Verwaltungsrecht

Anerkennung des Thoracic-Outlet-Syndroms als Folge eines Dienstunfalls

Aktenzeichen  3 ZB 15.798

Datum:
2.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46043
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 45 f.
VwGO §§ 86 I 1, 88, 108 I, 120

 

Leitsatz

Die gerichtliche Aufklärungspflicht ist bei Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verletzt, wenn das Gutachten ungeeignet ist, dem Gericht die für die Überzeugungsbildung notwendigen Grudlagen zu vermitteln. Das ist der Fall, wenn das Gutachten erkennbare Mängel aufweist, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 11.1037 2015-02-03 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Die Berufung wird zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht das auf die Aufhebung der Ziff. 2 des Bescheids vom 29. Januar 2009 (Rückforderung von 1.957,68 Euro) gerichtete Klagebegehren abgewiesen hat.
Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, soweit sein Zulassungsantrag abgelehnt worden ist.
III.
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 3. Februar 2015 wird der Streitwert für das Verfahren in erster Instanz auf 6.957,68 Euro festgesetzt. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren des Klägers wird, soweit der Zulassungsantrag abgelehnt worden ist, auf 5.000 Euro festgesetzt, der Streitwert für die zugelassene Berufung vorläufig auf 1.957,68 Euro.

