Verwaltungsrecht

Anforderungen an den Sachverhaltsvortrag

Aktenzeichen  M 12 K 16.31297

Datum:
13.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

Der sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, führt dazu, dass dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zukommt.  (redaktioneller Leitsatz)
Für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG ist es erforderlich, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt, wobei es ihm obliegt, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. (redaktioneller Leitsatz)
Asylrechtlich irrelevant ist ein Klägervortrag, wenn er den Vater betrifft, da Sippenhaft kein Instrument staatlichen Handelns in Äthiopien ist (BayVGH BeckRS 2004, 30674). (redaktioneller Leitsatz)
Aufgrund der Eigenart der posttraumatischen Belastungsstörung, bei der innerpsychische Erlebnisse im Mittelpunkt stehen, kommt es entscheidend auf Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit des geschilderten inneren Erlebens und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an. Aus diesem Grund können die Anforderungen an ein ärztliches Vorgehen und an eine Diagnostik, nur von Fachärzten für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden.  (redaktioneller Leitsatz)
Die Diagnose einer posttraumatische Belastungsstörung durch eine Diplom-Psychologin und nicht durch einen Facharzt, reicht zur Substantiierung einer solchen Diagnose nicht aus, da von ihr kein medizinisches Studium absolviert wurde und sie keine Fachärztin für psychische Erkrankungen ist, die eine posttraumatische Belastungsstörung sicher diagnostizieren kann. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 25. Mai 2016 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, weiterhin hilfsweise auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG und auf Verkürzung der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots hat (der Antrag des Prozessbevollmächtigten wurde gem. § 88 VwGO ausgelegt).
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2016 entschieden werden, obwohl außer des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten keiner der Beteiligten erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Klagepartei und die Beklagte sind form- und fristgerecht geladen worden.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG oder Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16 a GG noch liegen bei ihm Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vor.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab).
Das Gericht muss – für einen Erfolg des Antrags – die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Urt. vom 16.04.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, Urt. vom 08.05.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz a. a. O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von religiöser oder politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Der Vortrag des Klägers ist teilweise asylrechtlich irrelevant.
Die Vorgänge betreffend seinen Vater sind schon deshalb für die Vorverfolgung des Klägers irrelevant, weil Sippenhaft kein Instrument staatlichen Handelns in Äthiopien ist (BayVGH, B.v. 17.12.2004 – 9 ZB 04.30483 – juris; OVG Brandenburg, U.v. 14.4.2016 – 4 A 783/01.A – juris).
Die vom Kläger dargestellten Befragungen durch die Polizei und die Hausdurchsuchungen erreichen nicht die Schwelle des asylrechtlich relevanten Vorbringens, so dass sie unbeachtlich sind.
Darüber hinaus hat der Kläger bezüglich seiner Vorverfolgung einen Sachverhalt vorgetragen, der widersprüchlich und unglaubhaft ist. Das Gericht geht deshalb nicht davon aus, dass sich der geschilderte Sachverhalt ereignet hat.
Der Kläger hat schon zu seinen persönlichen Angaben unglaubhafte Ausführungen gemacht. Beim Bundesamt trug er vor, er habe die Schule im Jahr 2002 verlassen (Niederschrift, Seite 3 unten). In der mündlichen Verhandlung trug er vor, dies sei im Jahr 2005 gewesen. Erst auf Vorhalt räumte er ein, dass dies im Jahr 2002 gewesen sei. Wenn der Kläger bereits bei diesen persönlichen allgegenwärtigen Angaben derart widersprüchlich agiert, wirkt sich dies auf den gesamten Sachverhalt aus.
Auch die Vorgänge betreffend die Inhaftierung des Klägers sind unglaubhaft und widersprüchlich. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger vor, bei der zweiten Inhaftierung sei er gefoltert worden und zwar mit Inhalieren von Rauch vom scharfem Paprika und Wassertrinken unter einem laufenden Wasserhahn. Ihm sei bei der Entlassung gesagt worden, wenn der Vater nicht gefunden würde, würde er in Haft bleiben oder getötet werden (Niederschrift, Seite 3). Beim Bundesamt hat der Kläger darüber gar nichts berichtet (Niederschrift, Seite 2, Seite 3 unten, Seite 6). Es handelt sich um eine erhebliche Steigerung des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung, die das gesamte Vorbringen unglaubhaft macht. Die Einlassung des Klägers, „er habe das nicht wieder hochkommen lassen wollen“, überzeugt nicht.
