Aktenzeichen AN 4 K 16.30818
BGB BGB § 123
Leitsatz
Die pauschale Behauptung des Klägers im Asylverfahren, von der Ausländerbehörde und vom Bundesamt zur Abgabe einer Rücknahmeerklärung des Asylantrages „gezwungen worden“ zu sein, sowie gleichzeitig die Behauptung, die Rücknahmeerklärung des Asylantrages beruhe auf einem Missverständnis, das dem Kläger selbst unterlaufen sei, ist kein Anfechtungsgrund für die Rücknahmeerklärung analog § 123 BGB. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die bei sachdienlicher Auslegung des klägerischen Begehrens gemäß § 88 VwGO auf Aufhebung des Einstellungsbescheides des Bundesamtes vom 22. Juni 2016 gerichtete zulässige Klage ist unbegründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Auch soweit der Kläger die Verpflichtung des Bundesamtes begehrt, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes im Sinne von § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen oder das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, hier festgesetzt auf 30 Monate, abzukürzen bzw. auf Null festzusetzen, ist die Klage unbegründet, da dem Kläger entsprechende subjektiv-öffentliche Rechte nicht zustehen, § 113 Abs.1, 5 VwGO.
1.
Der Klageantrag des nicht anwaltlich vertretenen und erkennbar im Verwaltungsprozessrecht und Asylrecht nicht ausreichend rechtskundigen Klägers bedarf, auch wenn er zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Gerichts gestellt worden ist, der Auslegung im Hinblick auf ein sachdienliches Klageziel (§ 88 VwGO):
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 22. Juni 2016 wurde das Asylverfahren aufgrund der abgegebenen „Verzichtserklärung“ eingestellt (Ziffer 1). Ferner wurden die entsprechenden Nebenentscheidungen (Ziffern 2-4) getroffen. Eine Sachentscheidung des Bundesamtes über den ursprünglich gestellten Asylantrag ist gerade nicht ergangen.
Insoweit erweist sich der zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts gestellte Klageantrag in der protokollierten Form erkennbar als nicht sachdienlich.
In seiner Formulierung unterstellt der Antrag nämlich das Vorliegen einer Sachentscheidung des Bundesamts, insbesondere zu den Komplexen Asylanerkennung (Art. 16a GG), Flüchtlingsschutz (§ 3 AsylG) und subsidiärer Schutz (§ 4 AsylG).
Soweit mit der Klage der Sache nach die Einstellung des Verfahrens nach Antragsrücknahme als feststellender Verwaltungsakt (mit für den Kläger nachteiligen Folgen, Ziffer 2-4 des Bescheides) angegriffen werden soll (Ziffer 1 des Bescheides), ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig und sachdienlich. Denn wäre diese Klage erfolgreich, würde der Bescheid insoweit, wie auch hinsichtlich der an die Verfahrenseinstellung anknüpfenden Nebenentscheidungen in Ziffern 2-4, aufgehoben und das Bundesamt hätte das Verfahren weiterzuführen (vgl. BeckOK AuslR/Heusch AsylG § 32 Rn. 32).
2.
Die so verstandene Klage ist jedenfalls unbegründet, denn der Kläger hat, woran auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für die Kammer keine Zweifel bestehen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), mit seiner „Verzichtserklärung“ vom 25. April 2016 (Bl. 153 der Bundesamtsakte) seinen Asylantrag wirksam zurückgenommen und das Asylverfahren damit unmittelbar beendet. Die Einstellungsentscheidung des Bundesamtes gemäß § 33 Satz 1 AsylG stellt folglich eine rein deklaratorische Entscheidung dar.
Für die Rücknahme des Asylantrages gibt es keine besonderen gesetzlichen Formvorschriften, anders als für die Antragstellung selbst, § 14 AsylG. Hier liegt jedoch eine schriftliche Erklärung vor, deren Inhalt unter Ermittlung und Berücksichtigung des klägerischen Willens im Erklärungszeitpunkt auszulegen ist.
Die Erklärung des Klägers ist mit dem Begriff „Verzichtserklärung“ überschrieben. Beim „Verzicht“ handelt es sich um einen eigenständigen Beendigungstatbestand im Rahmen der sog. Familieneinheit, § 14 a Abs. 3 AsylG. Dieser ist grundsätzlich nicht auf andere Fallkonstruktionen übertragbar (Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 11. Auflage 2016, § 32 AsylG Rn. 5).