Gründe

I.
Der 1976 geborene Kläger steht als Technischer Amtmann beim Wasserwirtschaftsamt H. im Dienst des Beklagten. Am 6. Februar 2008 erlitt er auf dem Weg zu seiner Dienststelle einen Verkehrsunfall. Mit Bescheid vom 8. Mai 2008 erkannte der Beklagte durch das Landesamt für Finanzen, Dienststelle R., Bezügestelle Dienstunfall (Landesamt) das Ereignis vom 6. Februar 2008 als Dienstunfall an und stellte als Dienstunfallfolgen ein HWS-Schleudertrauma sowie eine unfallbedingte Blockierung der HWS fest.
Der Kläger legte unter dem 7. Juli 2008 „anlässlich [seiner] noch bestehenden Beschwerden hinsichtlich des Wegeunfalls“ dem Landesamt einen Untersuchungsbericht der Klinik für Neurologie am Bezirkskrankenhaus B. vom 2. Juli 2008 über eine ambulante Behandlung wegen eines Thoracic-Outlet-Syndroms beidseits (links > rechts) mit intermittierender N. ulnaris-Irritation im Rahmen der Gefäßnervenbündelenge (TOS) mit der Bitte um Kenntnisnahme vor.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 lehnte das Landesamt die Anerkennung eines TOS als weitere Folge des Dienstunfalls vom 6. Februar 2008 ab (Ziff. 1) und forderte bereits geleistete vorläufige Zahlungen für Heilbehandlungskosten in Höhe von 1.957,68 Euro zurück (Ziff. 2).
Mit seiner zum Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt beantragt, den Bescheid des Landesamts vom 29. Januar 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ein Verkettungssyndrom als weitere Folge des Dienstunfalls vom 6. Februar 2008 anzuerkennen und den Behandlungszeitraum auf die Zeit bis November 2011 zu erstrecken. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil als unbegründet erachtet und abgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht das auf die Aufhebung der Ziff. 2 des Bescheids vom 29. Januar 2009 (Rückforderung von 1.957,68 Euro) gerichtete Klagebegehren abgewiesen hat. Der zuletzt gestellte Klageantrag umfasst, wenngleich formuliert als „klassische“ Versagungsgegenklage, auch die Rückforderung bereits geleisteter vorläufiger Zahlungen, die der angefochtene Bescheid in Ziff. 2 zum Gegenstand hat. Dem Urteil des Verwaltungsgerichts lässt sich in keiner Weise entnehmen, weshalb es dieses Klagebegehren abgewiesen hat. Somit liegt der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, dass die Entscheidung insoweit nicht mit Gründen versehen sei (§ 138 Nr. 6 VwGO), vor. Da der Antrag ausweislich der Entscheidungsformel beschieden worden ist, liegt kein Übergehen eines gestellten Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO vor, das nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Urteilsergänzung (§ 120 Abs. 2 VwGO) geltend gemacht werden könnte (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 120 Rn. 3).
Die Landesanwaltschaft verweist darauf, das Verwaltungsgericht habe durch den Trennungsbeschluss vom 3. Februar 2015 sämtliche Fragen der Kostenerstattung dem weiterhin erstinstanzlich anhängigen Verfahren B 5 K 15.65 zugewiesen. Sie verkennt jedoch, dass der abgetrennte Klageantrag bisher vom Landesamt nicht erstattete Aufwendungen (Hauptantrag) bzw. die Freistellung von Erstattungsansprüchen der privaten Krankenversicherung des Klägers und bisher „von keiner Stelle erstattete“ Aufwendungen (Hilfsantrag) betrifft und nicht sämtliche Fragen der Kostenerstattung. Die Rückforderung bereits erstatteter Aufwendungen ist vom abgetrennten Klageantrag gerade nicht erfasst.
Eine Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO, wie von der Landesanwaltschaft angeregt, verbietet sich. Zwar ist der der Vorschrift des § 144 Abs. 4 VwGO zugrunde liegende allgemeine Rechtsgedanke der Ergebnisrichtigkeit grundsätzlich auch in Verfahren auf Zulassung der Berufung zu berücksichtigen. Auch ein solches Antragsverfahren soll unabhängig davon, dass insoweit eine dem § 144 Abs. 4 VwGO vergleichbare Vorschrift fehlt, aus prozessökonomischen Gründen nicht um eines Fehlers willen fortgeführt werden, der mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis des Rechtsstreits bedeutungslos bleiben wird (vgl. BayVGH, B. v. 10.11.2014 – 20 ZB 14.251 – juris). Dies gilt jedoch nicht, wenn – wie hier – ein Verfahrensfehler einen absoluten Revisionsgrund i. S. d. § 138 darstellt (vgl. Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Okt. 2015, § 144 Rn. 53).
2. Im Übrigen bleibt der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag ohne Erfolg.
2.1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
