Verwaltungsrecht

Anerkennung von Bereitschaftszeiten als Dienstzeiten

Aktenzeichen  B 5 E 18.1023

Datum:
29.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30679
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 88 S. 2
VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Mehrarbeit iSd § 88 S. 2 BBG ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamtes oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus – dh nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs – verrichtet. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitsstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bereitschaftsdienst ist nach § 88 S. 2 BBG abgeltungsfähiger Dienst. Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. „Entsprechende Dienstbefreiung“ in § 88 S. 2 BBG heißt bei Bereitschaftsdienst – ebenso wie bei Volldienst – voller Freizeitausgleich im Verhältnis „1 zu 1“. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller auf dessen Arbeitszeitkonto 99,75 Stunden gutzuschreiben.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die weitere Anerkennung von Bereitschaftszeiten als Dienstzeiten.
Der Antragsteller ist derzeit als Polizeioberkommissar bei der Bundespolizeiabteilung … beschäftigt. Er tritt mit Ablauf des … 2018 in den Ruhestand. Er hat im laufenden Jahr mit Ausnahme der Monate Oktober und November 2018 bereits den Urlaub sowie die bisher unstreitigen Bereitschaftsdienstzeiten eingebracht.
Mit Schreiben des Antragstellers vom 18. April 2017 an die Bundespolizeiabteilung … beantragte er unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Abänderung und Neuberechnung der von ihm geleisteten Bereitschaftsdienste, soweit diese noch nicht verjährt sind.
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 teilte die Bundespolizeiabteilung … mit, dass mit Verfügung des Bundespolizeipräsidiums vom 30. Juni 2017 bestimmt wurde, dass Bereitschaftsdienstzeiten, die ab dem 17. November 2016 geleistet wurden, mit „1:1“ in Freizeit auszugleichen seien. Insoweit wurde dem Antrag bereits entsprochen und die entsprechenden Dienstzeiten wurden im ePlan Bund gutgeschrieben. Für vor dem 17. November 2016 geleistete Bereitschaftsdienstzeiten verbleibe es bei der Regelung mit Wertung zu 50% je geleisteter Bereitschaftsdienststunde.
Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 17. Januar 2018 Widerspruch. Er begehrte weiter die volle Anrechnung seiner geleisteten Bereitschaftsstunden aus dem Zeitraum vom 17. November 2014 bis 16. November 2016 noch vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Dem Schreiben war eine Auflistung der Bereitschaftszeiten für den Zeitraum vom 11. März 2015 bis 11. August 2016 beigelegt.
Mit Widerspruchsbescheid der Direktion Bundesbereitschaftspolizei vom 21. Februar 2018, der dem Antragsteller am 27. Februar 2018 zuging, wurde dem Widerspruch insoweit abgeholfen, als die vom Antragsteller geleisteten Bereitschaftszeiten zwischen dem 27. Januar 2016 und dem 11. August 2016 mit einer Anrechnung zu 100% nachberechnet wurden. Dies umfasste Bereitschaftsdienstzeiten in Höhe von 27 Stunden und 16 Minuten. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Begründend wurde darin ausgeführt, dass mit dem Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 7. Dezember 2017 (BMI – B 1 – 30105/1#2) festgelegt worden sei, dass für Mehrarbeit gemäß § 88 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) als auch für Bereitschaftsdienstzeiten gemäß § 87 BBG, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet wurden, die rückwirkende Anerkennung ab dem 18. November 2015 mit einer „1:1“ Vergütung erfolge ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Für Zeiten des Bereitschaftsdienstes vor dem 18. November 2015 würden weiterhin 50% vergütet. Daher seien die vom Kläger im Zeitraum vom 11. März 2015 bis 9. November 2015 erbrachten Bereitschaftsdienste von dieser Regelung nicht umfasst und könnten daher auch nicht in die Nachberechnung mit einbezogen werden.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23. März 2018 erhob der Antragsteller Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom 9. Mai 2018 die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 13. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 2018 sowie die Verpflichtung, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 99,75 Stunden gutzuschreiben (B 5 K 18.298). Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsatz vom 13. Juli 2018 durch die Direktion Bundesbereitschaftspolizei und beantragte, die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 1. Oktober 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth per Telefax am gleichen Tag, ließ der Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller auf dessen Arbeitszeitkonto 99,75 Stunden gutzuschreiben.