Allerdings ist der Wortlaut der abgegebenen, rechtstechnisch fälschlicherweise mit „Verzichtserklärung“ überschriebenen Erklärung des Klägers eindeutig auf eine Beendigung des Asylverfahrens gerichtet.
Bei der Verzichtserklärung vom 25. April 2016 handelt es sich um ein vorformuliertes Standardformular, welches der Kläger unterschrieben hat. Daraus ergibt sich, dass der Kläger „freiwillig und so bald wie möglich die Bundesrepublik Deutschland verlassen“ möchte, um in sein Heimatland – „Ukraine“ – zurückzukehren. Das Heimatland Ukraine ist handschriftlich eingetragen worden. Unter Ziffer I. ist zudem folgende Erklärung angekreuzt worden: „Ich bin am 13. Januar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und habe beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in … die Anerkennung als Asylberechtigter ‚gemäß des Gesetzes über das Asylverfahren‘ beantragt. Ich verzichte nunmehr auf die Weiterführung meines Asylverfahrens.“ Die angestrebte Beendigung des Asylverfahrens – aufgrund des geäußerten Ausreisewunsches – ist durch diesen Wortlaut eindeutig und unmissverständlich formuliert. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift am Ende des Formulars zu erkennen gegeben, dass der „Verzicht“ auf die Weiterführung des Asylverfahrens seinem Willen entspricht.
Zwar war bei der Unterzeichnung des Verzichtserklärungsformulars offenbar kein Dolmetscher zugegen, jedoch hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, die Erklärung und ihre Tragweite aus sprachlichen Gründen etwa nicht verstanden zu haben. Darüber hinaus hat sich der Kläger mehrfach – handschriftlich bzw. per Email – in deutscher Sprache an das Gericht gewandt. Wenngleich die Einlassungen des Klägers nicht in einem grammatikalisch einwandfreien Deutsch abgefasst wurden, kommt der Inhalt weitestgehend klar zum Ausdruck. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger auch den Inhalt seiner Erklärung auf dem einfach und verständlich formulierten Vordruck verstanden hat.
Der Kläger behauptet – ohne Angabe entsprechender Einzelheiten hierzu -, von der Ausländerbehörde und vom Bundesamt zur Abgabe der Verzichtserklärung „gezwungen worden“ zu sein. Diesen Vorwurf hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung wiederholt und einerseits erklärt, die Verzichtserklärung beruhe auf einem Missverständnis, das ihm beim Landratsamt unterlaufen sei. Er sei andererseits vom Landratsamt unter Druck gesetzt und falsch informiert worden. Daraufhin habe er den Fehler begangen. Die Rücknahme sei nicht freiwillig gewesen.
In dieser pauschalen und widersprüchlichen Begründung ist jedoch kein durchgreifender Grund für die Anfechtung der Rücknahmeerklärung gemäß § 123 BGB analog wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung zu sehen. Das Gericht verweist insoweit auf den Beschluss der Einzelrichterin vom 2. August 2016 im Verfahren AN 4 S 16.30817, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wurde. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 9. November 2016 hat der Kläger keine Angaben dazu gemacht, worin die Täuschung bzw. die Drohung durch das Ausländeramt und das Bundesamt bestanden haben sollen. Der Vortrag des Klägers ist darüber hinaus insofern widersprüchlich, als er einerseits von einem Missverständnis spricht, dem er erlegen sei; andererseits behauptet der Kläger jedoch, unter Druck gesetzt worden zu sein.
Nach alledem ist die in Ziffer 1) des angefochtenen Bundesamts Bescheid erfolgte (deklaratorische) Einstellung des Asylverfahrens rechtmäßig, sie verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
3.
Die Nichtfestsetzung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG, durch Ziffer 2) des angefochtenen Bescheids kann sachdienlicherweise, auch hilfsweise, mit der Versagungsgegenklage angegriffen werden. Sie ist aus den im angefochtenen Bescheid genannten Gründen rechtmäßig und verletzt den Kläger daher ebenfalls nicht in seinen Rechten, unabhängig davon, ob insoweit auf die Ukraine oder auf die Russische Föderation abzustellen ist, § 113 Abs. 1, 5 VwGO. Da das Gericht den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids folgt, wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung abgesehen und nach den im gerichtlichen Verfahren klägerseits vorgetragenen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung des Verlaufs und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung nur noch folgendes ergänzt:
Der Kläger kann sich insbesondere nicht auf das zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gesundheitsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Insoweit müsste eine einzelfallbezogene („für den Ausländer“), erhebliche und konkrete Gefahrensituation vorliegen, deren Verwirklichung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, München 2016, Rn. 123).
