Aktenzeichen M 30 S 17.42870
Dublin III-VO Art. 34
Leitsatz
Die eigenen, unsubstantiierten Angaben eines Asylbewerbers über eine Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien reichen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht aus; vielmehr bedarf es einer Verifizierung mittels eines sogenannten Info-Request nach Art. 34 Dublin III-VO. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 29. Mai 2017 gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zufolge sierra-leonischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens und am 17. oder 21. Juni 2016 in die Bundesrepublik Deutschland u.a. nach einem dreijährigen Aufenthalt in Italien eingereist. In Italien habe er internationalen Schutz beantragt und auch zuerkannt bekommen. Grund für seine Ausreise sei seine Erkrankung an Hepatitis B und seine Kopfschmerzen gewesen, da er in Italien keine gute ärztliche Betreuung bekommen habe. Am 22. September 2016 stellte er daher einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 23. Mai 2017, Gesch.-Z. …, als unzulässig ab (Nr. 1) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Nr. 2). Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Italien angedroht, falls er nicht innerhalb einer Woche die Bundesrepublik Deutschland verlasse (Nr. 3). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller bereits in Italien einen Asylantrag gestellt habe und ihm von diesem Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden sei. Dies ergebe sich aus den Angaben des Antragstellers selber und einer EURODAC-Abfrage, die eine Asylantragstellung am 12. Februar 2014 in Macerata, Italien ergeben habe. Daher werde der Asylantrag materiell nicht geprüft. Wegen der Einzelheiten, insbesondere auch zur Ablehnung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
Hiergegen erhob der Antragsteller zur Niederschrift am 29. Mai 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (…).
Zudem hat er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen und mitgeteilt, dass der Antragsteller ein Kind von seiner Freundin erwarte. Außerdem habe er gesundheitliche Probleme.
Bezüglich der Einzelheiten, insbesondere bezüglich der Angaben des Antragstellers über seine Verfolgung in Sierra Leone und der ärztlichen Angaben über die chronische HBV Infektion sowie Deltainfektion des Antragstellers wird auf die beigezogene Behördenakte in elektronischer Form und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 75 i.V.m. §§ 34, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des ablehnenden Asylbescheids des Bundesamtes anzuordnen, ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht.
Der Antrag ist auch begründet.
An der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamtes vom 23. Mai 2017 bestehen ernstliche Zweifel i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, da erhebliche Gründe auf der Grundlage der vorliegenden tatsächlichen Erkenntnisse dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (vgl. BVerfG, U. v. 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn 99 zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
Ernstliche Zweifel bestehen vorliegend insofern, als das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen bereits erfolgter Schutzgewährung in Italien eingestuft hat.
Der vom Bundesamt zitierte EURODAC-Treffer der Kategorie 1 belegt aber nicht, dass ein Asylverfahren gegen den Antragsteller in Italien mit einer entsprechenden Gewährung internationalen Schutzes abgeschlossen ist, sondern (nur) eine Asylantragstellung. Weitere Anhaltspunkte, wie z.B. entsprechende italienische Ausweispapiere, sind der Behördenakte nicht zu entnehmen. Die eigenen, unsubstantiierten Angaben des Antragstellers reichen für die Annahme einer Schutzgewährung nicht aus. Vielmehr hätte es einer Verifizierung mittels eines sogenannten Info-Request nach Art. 34 VO 604/2013 (Dublin- III -VO) bedurft. Eine solche Anfrage wurde vorliegend ausweislich der Aktenlage aber noch nicht einmal gestellt.
Insoweit liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Eilverfahren keine hinreichend gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass dem Antragsteller tatsächlich internationaler Schutz in Italien gewährt wurde. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der aktuellen Rechtsprechung eine gerichtliche Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG angenommen hat (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 40.16 – beck-online), betrifft diese angesichts § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG nicht das Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist somit ernstlich zweifelhaft und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Einer Prüfung hinsichtlich der Ablehnung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch das Bundesamt wegen der attestierten Erkrankung des Antragstellers bedurfte es daher nicht mehr.
Dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).