2.1.1 Ernstliche Zweifel bestehen nicht, soweit der Kläger mit der Ziff. 1 des Bescheids vom 29. Januar 2009 den Anfechtungsteil seiner Versagungsgegenklage isoliert in den Blick nimmt und darauf hinweist, er habe nie beantragt, das TOS als weitere Folge des Dienstunfalls vom 6. Februar anzuerkennen. Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger durch die Vorlage des Untersuchungsberichts vom 2. Juli 2008 zum Ausdruck gebracht hat, dass er weitere Dienstunfallleistungen begehrt und insoweit einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Im Übrigen kann ein Verwaltungsverfahren auch von Amts wegen durchgeführt werden (Art. 22 Satz 2 Nr. 1 BayVwVfG). Art. 47 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG verdeutlicht, dass die Dienstunfallfürsorge nicht allein Antragsverfahren ist.
2.1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Anerkennung eines Verkettungssyndroms als weitere Dienstunfallfolge aus dem Unfallereignis vom 6. Februar 2008 gemäß Art. 45 ff. BayBeamtVG zu Recht abgewiesen, weil dieses nicht durch den Dienstunfall verursacht wurde.
Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe auf der Grundlage eines mangelhaften Gutachtens entschieden.
Bei Einwänden gegen die freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene richterliche Überzeugung als tatsächliche Grundlage eines Urteils (§ 108 Abs. 1 VwGO) liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur vor, wenn das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung mit Blick auf eine entscheidungserhebliche Tatsache von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder wenn die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung im Lichte der Begründung des Zulassungsantrags fragwürdig erscheint.
Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist. Dabei entscheidet das Tatsachengericht über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Dies gilt auch für die Einholung von Gutachten oder die Ergänzung vorhandener Gutachten oder Arztberichte und selbst dann, wenn eine solche Maßnahme der Sachverhaltsermittlung von einem Beteiligten angeregt worden ist. Die gerichtliche Aufklärungspflicht ist verletzt, wenn sich das Gericht auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten stützt, das objektiv ungeeignet ist, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt (vgl. BVerwG, B. v. 3.2.2010 – 2 B 73/09 – juris Rn. 9; B. v. 30.6.2010 – 2 B 72/09 – juris Rn. 5 m. w. N.).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs ist es nicht zu beanstanden, dass es das Verwaltungsgericht nach der Einholung des Sachverständigengutachtens vom 23. Mai 2014 und der ergänzenden Stellungnahme vom 22. Oktober 2014 als erwiesen erachtet hat, dass die vom Kläger geltend gemachte weitere Dienstunfallfolge „Verkettungssyndrom“ nicht vorliegt. Das Gutachten ist im Zusammenhang mit den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung auch nach Ansicht des Senats in sich schlüssig und sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis überzeugend. Auch aus der Antragsbegründung ergibt sich nicht, dass dem Sachverständigengutachten derartige Mängel anhaften, dass es sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen, ein weiteres Gutachten einzuholen.
a. Der Kläger rügt, der gerichtlichen bestellten Sachverständigen fehle die für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts erforderliche fachliche Breite. Sie sei nicht Fachärztin (für Orthopädie) und könne die hier erforderlichen notwendigen Kenntnisse auf dem Feld der manuellen Medizin nicht belegen. Diese Einwendungen gegen die Sachkunde der Gutachterin können die Verwertbarkeit des Gutachtens nicht in Frage stellen. Die Gutachterin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die manuelle Therapie ebenso wie die Chirotherapie Teil ihrer täglichen Arbeit sei und entsprechend auch in die Ausbildung mit integriert sei. Sie habe beispielsweise diesbezüglich Kurse in Isny absolviert. Der Kläger führt hierzu aus, einzelne Fortbildungsmaßnahmen in Isny genügten für den Erwerb der Qualifikation „Manuelle Medizin/Chirotherapie“ nicht. Er bleibt damit unkonkret, zeigt nicht auf, warum die von der Gutachterin beispielsweise genannten Fortbildungsmaßnahmen sie nicht hinreichend qualifizieren sollen und legt damit keine ernstlichen Zweifel dar.
b. Der Kläger meint, es wäre Aufgabe der gerichtlich bestellten Sachverständigen gewesen, auf das Gutachten Dr. F. vom 6. Juni 2011 einzugehen, was ihr aber mangels entsprechender Kenntnisse und Erfahrungen offenbar nicht möglich gewesen sei. Ihre Ausführungen im Ergänzungsgutachten und in der mündlichen Verhandlung enthielten nicht mehr als punktuelle „Statements“ und das eine oder andere Zitat, jedoch keine geschlossene und tragfähige fachlich begründete Beurteilung der Thematik. Auch dieser Vortrag ist nicht geeignet, einen erheblichen Mangel des Gutachtens zu begründen. Die Gutachterin hat in ihrem Ergänzungsgutachten vom 22. Oktober 2014 ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. F. nicht zu den Indizien gehört, die zur kritischen Bewertung der Fallbetrachtung herangezogen werden könnten. Es sei nicht ihre Aufgabe gewesen, sich mit dem Gutachten von Dr. F. ausführlich auseinanderzusetzen, sondern anhand objektivierbarer Befundtatsachen den damaligen Zustand der Halswirbelsäule zu beurteilen.