Dabei sind zudem die gesetzlichen Vorgaben aus § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG zu beachten. Demnach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2). Insoweit ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3). Gemäß Satz 4 liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist. Das Gericht bezieht sich insoweit auf den in Ziffer 3, Satz 3 des streitgegenständlichen Bescheids genannten möglichen Zielstaat, nämlich die Ukraine. Die insoweit fakultativ formulierte Abschiebungsandrohung beruht auf § 59 Abs. 2 AufenthG und entspricht der gesetzlichen Vorgabe.
Der Vortrag des Klägers begründet nach Auffassung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG:
Der Kläger hat insoweit nämlich nur vorgetragen, im Juli 2015 in psychiatrischer stationärer Behandlung gewesen zu sein und sich aktuell in psychotherapeutischer ambulanter Behandlung zu befinden. Dazu hat er einen Entlassungsbericht des Bezirksklinikums … vom 31. Juli 2015 vorgelegt (Bl. 51 ff. der Gerichtsakte). Daraus ergibt sich, dass der Kläger unter einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen sowie Anpassungsstörungen gelitten hat. Nach einem Suizidversuch war der Kläger am 13. Juli 2015 in das Klinikum … eingeliefert und am 14. Juli 2015 nach … verlegt worden. Laut dem Arztbrief wurde der Kläger in stabilisiertem Zustand in seine häusliche Umgebung entlassen. Zum Entlassungszeitpunkt bestand keine Eigen- oder Fremdgefährdung. Als weitere Empfehlung wurden nervenärztliche und psychotherapeutische Weiterbetreuung zur Fortführung der Medikation unter regelmäßigen Labor- und EKG-Kontrollen benannt. Der Kläger legte ferner einen Befundbericht des Klinikums … vom 15. September 2016 vor (Bl. 58 der Gerichtsakte). Daraus ergibt sich, dass sich der Kläger um eine Aufnahme in der psychiatrischen Institutsambulanz bemüht hat. Mangels ausreichend russisch-sprechender Ärzte im Klinikum … wurde der Kläger an einen russisch-sprachigen Arzt in … verwiesen. Außerdem stellte der unterzeichnende Arzt fest, dass kein Hinweis auf eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung bestehe.
Beide Atteste sind nicht geeignet, eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr im Sinne von
§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu belegen. Insbesondere hat der Kläger nicht vorgetragen, dass ihm durch die Abschiebung in die Ukraine („dort“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes drohen würde. Eine psychotherapeutische Behandlung, welche dem Kläger empfohlen wurde, kann auch in der Ukraine in Anspruch genommen werden. Denn gemäß dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes in Abschnitt IV. 1.3 (Medizinische Versorgung) ist die medizinische Versorgung in der Ukraine kostenlos und flächendeckend. Dem Bericht zufolge gibt es in der Ukraine Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und auch psychische Krankheiten behandelt werden können. Diese existieren nicht nur in der Hauptstadt …, sondern auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal.
Nach alledem rechtfertigt der Vortrag des Klägers kein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG.
4.
Ferner begegnen auch die Setzung einer Ausreisefrist und die Androhung der Abschiebung – primär, aber nicht ausschließlich – in die Russische Föderation, die sachdienlicherweise mit der Anfechtungsklage angefochten werden können, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie finden ihre Rechtsgrundlagen in den im angefochtenen Bescheid genannten Bestimmungen.
Entsprechendes gilt auch hinsichtlich der nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessenswege vorgenommenen Bemessung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG, unabhängig davon, inwieweit hier ein reines Anfechtungsbegehren, ein Anfechtungs- und Verbescheidungsbegehren oder etwa – bei Ermessensreduzierung auf Null – ein Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren sachdienlich wäre. Der Kläger hat bezüglich der festgesetzten bzw. etwa festzusetzenden Frist nichts vorgetragen.
5.
Für eine Erörterung etwaiger Asylgründe im Sinne des Art. 16a GG, Flüchtlingsschutzgründe im Sinne des § 3 AsylG bzw. subsidiärer Schutzgründe im Sinne des § 4 AsylG ist im vorliegenden Urteil vor dem Hintergrund des Inhalts des angegriffenen Bescheids, der hierzu keinerlei Entscheidungen getroffen hat und dementsprechend insoweit keine Ausführungen enthält, kein Raum.
Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.