Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Belehrung nach § 33 AsylG

Aktenzeichen  M 21 S 17.36868

Datum:
17.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10 Abs. 2, § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG ist deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 § 33 Abs. 4 AsylG verlangt ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist; die Vorschrift lässt eine anderweitige Zustellung, auf Grund derer sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger, reiste am 15. Februar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. März 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
In der in deutscher und englischer Sprache erteilten Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise wurde auf Folgendes hingewiesen:
„Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen… Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Sie werden darauf hingewiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher Ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben …“
Der Belehrung war ein Gesetzesauszug aus dem Asylgesetz in deutscher Sprache beigefügt, u.a. ein Auszug aus §§ 10, 25 und 36 AsylVfG.
Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt enthielt folgenden Hinweis in deutscher Sprache:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Können Sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorlegen, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
Die Ladung vom 22. September 2016 zur Anhörung vor dem Bundesamt am 5. Oktober 2016 wurde am 22. September 2016 zur Post gegeben. Der zuständige Sachbearbeiter verfügte am 10. November 2016, wohl weil der Antragsteller nicht zur Anhörung erschienen ist, diesen erneut zu laden. Die Ladung vom 10. November 2016 zur Anhörung vor dem Bundesamt am 5. Oktober 2016 kam als unzustellbar zurück. Das Landratsamt Ebersberg teilte dem Bundesamt mit am 6. Oktober 2016 dort eingegangenen Schreiben mit, dass der Antragsteller unter der genannten Adresse nicht mehr wohnhaft sei. Daraufhin wurde der Antragsteller mit (erneut an dieselbe Adresse gerichtetem) Schreiben vom 2. März 2017 zu einer Anhörung geladen. Wiederum teilte das Landratsamt Ebersberg mit, dass der Antragsteller unter dieser Adresse nicht erreichbar sei. Laut Postzustellungsurkunde vom 6. März 2017 wurde das Schriftstück durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zu übergeben versucht.
Mit Bescheid vom 29. März 2017, als Einschreiben zur Post gegeben am 31.03.2017, stellte das Bundesamt unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Mali an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die Vermutungsregel in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ausgeführt, der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung erschienen.
Die Antragsteller hat gegen den Bescheid am 7. April 2017 zur Niederschrift Klage erhoben (M 21 K 17.36866) und beantragt, den Bescheid vom 29. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Zugleich wurde (sinngemäß) beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, er sei bis einschließlich 6. März 2017 inhaftiert gewesen und habe daher die Ladung nicht erhalten. Überdies sei er nach seiner Freilassung unmittelbar in einer anderen Unterkunft untergebracht worden.
Das Bundesamt legte die Akten mit Schreiben vom 7. Juni 2017 vor und erklärte, der Antragsteller könne einen Fortführungsantrag stellen, da das Verfahren nach § 33 AsylG eingestellt worden sei. Einen Antrag stellte die Beklagte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klageverfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der im Rahmen der gebotenen und möglichen Auslegung auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8), insbesondere auch fristgerecht erhoben, und begründet.
Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Dabei kann zunächst dahinstehen, ob der Antragsteller die ihm unstreitig nicht zugegangene Ladung gemäß § 10 Abs. 2 AsylG auch dann gegen sich gelten lassen muss, wenn er im Zeitpunkt der Zustellung wegen einer Inhaftierung nicht in der Lage gewesen ist, das Schriftstück zur Kenntnis zu nehmen.
Jedenfalls ist der Antragsteller nicht ausreichend auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen hingewiesen worden.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer jedoch auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Aus-nahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er freilich den Beson-derheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht unentbehrlich.
Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu.
Diesen Anforderungen genügt der allgemeine (und im Hinblick auf das Schriftformerfordernis von Entschuldigungsgründen auch unzutreffende) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise nicht.
Auch die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung war ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt. Im Übrigen war die Belehrung dem Antragsteller nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Die Zustellungsfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung erforderliche tatsächlich erfor-derliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Antragstellers über die Belehrung nicht. Der Antragsteller hat unwiderlegbar unter Vorlage einer Haftbescheinigung mitgeteilt, dass er bei Zustellung der Ladung noch inhaftiert gewesen ist und damit die Ladung nicht erhalten hat. Damit hatte der Antragsteller tatsächlich auch keine Kenntnis der sich aus der Ladung ergebenden Belehrung.
Nachdem sich die angefochtene Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung der Klage ohne weitere Prüfung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Dr. …

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