Nach alledem hat der Kläger einen unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen, der sich nach Ansicht des Gerichts nicht ereignet hat.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG, weil er bezüglich seiner Vorverfolgung einen unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen hat (vgl. oben).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ihm bei einer Rückkehr nach Äthiopien Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG; § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) drohen könnte. Denn der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt zu seiner Vorverfolgung ist unglaubhaft; das Gericht geht davon aus, dass er sich nicht ereignet hat (vgl. oben).
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 5 AufenthG, da dessen Voraussetzungen offensichtlich nicht gegeben sind.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Das heißt, es muss eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers drohen (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris). Es ist nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Der Asylbewerber muss sich grundsätzlich auf den Behandlungs-, Therapie und Medikamentenstandard im Überstellungsstaat verweisen lassen, auch wenn dieser dem hiesigen Niveau nicht entspricht (VG Düsseldorf, U.v. 24.3.2015 – 17 K 2897/14.A – juris). Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutsverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BayVGH, U.v. 23.7.2014 – 19 B 12.1073 – juris).
Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich ein Abschiebungsverbot derzeit nicht feststellen.
Der Kläger kann kein Abschiebungsverbot wegen der von Dr. P…, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie am 8. Januar 2016 und 29. Juni 2016, mit Therapiebericht der Dipl.-Psychologin G… vom 9. Juni 2016 und mit Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin K… vom 17. Juni 2016 diagnostizierten Erkrankungen (posttraumatischen Belastungsstörung, mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom und somatische Schmerzzustände, Atemnotzustände und anfallartiges Asthma) beanspruchen.
Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste des Dr. P… und der Therapiebericht der Dipl. Psychologin G… genügen nicht den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag einer Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
Zwar lassen sich die Anforderungen an die Qualität eines Gutachtens zum Vorliegen einer PTBS nicht abstrakt bestimmen. In erster Linie ist es dem Sachverständigen überlassen, in welcher Art und Weise er seine Stellungnahme unterbreitet. Dabei ist auch zu bedenken, dass das Gericht bei den in diesem Zusammenhang entscheidungserheblichen medizinischen Fachfragen keine eigene, nicht durch entsprechenden medizinischen Sachverstand vermittelte Sachkunde besitzt (BVerwG v. 17.8.2011, 10B 13/11). Gleichwohl ist dem Ergebnis eines Gutachtens oder der fachlichen Stellungnahme nicht blindlings, sondern nur dann zu folgen, wenn es schlüssig, nachvollziehbar und transparent hergeleitet ist und auf einer zutreffenden Grundlage beruht. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden. Der objektive Erlebnisaspekt ist nämlich nicht Gegenstand der gutachtlichen ärztlichen Untersuchung zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. Allein mit psychiatrischpsychotherapeutischen Mitteln kann nicht sicher darauf geschlossen werden, ob tatsächlich in der Vorgeschichte ein Ereignis vorlag und wie dieses geartet war (BayVGH B. v. 15.12.2010, 9 ZB 10.30376). Dem Umstand, dass es Aufgabe des Verwaltungsgerichts ist, die Frage nach der Glaubhaftigkeit und dem Wahrheitsgehalt des von dem Schutzsuchenden zur Stützung seines Begehrens im gerichtlichen Verfahren unterbreiteten konkreten Sachverhalts zu beantworten, entspricht es aus medizinischer Sicht, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur diagnostiziert werden kann, wenn das Trauma nachgewiesen ist, wenn also vor Gericht oder vor der Behörde, nicht vom Gutachter, nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden kann, das das behauptete traumatisierende Ereignis stattgefunden hat (VGH BW v. 20.10.2006 – A 9 S 1157/06 – juris). Hinzu kommt, dass die Symptome einer PTBS keine spezifischen Symptome für ein Krankheitsbild sind, sondern auch bei zahlreichen anderen psychiatrischen Erkrankungen, wie z. B. depressiven Störungen, Angststörungen oder Anpassungsstörungen auftreten können. damit kommt der Frage des Traumas zentrale Bedeutung zu, denn ohne traumatisches Ereignis kann keine PTBS vorliegen. Entscheidend ist daher die Frage, ob das traumatische Ereignis überhaupt erlebt worden ist.
