Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Aktenzeichen  13a ZB 16.30824

Datum:
30.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102447
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen (BVerfG BeckRS 9998, 111365), sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG BeckRS 2003, 23847; BeckRS 9998, 15534). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 16.31837 2016-10-26 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 26. Oktober 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylG nicht vorliegen.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob „aufgrund der in den letzten Monaten trotz der sehr hohen Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags in Kabul zu werden, immer noch von einer stabilen Sicherheitslage auszugehen ist, die dazu führt, dass Kabul als eine inländische Fluchtalternative angesehen werden kann“. Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht unter Berufung auf Lageberichte aus den Jahren 2013/2014 davon aus, dass Kabul eine inländische Fluchtalternative für ihn darstellen bzw. dass kein Anspruch auf subsidiären Schutz bestehen würde, da dort eine stabile Sicherheitslage vorliegen würde. Zu berücksichtigen sei die aktuelle, sich erheblich verschlechternde Sicherheitslage für Zivilisten. Zur Klärung müssten aktuelle Auskünfte und Gutachten eingeholt werden. Da die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und von subsidiärem Schutz wesentlich auf der Einstufung Kabuls als inländische Fluchtalternative beruhe, sei die Frage auch entscheidungserheblich.
Letzteres ist nicht zutreffend, weil der Kläger aus Kabul stammt und das Verwaltungsgericht deshalb eine Rückkehr nach Kabul als seine Heimatstadt und nicht als Fluchtalternative geprüft hat. Im Hinblick auf die Sicherheitslage hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, das Risiko, in Kabul durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, sei weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dabei hat es im Wesentlichen den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 6. November 2015 und den Jahresbericht der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (UNAMA, Afghanistan, Annual Report 2015, Februar 2016) herangezogen, nicht aber Lageberichte aus den Jahren 2013/2014, wie der Kläger einwendet. Mit dessen Hinweis auf die Verschlechterung der Sicherheitslage und den Anstieg von zivilen Opfern hat sich das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil auseinandergesetzt (UA S. 7 f.). Hierbei hat es sich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gestützt und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass das Risiko, durch Anschläge Schaden zu erleiden, in der Zentralregion, welche auch die Heimatprovinz des Klägers, Kabul, umfasst, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liege (siehe hierzu BayVGH, B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris; BayVGH, U.v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045 – juris; U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris). Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Er wendet vielmehr nur unzutreffend ein, die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel seien veraltet. Neuere Berichte, die die Einschätzung des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten, legt er ebenfalls nicht vor.
Soweit der Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, ist sein Antrag ebenfalls unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.
Der Kläger trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe wesentliche Umstände bei der Entscheidung nicht erwogen. Sein Vorbringen im Zusammenhang mit der Bedrohung der gesamten Familie sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Das Verwaltungsgericht hätte sich mit der Bedrohungslage bei einer Rückkehr, insbesondere auch mit der Maßgabe, dass seiner Familie nun der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei, auseinandersetzen müssen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238), sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 23.7.2003 – 2 BvR 624/01 – NVwZ-RR 2004, 3; B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/146; BayVerfGH, E.v. 7.7.2015 – Vf. 3-VI-15 – BayVBl 2015, 853).
Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, hat sich das Verwaltungsgericht mit den vom Kläger geschilderten persönlichen Verhältnissen befasst (UA S. 5 f., 9). Es ist aber zu der Einschätzung gelangt, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch für subsidiären Schutz vorliegen. Dabei hat es auch zur Kenntnis genommen, dass die Eltern und zwei Geschwister als Flüchtlinge anerkannt worden seien (UA S. 3). Mit der Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör jedoch grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, E.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273; BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris; B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Dr. Mayr
Dr. Köhler-Rott
Dengler

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