Aktenzeichen M 28 S 17.36271
AsylG § 75
AsylG § 71 a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 36
Leitsatz
1 Erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens iSd § 71a AsylG meint, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist (BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der vorangegangene erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat muss festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen oder Angaben des Asylbewerbers über den Ausgang seines Asylverfahrens in dem sicheren Drittstaat reichen nicht aus. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 22. März 2017 (M 28 K 17.36270) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er verließ sein Heimatland im April 2013 und reiste über Niger, Libyen, Italien – dort Aufenthalt zwei Jahre – und die Schweiz – dort Aufenthalt fünf Monate – am 24. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein (alles eigene Angaben). Am 10. Juni 2016 stellte er einen Asylantrag.
Bei einer Befragung am 10. Juni 2016 gab er an, er habe in Italien internationalen Schutz beantragt. Bei einer Anhörung am 5. Juli 2016 teilte er mit, beide Asylanträge in Italien und in der Schweiz seien „negativ“ gewesen.
Mit Bescheid vom 22. März 2017, zugestellt am 23. März 2017, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 3.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: Da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe, handele es sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG. Der Antragsteller habe in der Anhörung am 5. Juli 2016 selbst mitgeteilt, dass seine Asylverfahren sowohl in Italien als auch in der Schweiz abgelehnt worden seien. Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 71 a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG erlassen worden. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus §§ 71 a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten am 28. März 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wurde zunächst unter dem Aktenzeichen M 21 K 17.36270 und wird nunmehr unter dem Aktenzeichen M 28 K 17.36270 geführt. Ferner beantragte der Antragsteller ebenfalls 28. März 2017,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sowie der Antragsgegnerin aufzugeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung der Antragstellerin nicht durchgeführt werden dürfe.
Am 4. April 2017 legte die Antragsgegnerin die Behördenakten vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 71 a Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG).
Zwar ist nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Zweitanträgen (§ 71 a AsylG) nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 in der Hauptsache nunmehr eine Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig sowie eine hilfsweise Verpflichtungsklage auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu erheben (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff., 20 a. E.). Dies ändert aber nichts daran, dass einstweiliger Rechtsschutz anlässlich der Ablehnung eines (auch vermeintlichen) Zweitantrags wie schon vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes ausschließlich in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden kann und – wegen § 123 Abs. 5 VwGO – muss, weil insoweit unverändert gemäß §§ 71 a Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO „gegen die Abschiebungsandrohung“ vorgesehen ist.
Vorliegend legt das Gericht den vom Antragsteller gestellten Antrag als einen solchen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung aus (§ 88 VwGO). Dem zusätzlich formulierten Satz, der Antragsgegnerin aufzugeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung vorläufig nicht durchgeführt werden darf, misst das Gericht keine eigenständige Bedeutung zu (§ 88 VwGO), da ein entsprechender Antrag gemäß § 123 VwGO neben einem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wegen § 123 Abs. 5 VwGO nicht zulässig wäre.
2. Der so verstandene Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 71 a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 71 a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Die Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung stützt sich vorliegend darauf, dass der Asylantrag als Zweitantrag (§ 71 a AsylG) gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde, weil das Bundesamt das Vorliegen der Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG verneint hat (§ 71 a Abs. 4 AsylG i.V.m. §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG). Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz nur dann gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand November 2016, § 36 Rdnr. 85). Darüber hinaus hat das Gericht gemessen am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Bundesamt im Ergebnis zu Recht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG verneint hat.
Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids vom 22. März 2017 schon deshalb, weil das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers nicht als Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG hätte behandeln dürfen. Es fehlt jedenfalls zum vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) an einem hinreichenden Nachweis dafür, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG) vorausgegangen ist:
§ 71 a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG) voraus. Erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens meint, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiedereröffnung mit anschließender voller sachlicher Prüfung – eingestellt worden ist (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29 ff.).
Hierbei muss der vorangegangene erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (vgl. Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Entscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung oder endgültigen Einstellung des Antrags in dem sicheren Drittstaat hat (vgl. VG München, B. v. 27.12.2016 – M 23 S 16.33585 – juris Rn. 19; VG Schleswig-Holstein, B. v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Wiesbaden, B. v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20 f., VG Ansbach, U. v. 29.9.2015 – AN 3 K 15.30829 – juris Rn. 23; Schönenbroicher in Kluth/Heusch BeckOK AuslR, Stand: 1.5.2017, § 71a AsylG Rn. Rn. 2 f). Angaben des Asylbewerbers über den Ausgang seines Asylverfahrens in dem sicheren Drittstaat allein reichen nicht aus: Diese haben in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut und können deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen. Eine Zulässigkeitsentscheidung, die auf einer derart unzuverlässigen Tatsachenbasis getroffen wird, kann für ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchzuführendes Verfahren keine Grundlage sein (BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22).
Vorliegend sind der Akte des Bundesamts keine Umstände zu entnehmen, die es rechtfertigen könnten, von gesicherten Erkenntnissen über den erfolglosen Abschluss der Asylverfahren des Antragstellers in Italien und/oder der Schweiz auszugehen. Die in der Akte enthaltenen EURODAC-Treffer sind diesbezüglich nicht aussagekräftig. Die bloßen Angaben des Antragstellers in den Befragungen, seine Asylverfahren in Italien und in der Schweiz seien abgelehnt worden bzw. negativ verlaufen, auf die sich die Antragsgegnerin in den Bescheidsgründen stützt, sind für eine gesicherte Erkenntnis – wie eben ausgeführt – nicht ausreichend. Darüber hinausgehende eigenen Ermittlungen oder Feststellungen des Bundesamts zur Durchführung von Asylverfahren des Antragstellers in Italien und in der Schweiz sind der Akte nicht zu entnehmen.
Nach alldem war dem gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreien Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.