Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Feststellung des Abschlusses eines Asylverfahrens in Polen

Aktenzeichen  AN 4 S 17.30922

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 15, § 24 Abs. 1 S. 3, § 25, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4, § 71a Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 29 Abs. 1

 

Leitsatz

Aufgrund der Neufassung des § 29 AsylG ist davon auszugehen, dass eine persönliche Anhörung im Rahmen eines Zweitantrages iSv § 71a AsylG nicht mehr erforderlich ist (VG Ansbach BeckRS 2017, 100490). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der unter den gerichtlichen Aktenzeichen AN 4 K 17.30923, AN 4 K 17.30959, AN 4 K 17.30966, AN 4 K 17.30969 und AN 4 K 17.30971 anhängigen Klagen werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Bei den Antragstellern handelt es sich um kasachische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens. Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben am 12. Dezember 2013 mit dem PKW von Polen aus in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und haben am 17. bzw. 18. Dezember 2013 einen formellen Asylantrag gestellt.
Aufgrund von Eurodac-Treffern stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Laufe des Verfahrens fest, dass die Antragsteller zuvor bereits in Polen Asyl beantragt hatten, und richtete ein Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Mit Schreiben vom 3. Februar 2014 (Blatt 74 der Bundesamtsakte) teilte Polen in englischer Sprache sinngemäß mit, dass das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland betreffend die Antragsteller in Übereinstimmung mit Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt worden sei.
Mit Bescheiden vom 19. Februar 2014 stellte das Bundesamt in Ziffer 1 jeweils fest, dass der Asylantrag unzulässig ist, und ordnete in Ziffer 2 jeweils die Abschiebung nach Polen an.
Die hiergegen unter den gerichtlichen Aktenzeichen AN 4 K 14.30342, AN 4 K 14.30334, AN 4 K 14.30336, AN 4 K 14.30338 und AN 4 K 14.30340 geführten Klagen vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach führten mit Urteil der 4. Kammer vom 9. Juli 2014 zur Aufhebung der Bescheide vom 19. Februar 2014 in der jeweiligen Ziffer 2 (Abschiebungsanordnung nach Polen).
Mit Schreiben vom 10. Februar 2015 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde des Landratsamtes … mit, dass eine Überstellung der Antragsteller in den Dublin-Mitgliedsstaat (Polen) nicht mehr möglich sei und die in der Bundesrepublik gestellten Asylanträge daher als Zweitanträge gemäß § 71 a AsylG gewertet würden.
Mit Schreiben jeweils vom 10. Februar 2015 übersandte das Bundesamt den Antragstellern einen Fragebogen hinsichtlich der in Polen gestellten Anträge auf internationalen Schutz.
Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2015 zeigte sich der Antragstellervertreter gegenüber dem Bundesamt als Verfahrensbevollmächtigter an und forderte das Bundesamt dazu auf, das Asylverfahren durchzuführen und einen Anhörungstermin gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3, § 25 AsylG zu bestimmen.
Mit weiterem Schreiben vom 25. April 2016 teilte der Antragstellerbevollmächtigte mit, dass die Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 1 d Dublin-II-Verordnung bzw. Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung am 14. Februar 2015 abgelaufen sei. Die Bundesrepublik Deutschland sei daher nunmehr zuständig für die Prüfung der Asylanträge. Es liege darüber hinaus kein Zweitantrag vor, sondern dass Erstantragsverfahren sei weiter fortzuführen.
Mit Bescheiden vom 13. bzw. 14. Februar 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge in Ziffer 2 jeweils als unzulässig ab. Darüber hinaus wurde in Ziffer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Antragsteller wurden in Ziffer 3 aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Gleichzeitig wurde die Abschiebung – in erster Linie – nach Kasachstan angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde in Ziffer 4 des Bescheids auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Republik Polen dem Bundesamt mit Schreiben vom 3. Februar 2014 bzw. 4. Februar 2014 mitgeteilt habe, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Polen erfolglos abgeschlossen worden sei. Nach dem Scheitern des Dublin-Verfahrens werde nunmehr im sogenannten nationalen Verfahren entschieden. Da die Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben hätten, würde es sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag i.S.d. § 71 a AsylG handeln. Demnach sei ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorlägen. Da eine Begründung des Zweitantrages nicht erfolgt sei, sei dieser somit als unzulässig abzulehnen.