Begründend führt der Bevollmächtigte aus, dass sich die noch strittigen Stundengutschriften auf etwa drei Wochen beliefen, was etwa 15 Arbeitstagen entspreche. Mit Eintritt in den Ruhestand entfielen sowohl ein Anspruch auf Freizeitausgleich wie auch ein Anspruch auf eine Abgeltung der Mehrarbeitsstunden in Form der Mehrarbeitsvergütung, sofern der Antragsteller keine zwingenden dienstlichen Gründe glaubhaft machen könne. Aufgrund der drohenden, nachträglich nicht mehr zu beseitigenden Nachteile könne die Vorwegnahme der Hauptsache dem nicht entgegengehalten werden. Jedenfalls wäre die Vorwegnahme zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Zur Begründung des Anordnungsanspruchs beruft sich der Antragsteller auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016 (2 C 21/15), der zufolge der Sinn und Zweck des § 88 Satz 2 BBG, die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit, entscheidend für die Auslegung spreche, dass auch bei Bereitschaftszeiten ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich bestehe. Da sich die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2018 nicht mit der vorbenannten Entscheidung auseinandergesetzt habe, sei die Ablehnung bereits ermessensfehlerhaft.
Für die Antragsgegnerin erwiderte die Direktion Bundesbereitschaftspolizei mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2018 und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller habe weder einen Anordnungsanspruch, noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Eine rückwirkende, weitere Anrechnung von Bereitschaftsdienstzeiten im Verhältnis „1:1“ für die Zeit vor Urteilserlass sei nicht vorgesehen. Die weitergehende Anrechnung sei im Wege einer Ermessensentscheidung für ein weiteres Jahr von der zuständigen Behörde anerkannt worden. Zudem sei von Verwirkung auszugehen, da der Antrag erstmalig am 18. April 2017 gestellt worden sei und damit nicht in zeitlicher Nähe zu seiner Entstehung geltend gemacht worden sei. Die Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung resultiere aus der Rücksichtnahmepflicht im Rahmen des Beamtenverhältnisses. Der Dienstherr müsse aus Vertrauensgesichtspunkten im Hinblick auf die Planbarkeit der Einsatzkräfte zu einem absehbaren Zeitpunkt Gewissheit darüber haben, dass nicht kalkulierbare weitere Ansprüche auf Freizeitausgleich aus bereits abgerechneten Einsätzen hinzukämen. Die Behörde müsse auf Einsatzlagen flexibel reagieren können. Die Anwendung der Rechtsprechung ab Urteilsdatum sowie die darüber hinausgehende fürsorgerechtlich großzügige Ermessensregelung für ein weiteres Jahr seien sachlich gerechtfertigt.
Für den Antragsteller erwiderte dessen Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2018. Der Antragsteller habe erst nach der am 17. November 2016 ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erkennen können, dass ein Differenzausgleich entgegen der bisherigen Gutschrift von 50% bestehen könne. Bei einem unterstellten Verwirkungszeitraum von etwa einem Jahr habe der Antragsteller ab Kenntniserlangung lediglich etwa fünf Monate zugewartet, bis er einen Anspruch auf Ausgleich geltend gemacht habe. Eine frühere Geltendmachung, die im Widerspruch zu den verwaltungsinternen Richtlinien gestanden hätte, wäre nicht zumutbar gewesen.
Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2018 entgegnete die Antragsgegnerin erneut durch die Direktion Bundesbereitschaftspolizei und führte an, dass erst ab Datum des Urteils eine Anerkennungspflicht für den Dienstherrn bestehe. Andernfalls müsste immer mit rückwirkenden Ansprüchen aufgrund einer Rechtsprechungsänderung gerechnet werden. Zudem gelte für die arbeitszeitrechtlichen Ansprüche aus § 88 BBG nach der Gesetzessystematik die kurze Jahresfrist, nach deren Ablauf nach dem Willen des Gesetzgebers keine Ansprüche hinsichtlich nicht abgewickelter Mehrarbeit mehr entstehen sollten. Auf eine Kenntnis oder Unkenntnis von eventuell anspruchsbegründenden Tatsachen komme es ersichtlich nicht an. Der Gedanke der Rechtssicherheit in Fragen der Arbeitszeitabrechnung sei vorrangig.
