Aktenzeichen 10 C 18.1821
Leitsatz
1. Im Rahmen der Prüfung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt es, wenn sich bei summarischer Prüfung die Offenheit der Verfahrenserfolgs ergibt. (Rn. 1 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mehrmalige erneute straffälligkeit trotz offener Bewährung sowie eine sehr hohe Rückfallgeschwindigkeit deuten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf eine Wiederholungsgefahr hin. (Rn. 7 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 25 K 17.5770 2018-07-09 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Mit der Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für seine beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängige Klage (M 25 K 17.5770) Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihm seinen Rechtsanwalt beizuordnen. Die Klage richtet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 20. November 2017, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die Wirkung der Ausweisung auf vier Jahre befristet worden ist.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen dafür nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Zeitpunkt der 28. Februar 2018, als die Behördenakten und die Stellungnahme des Beklagten beim Verwaltungsgericht eingegangen waren.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es hat dabei keineswegs, wie der Kläger meint, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überspannt und im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits eine abschließende und präjudizierende Beurteilung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr sowie eine abschließende Wertung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten erfordert eine zumindest summarische und vorläufige Prüfung, ob zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen der Klägerseite besteht; insofern kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass vor Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Erfolgsaussichten offen seien. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass sich bereits bei dieser summarischen und vorläufigen Prüfung ergibt, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat; schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen stellen sich im vorliegenden Fall nicht.
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger hatte zwar einen Asylantrag gestellt, doch greift die Einschränkung des § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht ein, weil durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. Juni 2017 (M 17 S 17.37868) die nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. April 2017 vollziehbar geworden ist (§ 53 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 AufenthG; § 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 30, 36 Abs. 3, 4 AsylG).
Durch seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von (zuletzt) einem Jahr und fünf Monaten hat der Kläger ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht, das auch noch fortbesteht. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird. Es hat hierbei berücksichtigt, dass er bereits kurze Zeit nach seiner Einreise und trotz offener Bewährung wenige Monate später erneut mehrmals straffällig geworden sei und dabei eine sehr hohe Rückfallgeschwindigkeit gezeigt habe. Dabei habe es sich nicht nur um Bagatelldelikte gehandelt (vorsätzliche Körperverletzung, Diebstahl, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte). Er habe die Taten nach erheblichem Alkohol- bzw. Drogenkonsum begangen; solange eine erfolgreiche Therapie und anschließende Bewährung nicht stattgefunden habe, entfalle die Wiederholungsgefahr nicht. Auch das beanstandungsfreie Verhalten des Klägers in der Strafhaft, das als Selbstverständlichkeit zu sehen sei, sowie das bisherige straffreie Verhalten nach der Haftentlassung unter dem Druck einer möglichen Ausweisung mindere die Wiederholungsgefahr nicht.
Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung unter Bezug auf die Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 15, und vom 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 12) vorbringt, es sei anerkannt, dass die erstmalige Verbüßung einer (längeren) Haftstrafe, insbesondere als erste Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern kann, stellt er diese Gefahrenprogose nicht in Frage. Im Fall des Klägers, der bei Haftantritt bereits 30 Jahre alt war, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass er in der Haft jugendliche Reifedefizite ausgleichen und einen grundlegenden Einstellungs- und Verhaltenswandel vollziehen hätte können. Kennzeichnend für seine Straftaten war vielmehr, dass er sie jeweils nach erheblichem Alkohol- und Drogenkonsum begangen hat, wie er in der Beschwerdebegründung auch selbst einräumt. Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhen oder mit einer Suchtproblematik in Zusammenhang stehen, kann von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange nicht der Ausländer eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Denn solange er sich nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (stRspr des Senats, vgl. B.v. 26.7.2019 – 10 ZB 19.1207 – juris Rn. 25; B.v. 14.6.2019 – 10 ZB 19.826 – juris Rn. 6; B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – juris Rn. 12). Der Kläger hat gegenüber dem Verwaltungsgericht nur mitgeteilt, dass er eine Therapie in einer Fachklinik (Therapiezentrum für Sucht) aufgenommen habe; auch im Beschwerdeverfahren hat er insoweit lediglich eine Aufenthaltsbescheinigung vorgelegt, zu einem Erfolg der Therapie hat er nichts vorgetragen. Mit dem Vorbringen, „der jeweilige Unrechtsgehalt“ der von ihm begangenen Taten wiege „nicht besonders schwer“, kann er die Gefahrenprognose ebenfalls nicht in Frage stellen, vielmehr bestätigt er sie in Anbetracht der begangenen Straftaten (neben Beleidigung und Diebstahl auch Körperverletzungsdelikte und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) durch eine derartige Verharmlosung und Bagatellisierung geradezu.
Da bereits bei summarischer Prüfung das Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe (Wiederholungsgefahr) bejaht werden kann, kann das vom Beklagen im Beschwerdeverfahren (Schriftsatz vom 5.9.2018) geltend gemachte generalpräventive Ausweisungsinteresse hier offenbleiben (siehe hierzu BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17 ff.; BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16 ff).
Angesichts des Gewichts des Ausweisungsinteresses und des Fehlens eines (besonderen) Bleibeinteresses im Sinn von § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG kann auch mit für die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich bei der Abwägung gemäß § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG ein Überwiegen der Interessen an der Ausreise des Klägers ergibt. Der Kläger hat keine persönlichen, familiären, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet; abgesehen von seiner bisher nur kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, von der er einen erheblichen Teil in Haft verbracht hat, sind keine gewichtigen, für seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet sprechenden Interessen erkennbar. Eine rechtsfehlerhafte Vorwegnahme schwieriger Fragen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die der Kläger behauptet, ist nicht erkennbar. Es ist auch geklärt, dass der Umstand, dass der Kläger aus tatsächlichen Gründen wohl in absehbarer Zeit nicht abgeschoben werden kann, die Ausweisung nicht unverhältnismäßig macht (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 40 ff.; Tanneberger in Kluth/ Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.8.2019, § 53 AufenthG Rn. 95 ff.).
Schließlich ergeben sich auch aufgrund von seit der Entscheidungsreife eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Entwicklungen, die das Verwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Klage zu berücksichtigen haben wird, keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Vielmehr wird die Gefahrenprognose, dass vom Kläger weiterhin die Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht, durch die vom Beklagten mit Schreiben vom 11. März 2019 übersandten Unterlagen bestätigt. Hieraus ergibt sich, dass der Kläger im Zeitraum von April 2018 bis März 2019 erneut sechsmal strafrechtlich bzw. polizeilich auffällig wurde, darunter wegen Körperverletzung, Betrug, Diebstahl sowie Erwerb/Besitz von Heroin; bei einem der Vorfälle wurde eine Blutalkoholkonzentration von 2,94 ‰ festgestellt. Somit ist festzustellen, dass der Kläger weder einen grundlegenden Einstellungs- und Verhaltenswandel in Bezug auf die Begehung von Straftaten vollzogen noch sein Drogen- und Alkoholproblem nachhaltig bekämpft hat.
Auch aus den Gesetzesänderungen durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl I 1294; in Kraft getreten am 21.8.2019) ergibt sich nichts zugunsten des Klägers. Für ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse genügt nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG n.F. nunmehr bereits eine Verurteilung von mindestens sechs Monaten. Dass nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG n.F. ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 20. November 2017 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72; BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).