Mit bei Gericht am 21. sowie am 22. Februar 2017 eingegangenen Schriftsätzen ließen die Antragsteller unter den gerichtlichen Aktenzeichen AN 4 K 17.30923, AN 4 K 17.30959, AN 4 K 17.30966, AN 4 K 17.30969 und AN 4 K 17.30971 jeweils Klage gegen die Bundesamtsbescheide vom 13. bzw. 14. Februar 2017 erheben und gleichzeitig sinngemäß beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verfahrensbestimmungen für die Ablehnung eines Zweitantrages gemäß § 71 a AsylG nicht erfüllt seien. Denn die Antragsteller seien zu den maßgeblichen Tatsachen des Zweitantrages (materielle Fluchtgründe und Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) nicht angehört worden, wie dies nach § 71 a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG vorgeschrieben sei. Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) im Verfahren AN 4 S. 17.30922 liege darüber hinaus ein Vollstreckungshindernis vor. Der Antragsteller zu 1) sei im Jahre 2014 zweimal stationär im … behandelt worden. Auslöser sei ein Suizidversuch gewesen. Der Antragsteller zu 1) sei seither stetig in Behandlung, werde immer wieder stationär aufgenommen. Er leide nach wie vor an einer schweren depressiven Episode bei Zustand nach Suizidversuch durch Erhängen, akute Belastungsreaktion, posttraumatische Belastungsstörung usw. Der Antragstellervertreter nahm Bezug auf die beigelegten ärztlichen Atteste vom 7. März 2014, vom 23. Juli 2014, vom 18. Juni 2015 und vom 4. März 2016.
Mit bei Gericht am 3. März 2017 eingegangenem Schreiben beantragte das Bundesamt für die Antragsgegnerin, die Anträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Mit bei Gericht am 16. März 2017 eingegangenem Schriftsatz übergab der Antragstellervertreter zu den Akten des Gerichts ein ärztliches Attest des Facharztes für Psychiatrie/Psychotherapie, …, vom 15. März 2017.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten, einschließlich den darin enthaltenen Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
Die Verfahren werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die zulässigen Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 71 a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG, § 80 Abs. 5 VwGO sind unbegründet, weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bundesamtsbescheide bestehen.
Der Prüfungsmaßstab ergibt sich im Falle eines sogenannten Zweitantrages i.S.v. § 71 a AsylG aus der Vorschrift des § 36 Abs. 4 AsylG, welcher gemäß § 71 a Abs. 4 AsylG anzuwenden ist, wenn ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wurde, der Zweitantrag also erfolglos war.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Von ernstlichen Zweifeln ist jedoch nur dann auszugehen, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (Beck’scher online Kommentar, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2016, § 36 Rn. 37 unter Hinweis auf BVerfGE 94, 166).
Da das Gericht den Feststellungen und der Begründung der angefochtenen Bescheide folgt, wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 77 Abs. 2 AsylG abgesehen und nur noch ergänzend, unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Argumente und im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der heutigen gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG), wie folgt ausgeführt:
1. Es bestehen zunächst schon keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Bundesamt über die Asylanträge der Antragsteller zu Recht als sogenannte Zweitanträge i.S.v. § 71 a AsylG entschieden hat.