Am 26. Oktober 2018 legte die Antragsgegnerin die ePlan-Auszüge des Antragstellers für das Jahr 2015 vor.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
1. Der Antragsteller begehrt vorliegend eine einstweilige Anordnung, die ihm gerade die Rechtsposition vermitteln soll, die er auch im Klageverfahren anstrebt. Eine solche Anordnung würde aber eine mit Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zu vereinbaren und somit unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ist eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Entscheidung nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (vgl. stRspr. BVerwG, B.v. 13.8.1999 – 2 VR 1.99 – juris; OVG NRW, B.v. 20.6.2008 – 6 B 971/08).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Antragsteller würde im Hauptsachverfahren nicht mehr so rechtzeitig Rechtsschutz erlangen, dass er im Erfolgsfalle einen Anspruch auf Freizeitausgleich wie auch einen Anspruch auf eine Abgeltung der Mehrarbeitsstunden in Form der Mehrarbeitsvergütung noch geltend machen könnte (vgl. hierzu VG Bayreuth, U.v. 25.10.2016 – B 5 K 15.570 – juris, Rn. 26). Denn der Antragsteller tritt mit Ablauf des …2018 in den Ruhestand. Auch wird der Antragsteller im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen.
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, gegebenenfalls bereits vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. § 123 Abs. 1 VwGO setzt ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgebend für die Beurteilung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
a) Der Antragsteller hat hinsichtlich der beantragten Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache kann ihm in Anbetracht seines baldigen Eintritts in den Ruhestand nicht zugemutet werden. Ein Anspruch auf Freizeitausgleich könnte dann nicht mehr geltend gemacht werden (s.o.), weshalb für den Antragsteller irreversible Nachteile eintreten würden.
b) Auch hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Gutschrift der von ihm geleisteten Mehrarbeitsbereitschaftszeiten auf seinem Arbeitszeitkonto.
Nach § 88 Satz 2 BBG ist Beamtinnen und Beamten, die durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden, innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Voraussetzung für den Freizeitausgleich ist damit, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist; es kommt nicht darauf an, ob sie auch angeordnet und genehmigt werden durfte (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 12; B.v. 8.3.1967 – 6 C 79.63 – Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 2 S. 12f.).
aa) Mehrarbeit im Sinne des § 88 Satz 2 BBG ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamtes oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus – d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs – verrichtet (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 13; U.v. 23.9.2004 – 2 C 61.03 – BVerwGE 122, 65 [68] = juris, Rn. 14f.).
Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitsstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 14; v. 2.4.1981 – 2 C 1.81 – juris, Rn. 20; v. 28.5.2003 – 2 C 28.02 – juris, Rn. 14; v. 23.9.2004 – 2 C 61.03 – BVerwGE 122, 65 [69] – juris, Rn. 18).
Dass es sich bei den hier gegenständlichen Bereitschaftszeiten um Mehrarbeit im Sinne des § 88 Satz 2 BBG handelt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch hat der Antragsteller mit der seiner Antragsbegründung beigefügten Tabelle die fraglichen Bereitschaftszeiten im Einzelnen aufgelistet. Zudem ergibt sich aus den von Antragsgegnerseite vorgelegten ePlan-Auszügen, dass ein Einsatz des Klägers an den vorliegend gegenständlichen Bereitschaftstagen entsprechend des Schichtmodells nicht vorgesehen war. Zudem findet sich an den fraglichen Tagen in der Spalte aUAZ (=angeordnete Überarbeitszeit) jeweils ein „ja“, so dass hinreichend im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht ist, dass es sich bei den fraglichen Bereitschaftsdienstzeiten um angeordnete Mehrheit im vorgenannten Sinne handelt.
bb) Bereitschaftsdienst ist nach § 88 Satz 2 BBG abgeltungsfähiger Dienst (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 15; v. 29.3.1974 – 6 C 21.71 – Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 10 S. 24ff. und v. 25.10.1979 – 2 C 7.78 – BVerwGE 59, 45 [46f.] – juris, Rn. 41). Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 15; v. 22.1.2009 – 2 C 90.07 – Buchholz 240.1 BBesO Nr. 31 Rn. 14, 17 m.w.N.; vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 12 Arbeitszeitverordnung – AZV – vom 23.2.2006 [BGBl. I S. 427]).
