Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Darlegung des Verfahrensfehlers der Versagung rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  15 ZB 18.32985

Datum:
20.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35673
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 50061) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (BayVGH BeckRS 2017, 121531). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (BVerwG BeckRS 2014, 47379, BayVGH BeckRS 2018, 21865; OVG NRW BeckRS 2016, 47548, OVG LSA BeckRS 2018, 806). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 8 K 18.31459 2018-09-24 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger, ein ägyptischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 19. Oktober 2017, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurde, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Ägypten oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 24. September 2018 wies das Verwaltungsgericht Würzburg die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. Oktober 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und (hilfsweise) den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ab.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er macht geltend, ihm gegenüber sei das Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das Verwaltungsgericht habe ihn mit einer Beweiswürdigung überrascht, mit der er nicht habe zu rechnen brauchen. Dies betreffe die auf Seite 9 des angegriffenen Urteils enthaltene Feststellung, dass sich die Lage der Christen in Ägypten in den letzten Jahren gebessert habe und dass es in den vergangenen zwölf Monaten keine größeren Anschläge mehr auf christliche Einrichtungen gegeben habe. Diese überraschende Behauptung sei nachweislich nicht richtig, wie eine im Antragsschriftsatz erfolgte Aufzählung diverser Ereignisse seit dem 9. April 2017 zeige. Dies belege, dass die Situation nicht besser geworden, sondern nach wie vor angespannt sei. Auf Seite 2 des Antragsschriftsatzes vom 12. November 2018 wird zudem in einem unvollständigen Satz die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erwähnt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht aufgrund eines Verfahrensfehlers gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Die vom Kläger behauptete Versagung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 15 ZB 17.30494 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 5.9.2018 – 15 ZB 18.32208 – juris Rn. 4; B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 17.30545 – noch unveröffentlicht.). Diese Verfahrensgarantie gewährleistet hingegen nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.). Das Recht auf rechtliches Gehör begründet auch keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.9.2018 – 15 ZB 18.32165 – juris Rn. 9; OVG NRW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 28; OVG SA, B.v. 22.1.2018 – 3 L 63/17 – juris Rn. 3).
Nach diesen Maßstäben ist eine Versagung des rechtlichen Gehörs gegenüber dem Kläger nicht ersichtlich. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht allein deshalb vor, weil sich auf Seite 9 des Urteils der – auf eine Auskunft des Auswärtigen Amtes gestützte (vgl. Seite 11 des angegriffenen Urteils) – singuläre Satz findet: „In den vergangenen 12 Monaten gab es keinen größeren Anschlag auf christliche Einrichtungen.“ Dieser – mit Blick auf die Umschreibung „keinen größeren“ ohnehin auslegungsbedürftige – Satz ist nicht für sich gesehen entscheidungstragend. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass das Verwaltungsgericht auf den Seiten 8 ff. trotz der Feststellung, dass es besonders – und nach wie vor – in Oberägypten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auf lokaler Ebene kommt und dass es regelmäßig zur strukturellen Benachteiligung und Diskriminierung von Christen kommt (zur Besserung der Lage der koptischen Christen in Ägypten insgesamt vgl. aber BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 15 ZB 18.32419 – juris Rn. 10), ausführlich unter Rekurs auf diverse Quellen begründet, warum koptischen Christen in Ägypten keine Gruppenverfolgung i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG droht. Dabei hat das Verwaltungsgericht auch ausdrücklich darauf verwiesen, dass Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten vor allem in ländlichen Gebieten immer wieder Gewaltakten und Einschüchterungen aus den Reihen der muslimischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt seien, wobei dort ein genügender Schutz durch die Sicherheitsbehörden nicht gewährleistet sei. Das Erstgericht hat aber in diesem Zusammenhang auch darauf abgestellt, dass koptische Christen ihren Wohnort innerhalb des Landes wechseln können. So könne – was auch für den Kläger gelte – insbesondere ein Umzug in Landesteile oder Ballungsräume, in denen der christliche Glaube weitgehend unbehelligt ausgeübt werden könne, die andernorts (etwa in Oberägypten) bestehende höhere Gefahr verringern. Auch vor diesem Hintergrund stellt es keine Überraschungsentscheidung dar, dass das Verwaltungsgericht auf Seite 12 der angegriffenen Entscheidung zum Ergebnis kommt, dass bei einer Anzahl von ca. 10% christlicher Bevölkerung in Ägypten, also 9,2 Millionen Kopten, nicht festgestellt werden könne, dass die Übergriffe auf koptische Christen so zahlreich seien, dass für jeden Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft eine begründete Furcht bestehe, in eigener Person Opfer von Übergriffen zu werden (zum relevanten Kriterium der Verfolgungsdichte für den Tatbestand der Gruppenverfolgung vgl. z.B. BayVGH, B.v. 21.9.2017 – 4 ZB 17.31091 – juris Rn. 13 m.w.N.; speziell zur Lage der koptischen Christen in Ägypten: BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 15 ZB 17.31023 – juris Rn. 9; B.v. 5.10.2018 – 15 ZB 18.32419 – juris Rn. 10).
Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht ebenso bzw. alternativ entscheidungstragend davon ausgegangen, dass für den Kläger eine interne Schutzalternative gem. § 3e Abs. 1 AsylG besteht (Seiten 13 f. des angegriffenen Urteils). Bei einer sog. kumulativen Mehrfachbegründung muss aber hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2017 – 20 ZB 17.31538 – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 18.12.2017 – 15 ZB 17.31757 – juris Rn. 7). Gegen die vom Erstgericht angenommene inländische Fluchtalternative hat der Kläger aber weder einen Zulassungsgrund geltend gemacht noch substantiiert vorgetragen.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen. Es erscheint bereits fraglich, ob sich der Kläger mit dem unvollständigen Satz im zweiten Absatz auf Seite 2 des Antragsschriftsatzes vom 12. November 2018 überhaupt tatsächlich hierauf berufen will. Unabhängig von dieser Frage ist die grundsätzliche Bedeutung als Zulassungsgrund nicht dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend vorgetragen worden. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 7 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht gerecht. Insbesondere fehlt es bereits an der Formulierung einer Tatsachen- oder Rechtsfrage.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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