Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Ablehnung eines Zweitantrags als unzulässig

Aktenzeichen  W 8 S 20.30123

Datum:
28.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 516
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 36 Abs. 3, Abs. 4, § 71a Abs. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

§ 71a Abs. 1 AsylG setzt zwingend eine bestandskräftige Ablehnung des Asylantrags in diesem Staat voraus (BVerwG BeckRS 2016, 111567). Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylsuchenden negativen Sachentscheidung abgeschlossen worden ist, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (W 8 K 20.30122) gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2020 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und dem Volk der Ibo zugehörig. Er reiste am 4. März 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch und stellte am 12. April 2018 einen förmlichen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 21. Juni 2018 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er habe zuletzt in Orlu (Imo State) mit seinen Eltern zusammengelebt und dort als Bauarbeiter gearbeitet. Zwischen seinem Vater und seinem Onkel sei es zu Problemen wegen eines Grundstücks gekommen. Sein Onkel sei Medizinmann gewesen und habe veranlasst, dass sein Vater krank geworden sei. Der Onkel habe dem Vater des Antragstellers auch mit dem Tod gedroht. Der Vater sei dann ins Krankenhaus gekommen und kurz darauf verstorben. Ein Freund des Vaters habe dem Antragsteller geraten zu fliehen, da der Onkel ihn nun auch verfolgen würde. Der Antragsteller sei dann zu einem Freund nach Amike Orlu gegangen, der ihm geholfen habe, seine Ausreise nach Libyen zu organisieren. Der Antragsteller habe Frau und Kind in Nigeria zurückgelassen. Vor der Ausreise sei es auch zu Problemen mit seiner Ehefrau gekommen. In Libyen habe er eine Frau namens “C* .” kennen gelernt, die ein Bordell betrieben habe. Diese habe ihm geholfen, nach Italien zu kommen. Mit ihr sei es zum Konflikt gekommen, da sie Geschlechtsverkehr von ihm verlangt habe. Sie habe ihn auch mehrfach eingesperrt und Jungen zu ihm geschickt, die ihn geschlagen hätten. Sie habe ihm auch gesagt, er müsse seine Reisekosten zurückzahlen, wenn er nicht bei ihr sein wolle. Jetzt habe er keinen Kontakt mehr zu der Frau. Er trug zudem vor, dass er in Italien einen Asylantrag gestellt habe und dieser abgelehnt worden sei. Er sei dort wegen der Einlegung von Rechtsmitteln bei einem Anwalt gewesen, habe von diesem aber keine Rückmeldung über das Ergebnis bekommen. Er habe Italien verlassen, bevor eine gerichtliche Entscheidung ergangen sei. Er gab ferner an, dass er keine neuen Gründe oder Beweismittel habe, die nicht bereits in seinem früheren Verfahren geltend gemacht wurden.
Mit Schreiben vom 29. November 2019 teilten die italienischen Behörden mit, dass dem Antragsteller am 22. Oktober 2015 Fingerabdrücke abgenommen worden seien, sein Asylantrag am 5. April 2016 abgelehnt und ihm kein anderweitiger Aufenthaltstitel ausgestellt worden sei.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und die Abschiebung nach Nigeria oder einen anderen Staat, in den er einreisen oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung führt das Bundesamt im Wesentlichen aus, es handle sich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG, da der Antragsteller bereits erfolglos ein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylG durchlaufen habe. Der vollständige italienische Bescheid und eine Übersetzung lägen vor. Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein erneutes Asylverfahren sei gemäß § 71a Abs. 1 AsylG nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, also Wiederaufgreifensgründe vorliegen würden. Dies sei hier aber nicht der Fall. Der Antragsteller habe selbst angegeben, dass es bei den vorgetragenen Ausreisegründen um dieselben Gründe gehandelt habe, welche er bereits in Italien vorgebracht habe. Darüber hinaus seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb es dem Antragsteller nicht möglich gewesen sei, seine Asylgründe in Italien ausreichend vorzutragen. Ferner seien keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria gegeben. Der Antragsteller verfüge in Deutschland zudem über keine wesentlichen Bindungen, weshalb die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 36 Monate ermessensgerecht sei.
Mit Schriftsatz vom 22. Januar 2020 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.30122 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