„Entsprechende Dienstbefreiung“ in § 88 Satz 2 BBG heißt bei Bereitschaftsdienst – ebenso wie bei Volldienst – voller Freizeitausgleich im Verhältnis „1 zu 1“. Dies ergibt sich aus der Auslegung dieser Bestimmung nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 16ff.).
Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus zur Bestimmung des Umfangs des zu gewährenden Freizeitausgleichs auf das Maß und die Intensität der Inanspruchnahme während der geleisteten Mehrarbeit abzustellen, legt aber wegen des Fehlens der Benennung dieses Kriteriums gleichwohl nahe, dass allein an den zeitlichen Umfang der geleisteten Mehrarbeit angeknüpft und damit ohne Unterscheidung nach der Art des Dienstes – Volldienst oder Bereitschaftsdienst – voller Freizeitausgleich gewährt wird.
Auch kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg einwenden, dass das Bundesverwaltungsgericht erst im Jahr 2016 entschieden habe, dass „entsprechende Dienstbefreiung“ in § 88 Satz 2 BBG bei Bereitschaftsdienst vollen Freizeitausgleich bedeute. Denn der Begriff der „entsprechenden“ Dienstbefreiung, der nunmehr im Hinblick auf Bereitschaftsdienstzeiten höchstrichterlich ausgelegt wurde, wurde bereits 1965 in den damals den Freizeitausgleichsanspruch regelnden § 72 Abs. 2 BBG eingefügt. Zurück ging diese Formulierung auf einen Vorschlag aus der Mitte des Bundestages, wonach dem Mehrarbeit leistenden Beamten „dem Umfang der Mehrleistungen entsprechend“ Dienstbefreiung zu gewähren sein sollte (BT-Drs. IV/2214 S. 1 und 3). Beabsichtigt war eine „klare gesetzliche Regelung (…) des Umfangs der als Äquivalent für die gegenüber der regelmäßigen Arbeitszeit erhöhten Dienstleistungen zu gewährenden Dienstbefreiung“.
Ohne dass damit eine Inhaltsänderung beabsichtigt war, erhielt der Freizeitausgleich in § 72 Abs. 2 BBG sodann die heute in § 88 Satz 2 BBG enthaltene Fassung, wonach „entsprechende Dienstbefreiung“ gewährt wird (BT-Drs. IV/3624, S. 1ff.). „Entsprechend“ meint damit dem (zeitlichem) Umfang – nicht: der Intensität der Mehrleistung – entsprechend (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 – juris, Rn. 19). Die der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegte Rechtslage besteht damit bereits seit 1965 und kann auch nicht durch Verwaltungsvorschriften oder ministerielle Erlasse abbedungen werden. Einer irgendwie gearteten Übergangsregelung zum Umgang mit „Altfällen“ bedurfte es nicht, da eine Änderung der Rechtslage vorliegend nicht in Rede steht. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner vorgenannten Entscheidung lediglich zur Auslegung des bereits in der Vergangenheit geltenden § 88 Satz 2 BBG geäußert.
cc) Zwar ist der Anspruch des Beamten auf Dienstbefreiung innerhalb eines Jahres ohne Stellung eines besonderen Antrags zu gewähren, § 88 Satz 2 BBG. Bei der Jahresfrist handelt es sich jedoch nicht um eine Ausschlussfrist, die zur Folge hätte, dass der Anspruch des Beamten nach ihrem Ablauf verfiele (vgl. NdsOVG, NVwZ-RR 2014, 201). Es liefe dem Treueverhältnis zuwider, wenn der Anspruch auf Freizeitausgleich nach Fristablauf entfallen würde (vgl. OVG NRW, B.v. 22.4.2010 – 1 A 2265/08).