Insoweit stützt sich das Gericht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2016 (1C 4/16). Darin hat sich das Bundesverwaltungsgericht unter anderem mit dem Problem beschäftigt, wann ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat als erfolglos abgeschlossen im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG anzusehen ist (BVerwG, aaO, Rn. 24 ff.): „Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist.“ (Rn. 29). Weiter heißt es: „Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat zuvor betriebenes Asylverfahren dort durch bestandskräftige Ablehnung oder endgültige Einstellung beendet worden ist, insgesamt nach dem betreffenden ausländischen Asylverfahrensrecht richtet. § 71a Abs. 1 AsylG knüpft an einen abgeschlossenen, im Ausland geschehenen Vorgang an, der insgesamt dem ausländischen Recht unterfällt. Der enge Zusammenhang des Verwaltungsakts und seiner Bestandskraft gebietet, die Frage, ob eine ausländische Verwaltungsentscheidung noch anfechtbar bzw. revidierbar ist, nach ausländischem und nicht deutschem Recht zu beantworten. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten lässt zwar Raum dafür, die Rechts- und Bestandskraft einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung als Tatbestandsvoraussetzung für die innerstaatliche Rechtsanwendung heranzuziehen; sie erlaubt aber keine Erstreckung des nationalen Verfahrensrechts auf die Beurteilung dieser Vorfrage.“ (Rn. 33).
Daraus lässt sich für die hier zur Entscheidung stehenden Fälle ableiten, dass die Mitteilung des Mitgliedsstaates oder die anderweitig ermittelten Tatsachen eine Prüfung des Bundesamts nach sich ziehen müssten, ob nach dem Recht des betroffenen Mitgliedsstaates die Voraussetzung des erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens zu bejahen ist, um den Anwendungsbereich des § 71a AsylG zu eröffnen.
In den vorliegenden Asylverfahren hatte die Republik Polen durch Schreiben vom 3. und 4. Februar 2014 lediglich mitgeteilt, dass das Übernahmegesuch für die Antragsteller im Einklang mit Art. 18 Abs. 1 lit.d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 steht („Your request for transfer of responsibility for the above named from Germany to Poland is met in accordance with article 18(1) d of Regulation (EU) of the European Parliament and of the Council No 604/2013.“).
In Art. 18 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ist jedoch nur geregelt, dass der Mitgliedsstaat zu einer Wiederaufnahme des Asylsuchenden, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, verpflichtet ist.
Es schließt sich daher nun die Frage an, ob das Bundesamt in den vorliegenden Fällen verpflichtet war, das Vorliegen der Voraussetzung, dass ein Asylverfahren im Mitgliedstaat erfolglos, wie es das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14. Dezember 2016 ausgelegt hat, durchgeführt worden ist, weitergehend zu prüfen, weil vom Mitgliedsstaat letztlich allein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 hingewiesen worden ist. Das Schreiben der Republik Polen vom 3. und 4. Februar 2014 lässt sich zwar dahin gehend auslegen, dass die Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, also auch das erfolglos abgeschlossene Verfahren der Antragsteller in Polen, bejaht worden sind. Zwingend ist diese Lesart jedoch nicht.
Insoweit ist allerdings maßgeblich zu berücksichtigen, dass das Bundesamt – im Rahmen der ihm obliegenden Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71a AsylG und des grundsätzlich bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes – aufgrund der aktenkundigen Umstände keinen Anlass hatte, den erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens im Sinne von § 71a AsylG bzw. Art. 18 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 in Polen anzuzweifeln.
So verfügte das Bundesamt einerseits über die besagte Information aus Polen durch das Schreiben vom 3. bzw. 4. Februar 2014. Hinzu kommt, dass das Bundesamt den Antragstellern durch den Fragebogen „Zum Sachstand des Verfahrens für die Zuerkennung des internationalen Schutzes“ jeweils vom 10. Februar 2015 Gelegenheit gegeben hatte, sich zum Ausgang des Verfahrens zu äußern. Insoweit haben die Antragsteller jedoch jegliche Angaben verweigert und durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 25. Februar 2015 und vom 25. April 2016 lediglich darauf hinweisen lassen, dass die Überstellungsfrist abgelaufen und daher das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen sei. Das Bundesamt hat somit sämtliche, ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung ausgeschöpft.
Die Antragsteller hingegen sind ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 15 Abs. 1 AsylG nicht nachgekommen.
