Aktenzeichen M 16 K 15.30089
Leitsatz
Depressive Erkrankungen sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Aserbaidschan behandelbar und rechtfertigen deshalb nicht die Gewährung von Abschiebungsschutz. (redaktioneller Leitsatz)
In der Abschiebungsandrohung ist vorrangig der Staat als Zielstaat zu bezeichnen, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt. Darüber hinaus können auch andere Staaten genannt werden, in die eine Abschiebung durchgeführt werden kann. Rechtswidrig ist nur eine Androhung auf Vorrat in einen Staat, in den eine Abschiebung oder freiwillige Rückkehr praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheint. (redaktioneller Leitsatz)
Hat das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsandrohung für einen Zielstaat keine Abschiebungsverbote geprüft, führt das nicht zur Aufhebung dieser Androhung. Vielmehr holt das Gericht die unterlassene Prüfung von Abschiebungsverboten hinsichtlich dieses Zielstaates nach. (redaktioneller Leitsatz)
Wird minderjährigen Kindern die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht, ihrer Mutter aber lediglich die Abschiebung nach Aserbaidschan, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Androhung. Allerdings hat die Ausländerbehörde diesem Umstand im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als inlandsbezogenem Vollstreckungshindernis Rechnung zu tragen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klagen werden abgewiesen.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klagen sind zulässig. Sie sind im Hinblick auf den vom Bundesamt nicht bestrittenen Vortrag des Bevollmächtigten der Kläger, dass der streitgegenständliche Bescheid der Mutter der Kläger erst am 25. Februar 2015 ausgehändigt wurde, fristgerecht erhoben worden.
Die Klagen bleiben aber in der Sache ohne Erfolg.
Der Bevollmächtigte der Kläger hat seinen Klageantrag auf die Nr. 4 (Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG) und die Nr. 5 (Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung) des streitgegenständlichen Bescheides beschränkt. Damit sind die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet (Nr. 1), die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (Nr. 2) und die Ablehnung der Zuerkennung des subsidiären Schutzes (Nr. 3) jeweils bestandskräftig geworden.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es fehlt insbesondere an einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die von der Klägerin zu 1 vorgetragene depressive Erkrankung ist sowohl in der Russischen Föderation (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 5. Januar 2016, Stand: Januar 2016, S. 27f.) als auch in Aserbaidschan (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 6. April 2016, Stand: Januar 2016, S. 22f.) behandelbar. Eine etwaige Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 1 ist gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Aufhebung der nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung. Nach § 59 Abs. 2 AufenthG soll in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Vorrangig ist dabei der Staat als Zielstaat zu bezeichnen, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer hat. Grundsätzlich können in der Abschiebungsandrohung aber auch mehrere Zielstaaten bezeichnet werden. Voraussetzung ist, dass in jeden dieser Zielstaaten aus Sicht der androhenden Behörde eine Abschiebung durchgeführt werden kann. Eine Abschiebungsandrohung unterliegt daher in Bezug auf die Bezeichnung des Zielstaates nicht bereits deshalb der Aufhebung, weil der Abschiebungserfolg nicht sicher vorhergesehen werden kann. Die Abschiebungsandrohung hinsichtlich eines bestimmten Zielstaats darf lediglich dann ohne Prüfung von Abschiebungshindernissen als rechtswidrig aufgehoben werden, wenn eine Androhung auf Vorrat den vom Gesetz verfolgten Ermächtigungszweck ausnahmsweise verfehlt, weil eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheinen (vgl. OVG Saarl, B. v. 15.4.2015 – 2 A 343/14 – juris m. w. N.). Dies ist hier aber weder bezogen auf Aserbaidschan noch bezogen auf die Russische Föderation der Fall.
Soweit den Klägern die Abschiebung nach Aserbaidschan angedroht wurde, ist die Abschiebungsandrohung zwar fehlerhaft, weil das Bundesamt insoweit keine Abschiebungsverbote geprüft hat. Dies führt aber nicht zur Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Vielmehr hat das Gericht die vom Bundesamt unterlassene Prüfung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Zielstaates Aserbaidschan nachzuholen (vgl. VGH BW, U.v. 19.6.2012 – A 2 S 1355/11 – juris Rn. 30). Wie bereits ausgeführt, liegen entsprechende Abschiebungsverbote nicht vor.
Einer Abschiebung der minderjährigen Kläger in die Russische Föderation steht zwar entgegen, dass ihrer Mutter lediglich die Abschiebung nach Aserbaidschan angedroht wurde. Dies führt aber ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der vorliegenden Abschiebungsandrohung, sondern ist im Hinblick auf die Vorgaben von Art. 6 Grundgesetz – GG und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis von der Ausländerbehörde zu beachten.
Die Klagen waren daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Den Klägern wird Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt … beigeordnet.
Gründe:
Den Klägern war Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil die letztlich erfolgslos gebliebene Klage gleichwohl hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte und nicht mutwillig erscheint (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO). Auf die Begründung des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlusses vom 27. Mai 2015 wird verwiesen. Die Kläger sind bedürftig und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).