Aktenzeichen Au 3 S 15.1291
PBefG PBefG § 13 Abs. 2b, § 20
Leitsatz
1. Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs dauert bei Stattgabe des Widerspruchs bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids. (amtlicher Leitsatz)
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufhebung einer erteilten Linienverkehrsgenehmigung bei zwei geeigneten Busunternehmern erfordert neben der Darlegung der Eignung des Konkurrenten auch ein Eingehen darauf, warum der Genehmigungsinhaber nicht geeignet ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der dem Beigeladenen erteilten Genehmigung für den Betrieb der Linie 790 (Nr. 4 des Widerspruchsbescheids der Regierung von … vom 4.3.2015) und der Aufhebung der dem Antragsteller erteilten Genehmigung für den Betrieb der Linie III (Nr. 2 des Widerspruchsbescheids) wird aufgehoben.
II.
Die Kosten der Verfahren tragen der Antragsgegner und der Beigeladene je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller und der Beigeladene betreiben jeweils ein Busunternehmen und haben sich jeweils um den Betrieb einer Buslinie bei im Wesentlichen gleicher Linienführung beworben.
Mit Bescheiden vom 17. März 2014 traf die Regierung von … die Auswahlentscheidung nach § 13 Abs. 2b PBefG zugunsten des Antragstellers. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2015 gab sie dem Widerspruch des Beigeladenen statt, indem sie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die dem Antragsteller erteilte Linienverkehrsgenehmigung aufhob und stattdessen dem Beigeladenen die beantragte Linienverkehrsgenehmigung erteilte.
Hiergegen hat der Antragsteller Anfechtungsklage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
II.
Die beiden auf einstweiligen Rechtsschutz gerichteten Anträge haben Erfolg, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht den formellen Begründungsanforderungen genügt.
1. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen steht der Zulässigkeit der gestellten Anträge nicht entgegen, dass der Antrag des Antragstellers vom 19. Juli 2014 auf Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis zur Durchführung eines Linienverkehrs gemäß § 20 PBefG auf der Linie III mit bestandskräftig gewordenem Bescheid der Regierung von … vom 30. September 2014 abgelehnt worden ist, während dem Beigeladenen eine entsprechende Erlaubnis erteilt worden ist. Diese Erlaubnis wurde mit dem Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 4. März 2015 widerrufen (Nr. 9). Ansonsten wäre sie gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 PBefG nach sechs Monaten am 31. März 2015 erloschen. Schon deshalb kann weder sie noch der ablehnende Bescheid vom 30. September 2014 aktuell eine Sperrwirkung entfalten. Abgesehen davon lässt § 20 PBefG die allgemeinen Regelungen für den einstweiligen Rechtsschutz nach den §§ 80, 80a und 123 VwGO hinsichtlich der regulären Genehmigung unberührt (vgl. Heinze/Fiedler in Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, 2. Aufl. 2014, § 20 Rn. 32 ff.).
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel, dass der Antragsgegner dem Antragsteller eine Genehmigung für den Betrieb der Linie III erteilt, ist nach der Umdeutung in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Aufhebung der dem Antragsteller erteilten Linienverkehrsgenehmigung wiederherzustellen bzw. die diesbezügliche Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben, statthaft.
Aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt sich der Vorrang eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, soweit es um vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eines Verwaltungsakts geht. Dabei ist anerkannt, dass es auf die Fassung des gestellten Antrags nicht ankommt (§ 88 VwGO analog). Das Gericht muss einen unter Bezugnahme auf § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag in einen Antrag nach § 123 VwGO umdeuten, wenn der Sache nach nur ein solcher in Betracht kommt, sowie umgekehrt (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 123 Rn. 4).
Im vorliegenden Fall wurde die Aufhebung der dem Antragsteller erteilten Genehmigung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt. Stellt das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers wieder her oder hebt es die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, so hat der Antragsteller sein erkennbares Rechtsschutzziel erreicht, weil er dann im Besitz einer vollziehbaren Linienverkehrsgenehmigung ist. Mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 4. März 2015 hat sich der Widerspruch des Beigeladenen erledigt, so dass es an einem Rechtsbehelf gegen die dem Antragsteller erteilte Genehmigung fehlt, der gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung haben könnte (vgl. OVG NRW, B.v. 20.2.1987 – 13 B 194/87 – NVwZ-RR 1988, 126). Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wird auch durch die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den den Beigeladenen begünstigenden Widerspruchsbescheid nicht wieder ausgelöst (vgl. OVG NRW a. a. O.).