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild, bei dem nicht äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen, sondern innerpsychische Erlebnisse im Mittelpunkt stehen, so dass es entscheidend auf Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit des geschilderten inneren Erlebens und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen ankommt. Aufgrund dieser Eigenart des Krankheitsbildes bestehen entsprechende Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik, die nur von Fachärzten für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden können. Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik gehört zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2ff AufenthG Nr. 31) regelmäßig die Vorlage eines, gewissen Mindestanforderungen genügenden, fachärztlichen Attestes. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen der PTBS auf traumatische Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Krankheit nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG v.11. 9. 2007, a. a. O.). Vorgelegte Gutachten müssen im Besonderen nachvollziehbar sein und den genannten Mindestanforderungen entsprechen (VG Düsseldorf v. 20. 2. 2003, juris).
Das Attest der Dr. P… vom 8. Januar 2016 und der Befundbericht der Dipl-Psychologin G… übernehmen ungeprüft die Angaben des Klägers zur Vorverfolgung. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss der Schutzsuchende gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachweisen bzw. wahrscheinlich machen (vgl. obige Ausführungen). Es fehlt in dem ärztlichen Attest des Dr. P… an einer Abklärung, ob die geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen. Es fehlt auch an einer nachvollziehbaren, fundierten und ernsthaften Auseinandersetzung des Attestierenden mit den Angaben des Klägers. Keinesfalls ist aufgrund der attestierten Beschwerden ein Rückschluss auf die Glaubhaftigkeit des Klägers im Asylverfahren zulässig.
Darüber hinaus ergibt sich aus den Attesten vom 8. Januar 2016 und vom 29. Juni 2016 kein Hinweis darauf, wie lange in etwa eine Therapie andauern soll. Die Atteste geben auch keinen Aufschluss über die Schwere der Erkrankung und keine Begründung dafür, warum der Kläger das behauptete traumatisierende Ereignis erst Jahre nach der Einreise im Jahr 2013 geltend gemacht hat (psychiatrische Behandlung seit Januar 2016; vgl. Attest des Dr. P… vom 29.6.2016; bzw. ab Oktober 2015; Therapiebericht G… vom 9. Juni 2016). Bei der Anhörung des Bundesamtes vom 22. Mai 2014 (1 Jahr nach der Einreise ins Bundesgebiet) hat er darüber nichts berichtet. Die Begründung des Dr. P… im Attest vom 29. Juni 2016 (2.) ist insoweit nicht überzeugend. Der Kläger hatte von Anfang an Zugang zur psychiatrischen Behandlung, so dass kein Anlass bestand, die Beschwerden nicht früher geltend zu machen.
Der Therapiebericht der Dipl.-Psychologin G… vom 9. Juni 2016 diagnostiziert eine posttraumatische Belastungsstörung („Zusammenfassung“). Die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung wurde nicht von einem Facharzt gestellt, sondern von einer Diplom-Psychologin; dies reicht zur Substantiierung einer solchen Diagnose nicht aus. Eine Psychologin hat kein medizinisches Studium absolviert und ist keine Fachärztin für psychische Erkrankungen, die eine posttraumatische Belastungsstörung sicher diagnostizieren kann. Im Übrigen übernimmt sie völlig ungeprüft die vom Kläger erzählte Vorfluchtgeschichte und klärt nicht, ob die Erzählungen auf wirklich Erlebtem beruhen. Die Vorfluchtgründe muss der Kläger gegenüber dem Richter, nicht gegenüber der Psychologin nachvollziehbar und glaubhaft darlegen. Im Übrigen ergibt sich aus dieser Stellungnahme auch nicht, warum der Kläger die Beschwerden erst Jahre nach deren angeblichem Entstehen geltend gemacht hat (vgl. Therapiebericht, Seite 10) und wie lange eine Therapie dauern soll. Die Einlassung, es sei eine längerfristige therapeutische Behandlung nötig, ist nichtssagend.