1.Die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen die Abschiebungsandrohung der Beklagten vom 10. Januar 2020 mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Januar 2020, Geschäftszeichen: ., zugestellt am 16. Januar 2020, anzuordnen.
2.Dem Antragsgegner mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Eilantrag nicht durchgeführt werden dürfen.
Zur Begründung trägt die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, sodass kein Vollzugsinteresse daran bestehen könne. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, dass der Antragsteller dem Volk der Ibo angehöre und Mitglied in der Gruppierung “Indigenious People of Biafra” (IPOB) sei. Er nehme auch in Deutschland regelmäßig an Meetings der IPOB teil. Bei einer Rückkehr nach Nigeria drohe ihm die Anwendung physischer Gewalt durch den nigerianischen Staat, da aktive Mitglieder der IPOB von diesem verfolgt würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte W 8 K 20.30122) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Januar 2020 ist zulässig und begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides und damit auch an der Abschiebungsandrohung bestehen (§ 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 und 4 AsylG entsprechend).
Denn bei summarischer Prüfung liegen die gesetzlichen Voraussetzungen eines Zweitantrags nach § 71a AsylG nicht vor. Nach Überzeugung des Gerichts steht nicht fest, dass das Asylverfahren des Antragstellers im sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), hier Italien, endgültig unanfechtbar erfolglos abgeschlossen ist. § 71a Abs. 1 AsylG setzt zwingend eine bestandskräftige Ablehnung des Asylantrags in diesem Staat voraus (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris). Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylsuchenden negativen Sachentscheidung abgeschlossen worden ist, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen (vgl. VG München, B.v. 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 – juris).
Die gesicherte Erkenntnis vom bestandskräftigen erfolglosen Abschluss des Asylerstverfahrens liegt nicht vor. Das Bundesamt hat hier eine Auskunft nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. g Dublin III-VO an die italienischen Behörden gestellt. Diese reagierten mit Schreiben vom 29. November 2019 und teilten mit, dass dem Antragsteller am 22. Oktober 2015 Fingerabdrücke abgenommen wurden und sein Asylantrag am 5. April 2016 abgelehnt (“rejected”) wurde. Ferner wurde mitgeteilt, dass ihm kein anderweitiger Aufenthaltstitel erteilt wurde. Jedoch ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass das Asylerstverfahren des Antragstellers in Italien tatsächlich im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG unanfechtbar erfolglos abgeschlossen worden ist.
Der Übersetzung des italienischen Asylbescheids ist zu entnehmen, dass gegen diesen der Rechtsweg offen steht (Bl. 282 der Behördenakte). Die Mitteilung der italienischen Behörden über den Verfahrensstand des Asylerstverfahrens in Italien enthält zudem nur die Aussage, dass der Asylantrag des Antragstellers in Italien abgelehnt wurde (Bl. 271). Nicht entnehmen lässt sich der Mitteilung dagegen, ob Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt wurden und wenn ja mit welchem Ergebnis bzw. ob die Ablehnung mittlerweile bestandskräftig geworden ist. Der Antragsteller hat hierzu in seiner persönlichen Anhörung am 21. Juni 2018 angegeben, er sei nach der Ablehnung des Asylantrags bei einem Rechtsanwalt gewesen, welcher gesagt habe, er versuche gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. Zudem bejahte er die Frage, ob er Italien verlassen habe, bevor er Kenntnis von einer gerichtlichen Entscheidung gehabt habe (vgl. Bl. 90). Hieraus ergeben sich für das Gericht bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller ein Rechtsmittel gegen die Ablehnung seines Asylantrags in Italien eingelegt hat. Ob über dieses mittlerweile rechtskräftig entschieden worden ist, ergibt sich aus der vorgelegten Behördenakte nicht. Es oblag hier dem Bundesamt im Rahmen einer weitergehenden Amtsermittlung zu prüfen, ob das Asylerstverfahren des Antragstellers in Italien tatsächlich bestandskräftig erfolglos abgeschlossen wurde.
Da nach alledem ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens des Antragstellers in Italien nicht hinreichend sicher vom Bundesamt nachgewiesen werden kann, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, so dass insbesondere in Anbetracht der gravierenden Folgen einer Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt.
Dem Antrag auf Anordnung aufschiebenden Wirkung der Klage war deshalb stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

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