nach nur im Hinblick auf die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziff. 5 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 begründet, im Übrigen – insbesondere im Hinblick auf die Umquartierung – unbegründet sei. Die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziff. 5 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 sah das Gericht als rechtswidrig an, da keine Vollstreckungsfrist gesetzt wurde bzw. eine etwaige (konkludent gesetzte) „Nullfrist“ jedenfalls mangels Begründung ermessensfehlerhaft gewesen wäre.
Daraufhin erließ die Antragsgegnerin am 25. Januar 2017 – der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gegen Empfangsbekenntnis am 27. Januar 2017 zugestellt – einen neuen Bescheid mit folgendem Inhalt:
„1. Unser Bescheid vom 01.12.2016 wird wie folgt abgeändert:
1.1. In Nr. 2 Satz 1 wird die Bezeichnung „Zimmer 2“ ersetzt durch „Zimmer 3“.
1.2. Nr. 5 erhält folgende Fassung:
Falls Sie den unter Nr. 3 genannten Verpflichtungen nicht bis spätestens 13.02.2017 nachkommen, wird unmittelbarer Zwang angedroht.
2. Für diesen Bescheid werden keine Kosten erhoben.“
Die Antragstellerin erhob durch ihre Verfahrensbevollmächtigte am 10. Februar 2017 – eingegangen beim Verwaltungsgericht per Fax am selben Tag – Klage gegen den Bescheid (Az. M 22 K 17.534) und beantragte zugleich:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen den Bescheid vom 25.01.2017 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Darüber hinaus beantragte Sie Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren sowie die Beiordnung der Unterfertigten als Prozessbevollmächtigte.
Die Antragstellerin begründete ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass die Antragsgegnerin das öffentliche Interesse an dem Auszug der Antragstellerin mit ihrem Sohn nicht hinreichend dargelegt habe, sondern nur, dass die Notwendigkeit weiter bestehe, die bisherige Unterkunft bald anderweitig zu belegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass für die im Bescheid vom 1. Dezember 2016 genannte Familie nach knapp zwei Monaten noch keine Unterkunft gefunden worden sei. Es sei nicht dargelegt, für wen die Wohnung gebraucht werde. Mietschulden der Antragstellerin bestünden nicht, da das Jobcenter der Stadt … monatlich EUR 302,60 für die Unterkunft der Antragstellerin an die Antragsgegnerin zahle. Eine Zwangsmittelan-drohung habe nicht ergehen dürfen, da der Widerruf der Zuweisung der bisherigen Wohnung und die Auszugsanordnung rechtswidrig seien. Die Antragstellerin habe sich – wenn auch erfolglos – intensiv in den vergangenen Wochen bemüht, eine Unterkunft für sich, ihren Sohn, ihren Lebensgefährten und ihre Tochter zu finden.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt. Sie führte mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017 – eingegangen beim Gericht per Fax am selben Tag – aus, dass Ziff. 1.1. des Bescheids vom 25. Januar 2017 einen Schreibfehler enthalte und es richtigerweise heißen müsse:
„In Nr. 2 Satz 1 wird die Bezeichnung „Zimmer 3“ ersetzt durch „Zimmer 2“.
Auch wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Räumung der Unterkunft der Antragstellerin am Tag nach der (ablehnenden) Entscheidung des Verwaltungsgerichts um 08:00 Uhr erfolgen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Beschluss der Kammer vom 2. Januar 2017 – M 22 S. 17.535 -, die Gerichtsakten (M 22 S. 17.535, M 22 K 17.534 sowie M 22 S. 16.5528 und M 22 K 16.5525) und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin war nach § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – dahingehend auszulegen, dass allein die neue Zwangsmittelan-drohung in Ziff. 1.2. des Bescheids vom 25. Januar 2017 erfasst ist. Der Antrag ist insoweit als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG.
Die in Ziff. 1.1 vorgenommene Zuweisung eines neuen, im Übrigen größeren Zimmers stellt einen begünstigenden Verwaltungsakt dar, so dass es insoweit an einer Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog fehlen würde. Die Antragsgegnerin hat hinsichtlich Ziff. 1.1. des Bescheidtenors vom 25. Januar 2017 klargestellt, dass versehentlich „Zimmer 2“ und „Zimmer 3“ vertauscht wurden und der Antragstellerin daher nun das „Zimmer 2“ anstelle des bisherigen „Zimmer 3“ zugewiesen wurde. Dies ergibt sich auch aus der Begründung des Bescheids vom 25. Januar 2017 sowie aus einer Gesamtschau unter Einbeziehung des Bescheids vom 1. Dezember 2016.
2. Die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und gebotene Interessenabwägung aufgrund der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergibt, dass die erhobene Anfechtungsklage gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziff. 1.2. aller Voraussicht nach unbegründet ist, so dass das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt.
Soweit die Antragstellerin Einwendungen gegen den Grundverwaltungsakt, d.h. die Auszugs- und Räumungsanordnung nach Ziff. 3 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 geltend macht, ist festzustellen, dass diesbezügliche Einwendungen im streitgegenständlichen Verfahren ausgeschlossen sind. Denn alleine die Wirksamkeit und nicht die Rechtmäßigkeit vorausgegangener Akte ist Bedingung für die Rechtmäßigkeit folgender Vollstreckungsakte (BayVGH, B.v. 19.12.2013 – 6 ZB 13.180 – juris Rn. 8 m.w.N.; vgl. auch OVG Bautzen, B.v. 28.5.1998 – 1 S. 149-98 – NVwZ-RR 1999, 101, 102 m.w.N). Ungeachtet dessen bestehen gegen die Auszugs- und Räumungsanordnung auf Basis der vom Gericht unter dem Az. M 22 S. 16.5528 vorgenommenen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken (vgl. B.v. 2.1.2017 – M 22 S. 16.5528).
Hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Zwangsmittelandrohung (s.o.) kommt es allein auf das Vorliegen der allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen der Art. 18 ff. VwZVG an. Diese sind vorliegend gegeben. Die wirksame Auszugs- und Räumungsanordnung nach Ziff. 3 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 ist aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziff. 4 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 vollstreckbar, Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Die Androhung unmittelbaren Zwangs wurde an die Prozessbevollmächtigte gegen Empfangsbekenntnis nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1, Art. 5 VwZVG zugestellt, vgl. Art. 37 Abs. 7 Satz 1 VwZVG. Auch die übrigen Voraussetzungen an die Androhung unmittelbaren Zwangs sind erfüllt, insbesondere wurde entsprechend dem Beschluss der Kammer vom 2. Januar 2017 – M 22 S. 16.5528 – eine angemessene Vollstreckungsfrist gesetzt, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
Der Antrag war daher abzulehnen.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – in Verbindung mit Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs.
4. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Eilantrags war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen, § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.