Im Rahmen der Klageerhebung teilte der Vertreter der Antragsteller darüber hinaus mit, dass davon auszugehen sei, dass in Polen ein Asylverfahren erfolglos im Sinne des § 71a AsylG abgeschlossen worden sei.
Aus diesem Grund durfte auch das Bundesamt annehmen, dass die maßgebliche Voraussetzung des § 71a AsylG für die Behandlung der Asylanträge als Zweitanträge erfüllt ist.
2. Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet darüber hinaus der Umstand, dass das Bundesamt keine persönliche Anhörung der Antragsteller durchgeführt hat.
Insoweit sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Regelung hinsichtlich des Anhörungserfordernisses im Rahmen des Zweitantrags durchaus nicht vollkommen widerspruchsfrei ist: So wird in § 71a Abs. 2 AsylG zwar – unter anderem – auf die Vorschrift des § 25 AsylG verwiesen. Zudem wird in Satz 2 geregelt, dass von einer Anhörung abgesehen werden kann, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Demgegenüber ist in dem seit 6. August 2016 neu gefassten § 29 Abs. 2 AsylG festgelegt, dass das Bundesamt im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 2. Alt. AsylG) keine persönliche Anhörung des Antragstellers durchführt, sondern diesem lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Abs. 3 AsylG gibt.
Vorliegend hat das Bundesamt den Antragstellern mit den jeweiligen Schreiben vom 10. Februar 2015 jedenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme im Sinne von §§ 29 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG gegeben.
Nach der mutmaßlichen gesetzgeberischen Intention ist mit der Neufassung des § 29 AsylG und hier insbesondere mit der Formulierung in § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG davon auszugehen, dass eine persönliche Anhörung im Rahmen eines Zweitantrages im Sinne von § 71a AsylG nicht mehr Voraussetzung sein soll, vgl. zu dieser Thematik den ausführlichen Beschluss der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. Januar 2017, AN 2 S. 16.32491 – juris. Daher führt die unterbliebene persönliche Anhörung im Rahmen des Zweitantrages nicht zu einem Verfahrensmangel, der geeignet wäre, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids begründen.
3. Hinsichtlich der Erkrankung des Antragstellers zu 1) im Verfahren AN 4 S. 17.30922 bestehen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel, was die Verneinung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz AufenthG durch das Bundesamt angeht.
Zwar wurde die Abschiebungsanordnung nach Polen im Bescheid vom 19. Februar 2014 durch die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach wegen der Erkrankung des Antragstellers zu 1) durch Urteil vom 9. Juli 2014 aufgehoben. Dabei ging es jedoch nicht um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, welches das Bundesamt bei seiner Entscheidung gemäß § 71a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG zu prüfen hat, sondern nur um ein inländisches Vollstreckungshindernis im Rahmen der Entscheidung nach § 34 a AsylG in Form der Reiseunfähigkeit. Dass insoweit eine Reiseunfähigkeit bejaht wurde, bedeutet allerdings nicht, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegen muss, auch wenn es sich möglicherweise um dieselbe zugrunde liegende Erkrankung handelt.
Das vom Antragsteller zu 1) geltend gemachte (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt nämlich voraus, dass für den Ausländer im Abschiebezielstaat („dort“) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.
Es muss sich um eine einzelfallbezogene („für den Ausländer“), erhebliche und konkrete Gefahrensituation handeln, deren Verwirklichung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, München 2016, Rn.123).
Bezogen auf die im vorliegenden Verfahren behauptete Gefahr der krankheitsbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers zu 1) bei Abschiebung nach Kasachstan sind zudem die gesetzlichen Vorgaben in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG zu beachten. Demnach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3). Gemäß Satz 4 liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Der Vortrag des Antragstellers begründet nach Auffassung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
Im Falle einer sog. Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und anderer schwerwiegender psychischer Erkrankungen sind aufgrund der Unschärfe des Krankheitsbildes und ausweislich der Gesetzesbegründung hohe Anforderungen an die Darlegung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu stellen: „Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: In Fällen einer PTBS ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung.“ (BT-Drs. 18/7538, S. 18).
Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht die Anforderungen, die an ein fachärztliches Attest zu stellen sind wie folgt konkretisiert: „(…) Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.“ (BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 -, BVerwGE 129, 251-264, Rn. 15).
Diesen Anforderungen werden die vorgelegten Atteste bei Weitem nicht gerecht:
So stellt auch das aktuell vorgelegte Attest vom 15. März 2017 von Herrn …, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Bl. 87 ff. der Gerichtsakte) keinen Beleg dafür dar, dass sich die psychische Erkrankung des Antragstellers zu 1) bei Abschiebung nach Kasachstan wesentlich im Sinne der oben beschriebenen Existenzialgefahr verschlechtern würde.
Es ist zwar davon die Rede, dass bei Abschiebung eine deutliche Verschlechterung, bis hin zu suizidalen Handlungen zu erwarten sei. Doch worauf diese Einschätzung beruht und weshalb der behandelnde Arzt von einer „deutlichen Verschlechterung“ im Falle einer Abschiebung nach Kasachstan ausgeht, erschließt sich anhand des Attestes nicht.
Letztlich wird im Wesentlichen auf die stationären Aufenthalte des Antragstellers zu 1) im Jahre 2014 Bezug genommen. Eine Verschlechterung seines Zustandes gegenüber den ärztlichen Feststellungen aus dem Jahre 2014, wonach der Antragsteller zu 1) „in gebessertem psychischen Zustand und bei fehlender Selbst- und Fremdgefährdung“ (vgl. Vorläufiger Entlassungsbericht, … vom 7. März 2014, Bl. 150 ff. der Bundesamtsakte) und „in stabilisiertem Zustand“ (vgl. Vorläufiger Entlassungsbericht, … vom 23. Juli 2014, Bl. 22 ff. der Gerichtsakte) entlassen werden konnte, wird nicht vorgetragen. Vielmehr stellt der Therapeut selbst fest, dass „aktuell keine akute manifeste Suizidalität, keine Selbstverletzungstendenzen“ bestünden.
Hinsichtlich des im Attest angedeuteten Fluchtgrundes und der angeblichen Ursache für die psychische Erkrankung („Blutrache“) kommt der Antragsteller zu 1) seiner Darlegungslast zudem in keiner Weise nach. Wenn es sich dabei tatsächlich um den Umstand handeln sollte, der die angebliche Traumatisierung hervorgerufen hat und einer Rückkehr wegen etwaiger sog. Flash-Backs oder anderer psychologischer Folgen, worüber das Attest jedoch ebenfalls keine Auskunft gibt, entgegenstehen sollte, ist vollkommen unverständlich, weshalb auf diese Geschehnisse auch im gerichtlichen Verfahren nicht – hinreichend konkret und substantiiert – eingegangen worden ist.
Dass die vom Psychotherapeuten verordneten Medikamente in Kasachstan nicht erhältlich oder für den Antragsteller zu 1) dort nicht erreichbar sind, wird nicht vorgetragen. Weitere therapeutische Maßnahmen sind gar nicht erst verordnet worden.
Nach alledem ist nach gegenwärtigem Sachstand nicht von einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG im Falle der Abschiebung des Antragstellers zu 1) nach Kasachstan auszugehen. Für die übrigen Antragsteller wurde nichts vorgetragen.
4. Soweit sich die Eilanträge darüber hinaus auch gegen das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Befristungsentscheidung – hier jeweils auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung – in Ziffer 4) der Bescheide vom 13. bzw. 14. Februar 2017 richten sollte, sind diese ebenfalls abzulehnen. Sie sind jedenfalls unbegründet, da das Vollzugsinteresse in Ermangelung von Anhaltspunkten für die Rechtswidrigkeit und Unangemessenheit der Befristungsentscheidung gegenüber dem Suspensiveffekt überwiegt und die von der Antragsgegnerin getroffenen Ermessensentscheidungen bei der insoweit auf den Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit nicht zu beanstanden sind.
Nach alledem waren die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen, so dass die Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen haben.
Gerichtskosten werden jedoch gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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