c. Der Kläger trägt vor, die Ausführungen der Sachverständigen zur erforderlichen Behandlungsdauer seien nicht ausreichend differenziert und nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechend.
Die Gutachterin ist davon ausgegangen, dass die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag und die Kernspintomographieaufnahmen vom 14. Februar 2008 Anzeichen degenerativer Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule zeigen. Bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen könnten die Ausheilungszeiten durchaus von der Norm abweichen. Im vorliegenden Fall könne somit von einer Ausheilungszeit, die üblicherweise bei ein bis zwei Wochen liege, abgewichen werden und es könne eine verlängerte Behandlungszeit von vier Wochen unfallbedingt anerkannt werden.
Der Kläger verweist auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zum Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule. Danach liege die mittlere Rückbildungszeit für alle Schweregrade bei rund einem Monat. Nur 12% der Patienten seien nach sechs Monaten noch nicht bei ihrem Status quo ante angelangt. Er schlussfolgert daraus, es gebe eben Fälle, in denen ein Zeitraum von vier Wochen nicht genüge.
Allein der Umstand aber, dass 12% der Patienten auch nach sechs Monaten nicht bei ihrem Status quo ante angelangt sind, vermag das Gutachten nicht zu widerlegen. Mit seiner abstrakten Argumentation vermag der Kläger eine konkrete, also auf seinen Fall bezogene längere Rückbildungszeit nicht zu belegen.
d. Der Kläger rügt, die Gutachterin habe weder schlüssig darlegen noch gar begründen können, dass beim Kläger degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule vorgelegen hätten, die als Ursache für die den Zeitraum von vier Wochen übersteigende Behandlungsdauer angesehen werden könnten. Es stehe schon nicht fest, ob degenerative Veränderungen von Gewicht überhaupt vorlägen und ggf. in welchem Umfang.
Die Gutachterin berichtet in ihrem Sachverständigengutachtens vom 23. Mai 2014 von einer diskreten Einengung C1/C2 links und einer leicht rechtskonvexen Verbiegung der Halswirbelsäule (S. 15), beginnenden degenerativen Veränderungen (C0/C1-Verschmälerung des Zwischenwirbelraums linksseitig, S. 16) und einer degenerativen Bandscheibenvorwölbungen der Bandscheiben C3/C4 und C5/C6 (S. 17).
Der Kläger nimmt dies zwar zur Kenntnis, hält die Veränderungen aber nur für geringfügig bzw. minimal, ohne dass sich dies aus den gutachterlichen Feststellungen ablesen ließe. Er meint, bei Personen in seinem Alter lägen entsprechende degenerative Veränderungen wohl nahezu bei jedem vor. Wenn man das Alter von 30 Jahren überschritten habe, gehe es eben unweigerlich abwärts. Mit diesen Allgemeinfeststellungen und seiner Wertung aus der Laiensphäre kann er die gutachterlichen Feststellungen nicht widerlegen.
e. Der Kläger weist darauf hin, dass auch Vorerkrankungen nicht die Annahme einer dreieinhalbjährigen schmerzhaften körperlichen Beeinträchtigung des Klägers rechtfertigten.
Die Frage etwaiger Vorerkrankungen war für die Gutachterin nicht maßgeblich. Sie hat eine individuelle Fallbetrachtung angestellt und die degenerativ vorbestehenden Veränderungen berücksichtigt (S. 20 des Sachverständigengutachtens vom 23.5.2014, S. 6 der ergänzenden Stellungnahme vom 22.10.2014). Lediglich am Ende ihres Sachverständigengutachtens vom 23. Mai 2014 führt sie nachrichtlich aus, dass bereits im Jahr 2007 eine Blockierung der HWS und ein akuter Schiefhals ohne äußeres Unfallereignis eingetreten seien und zu ähnlichen Beschwerden geführt hätten, wie sie nach dem Unfallereignis beklagt worden seien. Sie hat in der mündlichen Verhandlung (S. 6 der Niederschrift) hierzu nochmals klarstellend ausgeführt, dass in ihrem Gutachten keine Aussage getroffen worden sei, dass der Schiefhals des Klägers im Jahr 2007 ausschlaggebend für die Entwicklung im Jahr 2008 gewesen sei.
f. Auch mit seiner zusammenfassenden Feststellung kann der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darlegen.
Das Verwaltungsgericht hat unter Rn. 50 (juris) seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Gutachterin erläutert habe, dass beim Kläger degenerative Veränderungen an der Hals- und Brustwirbelsäule vorlägen, die als Ursache für die den dienstunfallbedingten Zeitraum von vier Wochen übersteigende Behandlungsdauer angesehen werden müssten. Der Kläger führt hierzu aus, die Gutachterin habe diesen Schluss nicht gezogen, sondern diese Veränderungen lediglich als in Frage kommende Ursache in den Raum gestellt. Der Kläger betont, dass seine Beschwerden in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Dienstunfall aufgetreten seien, so dass auch deshalb die Vermutung nahe liege, dass es sich um Dienstunfallfolgen handelte. Wegen des zeitlichen Zusammenhangs und einer zumindest teilweisen Identität der Beschwerden bei einer HWS-Distorsion und dem Verkettungssyndrom sei der Dienstunfall als wesentlich mitwirkende Teilursache und nicht als isoliertes Ereignis anzusehen.