Die gegenteilige Auffassung, wonach ein Widerspruchsbescheid abweichend von den allgemein für Verwaltungsakte geltenden Bestimmungen (vgl. Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG) nicht schon mit seiner Bekanntgabe, sondern erst mit seiner Unanfechtbarkeit seine Wirkung entfaltet, überzeugt nicht (so aber BayVGH, B.v. 28.9.2001 – 1 CS 01.1205 – juris). Sie ist kaum mit § 79 Abs. 1 VwGO in Einklang zu bringen, wonach Gegenstand der Anfechtungsklage entweder der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheids oder der eine erstmalige Beschwer enthaltende Widerspruchsbescheid (oder Abhilfebescheid) ist. Konsequenterweise wäre dann auch eine in einem Widerspruchsbescheid getroffene begünstigende Regelung (wie hier die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung) zunächst unwirksam, so dass eine diesbezügliche Anordnung des Sofortvollzugs ins Leere gehen würde. Dies würde die Handlungsmöglichkeiten der Widerspruchsbehörde sachwidrig einschränken. Soweit ersichtlich ist die genannte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch vereinzelt geblieben. Hinsichtlich der Frage, wann sich ein Widerspruch erledigt und damit die von ihm ausgelöste aufschiebende Wirkung endet, hat § 80b VwGO keine Regelung getroffen (a. A. OVG NRW, B.v. 26.6.2008 – 13 B 345/08 – juris). Mit dieser Bestimmung sollte die Dauer der aufschiebenden Wirkung nicht verlängert, sondern – um rechtsmissbräuchlichen Rechtsbehelfen entgegenzuwirken – verkürzt werden.
3. Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO führen zur beantragten Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil sie nicht den formellen Begründungsanforderungen genügt.
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die Begründungspflicht ist auch Ausdruck des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots effektiven Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgesehene aufschiebende Wirkung ist eine adäquate Ausprägung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (sog. Warnfunktion). Art. 19 Abs. 4 GG ist deshalb verletzt, wenn die Anordnung überhaupt keine Begründung enthält (vgl. BVerfG, B.v. 16.7.1974 – 1 BvR 75/74 – BVerfGE 38, 52/58 f.). Der Bedeutung der Begründungspflicht ist aber auch hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, 1. Disziplinarsenat, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris). Dem wird die hier vorliegende Begründung nicht gerecht.
Hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufhebung der dem Antragsteller erteilten Genehmigung enthält die in dem Widerspruchsbescheid vom 4. März 2015 unter II.4 gegebene Begründung keine Ausführungen. Die Begründung bezieht sich allein auf das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der dem Beigeladenen erteilten Genehmigung. Dieses bestehe darin, dass der Beigeladene sofort von der erteilten Genehmigung Gebrauch machen und den Verkehr auf der genannten Linie, die wichtige Beförderungs- und Erschließungsfunktionen von/nach … wahrnehme, weiterhin betreiben könne. Eine anderweite adäquate Verkehrsverbindung liege nicht vor. Insbesondere in der Schülerbeförderung sei eine reibungslose und tägliche Beförderung zwingend notwendig. Diese Begründung blendet die dem Antragsteller erteilte Genehmigung aus und legt nicht dar, warum ein besonderes öffentliches Interesse gerade daran besteht, dass die Linie vorläufig vom Beigeladenen und nicht vom Antragsteller betrieben wird. Sie wird damit insgesamt dem vorliegenden Einzelfall nicht gerecht, der gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass zwei für den Betrieb der Linie geeignete Busunternehmen vorhanden sind.
Die Kosten der Verfahren sind zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen zu gleichen Teilen aufzuteilen. Den Antragsgegner trifft die Kostentragungspflicht, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Da die von dem Beigeladenen gestellten Anträge auf Antragsabweisung erfolglos geblieben sind, entspricht es der Billigkeit, ihn wie geschehen an den Verfahrenskosten zu beteiligen (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.5 und 47.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ Heft 23/2013 Beilage 2).