dd) Auch kann nicht von einer Verwirkung des Freizeitausgleichsanspruchs des Antragstellers hinsichtlich seiner im Jahr 2015 geleisteten Mehrarbeit ausgegangen werden. Der Rechtsgedanke der Verwirkung ist als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben auch im öffentlichen Recht einschließlich des Beamtenrechts anwendbar. Die Annahme der Verwirkung setzt ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten voraus, das geeignet ist, beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht werden. Außerdem wird eine Verletzung oder Gefährdung berechtigter Interessen des anderen Teils gefordert, etwa weil dieser sich auf die vom Berechtigten erweckte Erwartung, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, einrichten durfte und eingerichtet hat (BVerwG, B.v. 29.10.2008 – 2 B 22/08 – juris). Für Ansprüche auf Vergütung geleisteter Mehrarbeit hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus dem von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägten Verhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn die Pflicht abgeleitet, dass er anlässlich vom Dienstherrn anerkannter Überzeiten und auf dieser Basis erfolgter Gewährung von Freizeitausgleich darauf hinzuweisen hat, dass nach seiner Meinung für den fraglichen Zeitraum noch weitere Ansprüche wegen Mehrarbeit bestehen, so er solche geltend machen will (BayVGH, B.v. 5.10.2016 – 3 ZB 14.2462 – juris, Rn. 9 unter Hinweis auf B.v. 23.11.1982 – 3 B 82 A.1793 – ZBR 1983, 152). Denn nach der Gesetzessystematik ist Mehrarbeit im genannten Sinne vom Dienstherrn grundsätzlich innerhalb eines Jahres durch Dienstbefreiung auszugleichen und danach in Form einer Vergütung abzugelten, so dass außerhalb dieses Zeitraums Fälle nicht abgewickelter Mehrarbeit nicht entstehen sollen.
Im vorliegenden Fall bestand jedoch die Besonderheit darin, dass das Bundesverwaltungsgericht erst mit Urteil vom 17. November 2016 entschieden hat, dass bei Bereitschaftsdienst voller Freizeitausgleich zu gewähren ist und die bisherige Praxis der Antragsgegnerin die Bereitschaftsdienstzeiten lediglich in Höhe von 50% als ausgleichs- bzw. abgeltungsfähig zu betrachten, nicht mit § 88 Satz 2 BBG in Einklang zu bringen ist. Der Antragsteller beantragte – unter Verweis auf die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – die Abänderung und Neuberechnung der von ihm geleisteten Bereitschaftsdienste am 18. April 2017. Mithin hat der Antragsteller seinen Anspruch bereits wenige Monate nach Kenntnis von der weitergehenden Ausgleichspflicht der Antragsgegnerin geltend gemacht. Zu Recht weist der Bevollmächtigte des Antragstellers darauf hin, dass dem Antragsteller eine Geltendmachung seines weitergehenden Anspruchs auf Freizeitausgleich zu einem früheren Zeitpunkt nicht zumutbar war. Erst mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts konnte der Antragsteller um die rechtswidrige Abgeltungspraxis der Antragsgegnerin hinsichtlich geleisteter Bereitschaftsdiensten wissen. Damit fehlt es für eine Verwirkung bereits an dem erforderlichen Zeitmoment.
Abweichendes folgt auch nicht aus der Entscheidung des VG München vom 08.02.2017 – M 5 K 16.2752. In diesem Verfahren wandte sich die Klägerin zunächst im Jahr 2008 zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Dienstbefreiung an den Dienstherrn, über die letzterer noch im gleichen Jahr entschieden hat. Erst im Jahr 2011 machte die Klägerin sodann weitergehende Ansprüche auf Dienstbefreiung hinsichtlich der im Jahr 2008 geleisteten Bereitschaftszeiten geltend. Es bestand insoweit also eine Situation, in der der Dienstherr berechtigter Weise darauf vertrauen konnte, dass hinsichtlich der im Jahr 2008 geleisteten Bereitschaftszeiten keine weitergehenden Ansprüche gestellt werden.
3. Die Antragsgegnerin trägt als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Antragsverfahrens ist der Regelstreitwert zu halbieren, Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. http://www.bverwg.de/ medien/pdf/streitwertkatalog.pdf).

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