Auch aus diesem Vortrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Dem Kläger kommen die Beweiserleichterungen des Anscheinsbeweises nicht zugute. Denn ein Anscheinsbeweis greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Typizität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BVerwG, U. v. 28.4.2011 – 2 C 55/09 – ZBR 2012, 38 – juris Rn. 18). An einer derartigen Typizität fehlt es hier. Eine solche wurde vom Kläger auch nicht behauptet.
Das Verwaltungsgericht hat im Hinblick auf den vom Kläger zu führenden Nachweis einer dienstunfallbedingten Dauer der Behandlung berücksichtigt, dass dieser eine Untersuchung bei dem vom Beklagten beauftragten Gutachter verweigert hatte mit der Folge, dass durch eine zeitnahe körperliche Untersuchung durch einen unabhängigen Gutachter der Frage einer möglichen durch den Dienstunfall wesentlich (mit)verursachten Blockierung nicht nachgegangen werden konnte (juris Rn. 52). Der Kläger weist darauf hin, er sei zu einer Untersuchung nicht verpflichtet gewesen. Zudem habe das Landesamt fakultativ ein psychiatrisches Zusatzgutachten gewünscht. Im Übrigen habe er bei dem beauftragten Arzt ein tendenziell negatives Gutachten erwartet. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich daraus nicht. Im Dienstunfallrecht gelten grundsätzlich die allgemeinen Beweisgrundsätze: Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Wenn sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht klären lassen, trägt der Beamte die materielle Beweislast (vgl. BVerwG, B. v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris; BayVGH, B. v. 15.2.2016 – 3 ZB 14.1329 – juris Rn. 8). Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, aus welchen Gründen der Kläger seinerzeit nicht zu dem vom Landesamt vorgeschlagenen Gutachter gegangen ist.
2.2 Auch der unter Hinweis auf die Notwendigkeit eines weiteren Sachverständigengutachtens geltend gemachte Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und der Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) liegt nicht vor. Der Kläger sieht einen Mangel darin, dass das Verwaltungsgericht seinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt hat, mit dem er die Einholung eines weiteren Gutachtens zum Beweis des Tatsache beantragt hat, dass das Unfallgeschehen vom 6. Februar 2008 nicht nur zu einer Halswirbeldistorsion des Schweregrads II nach Quebec-Task-Force, sondern auch zur raschen Entwicklung eines Verkettungssyndroms mit fortbestehenden Blockierungen im unteren Halswirbel-, oberen Brustwirbel- und unteren Lendenwirbelsäulenbereich und damit einhergehenden Schmerzen und Missempfindungen der oberen Extremitäten geführt hat und keine weiteren, zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens für die Entwicklung des Verkettungssyndroms relevanten Schäden vorgelegen haben. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag laut der Niederschrift über die mündliche Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, dass es das vorliegende Gutachten für ausreichend erachte, um ihm eine Überzeugungsbildung zu ermöglichen, und kein Anlass bestehe, an der Sachkunde der Gutachter zu zweifeln. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Ablehnungsgrund nicht trägt. Wie bereits unter 2.1. dargelegt, lassen sich grobe, offen erkennbare oder unlösbare Widersprüche des Gutachtens, die dieses zur Sachverhaltsaufklärung ungeeignet oder jedenfalls nicht ausreichend tragfähig erscheinen ließen, dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen
3. Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist. Hinsichtlich der Zulassung der Berufung bedarf es keiner Kostenentscheidung, weil die Kosten des Zulassungsverfahrens insoweit zu den Kosten des Berufungsverfahrens gehören und gesonderte Gerichtsgebühren nach Nr. 5121 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht entstehen.
Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 3 GKG.
Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist, beruht die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Die Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist, ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Soweit die Berufung zugelassen worden ist, gilt die nachfolgende Belehrung:
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die einschlägigen, jeweils geltenden Vorschriften Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

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