Darüber hinaus ist die psychische Erkrankung des Klägers – falls eine Behandlung erforderlich sein sollte – in Äthiopien behandelbar. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist die medizinische Grundversorgung nur in Addis Abeba zufriedenstellend (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.5.2011, IV.1.2. und vom 18.12.2011, IV. 1.2; Lagebericht vom 4.3.2015, IV.1.2). Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren verbessert, sind aber nach wie vor eingeschränkt und – für äthiopische Verhältnisse – extrem teuer. Außerhalb der Hauptstadt gibt es auch für viele Gebiete gute Fachärzte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.5.2011, IV.1.2.). Psychiatrische Behandlungen werden in mehreren Krankenhäusern in Addis Abeba angeboten, jedoch ist nur ein Krankenhaus auf Psychiatrie spezialisiert. Nach dem Bericht „Äthiopien: Informationen zum Gesundheitswesen“ der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist das äthiopische Gesundheitssystem nicht mit europäischem Standard vergleichbar. Zugang, Qualität, Stabilität und Kosten der medizinischen Versorgung variieren innerhalb von Städten, zwischen Stadt und Land sowie zwischen privatem und öffentlichem Sektor. Die Verfügbarkeit von Medikamenten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Die medizinische Versorgung mit Medikamenten ist kurzfristig möglich. In Addis Abeba bietet z. B. das Hospital des G. U. C. mit 350 Betten medizinische Versorgung und Behandlung für etwa 3,5 Millionen Äthiopier.
Zumindest in Addis Abeba könnte die psychotherapeutische Behandlung des Klägers durchgeführt werden. Ob der Abbruch der Behandlung ein Abschiebungshindernis darstellt, ist ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das von der Ausländerbehörde vor der Abschiebung des Klägers zu prüfen ist.
Auch die von der Praxis K… am 17. Juni 2016 attestierten körperlichen Beschwerden sind in Äthiopien behandelbar, falls eine weitere Behandlung erforderlich sein sollte. Dass dies der Fall ist, ergibt sich aus dem vorgelegten Attest nicht (siehe oben).
Die Kosten für medizinische Behandlungen werden von privaten Krankenversicherungen nur eingeschränkt übernommen. Eine Pflichtversicherung gibt es nicht (o.g. Lagebericht vom 4.3.2015, IV. 1.2.). Bei Rückkehrern aus dem Ausland kann nicht davon ausgegangen werden, dass Krankenkosten von einer Krankenversicherung getragen werden. Es ist für den Kläger sicher nicht leicht, in Äthiopien wieder Fuß zu fassen. Der Kläger hat in Äthiopien 7 Jahre lang die Schule besucht. Er hat zwar in Äthiopien nicht gearbeitet, wird aber im Bundesgebiet etwas Deutsch lernen können, so dass ihm als Rückkehrer ein Neustart in einem einfachen Beruf gelingen kann. Es ist dem Kläger zuzumuten, die evtl. notwendigen Krankheitskosten in Äthiopien dann selbst zu tragen. Es ist ihm auch zuzumuten, sich gerade in der Anfangszeit an seine in Äthiopien lebenden Verwandten oder Freunde zu wenden, z. B. den Freund des Vaters, der ihm bei der Ausreise geholfen hat (siehe Niederschrift beim Bundesamt, Seite 3).
Der Kläger kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Im Jahr 2013 waren ca. 2,7 Millionen Äthiopier auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen (Lagebericht, IV.1. 1.1.). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 16. 5. 2011, IV.1.1). Es sind keine Fälle bekannt, dass zurückgekehrte Äthiopier (56 Äthiopier sind aufgrund eines Rückführungsabkommens mit Norwegen freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt) Benachteiligungen oder gar Festnahme oder Misshandlung ausgesetzt gewesen wären (Lagebericht, IV. 2.).
Es ist für den Kläger sicher nicht leicht, in Äthiopien wieder Fuß zu fassen. Der Kläger hat in Äthiopien sieben Jahre lang die Schule besucht. Im Bundesgebiet wird er etwas Deutsch lernen können, so dass ihm als Rückkehrer ein Neustart in einem einfachen Beruf gelingen kann. Im Übrigen ist ihm zuzumuten, insb. anfangs, sich an Verwandte oder Freunde zu wenden, z. B. den Freund des Vaters (vgl. obige Ausführungen).
Die Klage hat auch gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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