Verwaltungsrecht

Anordnung betriebsärztlicher Untersuchung wegen Zweifeln an der Dienstfähigkeit

Aktenzeichen  6 CE 15.2591

Datum:
2.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG BBG § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 6
VwGO VwGO § 123, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1 Die Untersuchungsaufforderung ist kein Verwaltungsakt, sondern eine gemischt dienstlich-persönliche Weisung, so dass der vorläufige Rechtsschutz sich nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO richtet. (redaktioneller Leitsatz)
2 Erhebliche Fehlzeiten, die durchgehende Dienstunfähigkeit von mehr als drei Monaten und die fehlende Möglichkeit, mit dem Beamten ein Mitarbeitergespräch zu führen, rechtfertigen die Anordnung einer betriebsärztlichen Untersuchung wegen Zweifeln an der Dienstfähigkeit. (redaktioneller Leitsatz)
3 Kennt der Dientherr die Diagnose der Erkrankung nicht und trägt der Beamte zur Aufklärung nicht bei, ist eine (allgemeine) ambulant durchgeführte Untersuchung durch die Betriebsärztin zur Frage der Dienstunfähigkeit geeignet und angemessen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 E 15.5313 2015-11-26 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 26. November 2015 – M 21 E 15.5313 – wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin steht als Postamtfrau (Besoldungsgruppe A 11) im Dienst der Antragsgegnerin. Sie wird bei der Niederlassung … M. mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Datentypistin in der Nach- und Rücksendestelle beschäftigt. Seit dem 7. Mai 2015 ist die Antragstellerin ununterbrochen dienstunfähig erkrankt.
Mit Schreiben vom 10. November 2015 ordnete der Leiter der Niederlassung … M. gegenüber der Antragstellerin eine ärztliche Untersuchung nach § 44 Abs. 6 BBG an und bat diese, sich dazu am 30. November 2015 um 9.00 Uhr zu einer Dienstunfähigkeitsuntersuchung in der Betriebsarztpraxis bei einer beauftragten Gutachterin vorzustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Zweifel an der Dienstfähigkeit der Antragstellerin bestünden, weil diese seit dem 7. Mai 2015 durchgehend erkrankt sei. Der Untersuchungsaufforderung beigefügt war der Untersuchungsauftrag an die Betriebsärztin mit Anlagen, aus denen sich u. a. ergibt, dass die Antragstellerin vom 12. März 1999 bis 11. März 2014 wegen Elternzeit und der Betreuung Angehöriger beurlaubt gewesen sei und ihre Tätigkeit bei der Nach- und Rücksendestelle wegen Unterbrechung durch Krankheit nur 95 Tage ausgeübt habe. Es bestünden sehr viele Fehlzeiten und keinerlei Möglichkeit, mit der Antragstellerin ein Gespräch zu führen. Aufgrund ihrer Krankheit könne sie an keinem Mitarbeitergespräch teilnehmen. Eine Eignungsuntersuchung habe sie nicht wahrgenommen.
Nachdem die Antragstellerin von der Antragsgegnerin erfolglos die Rücknahme der Untersuchungsanordnung vom 10. November 2015 gefordert hatte, beantragte sie beim Verwaltungsgericht, sie vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens von der Verpflichtung der Durchführung einer betriebsärztlichen Untersuchung aufgrund der Untersuchungsanordnung vom 10. November 2015 freizustellen. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 26. November 2015 ab.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Die mit der Beschwerde innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
Das Verwaltungsgericht ist mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf vorläufige Freistellung von der Verpflichtung hat, der Untersuchungsaufforderung des Leiters der Niederlassung … M. vom 10. November 2015 Folge leisten zu müssen. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat es zunächst klargestellt, dass die Untersuchungsaufforderung keinen Verwaltungsakt i. S. des § 35 Satz 1 VwVfG darstellt, sondern eine gemischt dienstlichpersönliche Weisung (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 17.10 – NVwZ 2012, 1483 ff.). Der von der Antragstellerin begehrte vorläufige Rechtsschutz richtet sich daher nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO. Es kann dahinstehen, ob der Antragstellerin ein Anordnungsgrund zur Seite steht, weil sie jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der betriebsärztlichen Untersuchung ist § 44 Abs. 6 BBG. Danach besteht die Verpflichtung eines Beamten, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel über die Dienstunfähigkeit bestehen. Diese Verpflichtung gilt nach dem Sinn und Zweck der Regelung auch dann, wenn der Dienstvorgesetzte Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten hat (vgl. BVerwG, B.v. 28.5.1984 – 2 B 205.82 – Buchholz 237.5 § 51 LBG HE Nr. 1; BayVGH, B.v. 27.2.2013 – 6 CE 12.2788 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 9.10.2006 – 6 B 1717.06 – juris Rn. 4). Aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände muss zweifelhaft sein, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstraktfunktionellen Amtes zu erfüllen. Dies ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 19 m. w. N.).
Die Behörde muss diese tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, in der Aufforderung angeben. Der Beamte muss anhand dieser Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind. Er muss erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Die Behörde darf insbesondere nicht nach der Überlegung vorgehen, der Adressat werde schon wissen, „worum es geht“ (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 20).
Eine unzureichende Begründung kann nicht durch das Nachschieben weiterer Gründe geheilt werden. Erkennt die Behörde die Begründungsmängel der ersten Aufforderung zur Untersuchung, kann sie eine neue Aufforderung mit verbesserter Begründung erlassen (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 21).
Ferner muss die Anordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Arzt überlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich der Beamte einer fachpsychiatrischen Untersuchung unterziehen soll (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 22).
Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar sind, kann der Betroffene auch nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 23).
Nach diesem rechtlichen Maßstab hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass die Untersuchungsaufforderung vom 10. November 2015 mit dem beigefügten Untersuchungsauftrag an die Betriebsärztin und den Anlagen keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Der Untersuchungsauftrag samt Anlagen ist inhaltlicher Bestandteil der Untersuchungsaufforderung geworden. Der darin enthaltene Verweis auf sehr viele Fehlzeiten, die durchgehende Dienstunfähigkeit der Antragstellerin seit dem 7. Mai 2015 und die fehlende Möglichkeit, mit der Antragstellerin ein Mitarbeitergespräch zu führen, tragen die Anordnung der betriebsärztlichen Untersuchung formell und inhaltlich. Da der Antragstellerin ihre Fehlzeiten aufgrund Erkrankung bekannt sind, ist dieser Begriff weder zu pauschal oder unbestimmt noch nicht nachvollziehbar. Die fortlaufende Dienstunfähigkeit seit dem 7. Mai 2015 bietet dem Dienstherrn hinreichenden Anlass, die Dienstfähigkeit der Antragstellerin betriebsärztlich untersuchen zu lassen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG kann als dienstunfähig angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Die Antragstellerin hat zum Zeitpunkt der Untersuchungsanordnung mehr als drei Monate keinen Dienst getan. Es wurde weder vorgetragen noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass innerhalb weiterer sechs Monate wieder volle Dienstfähigkeit besteht.
Die Art der ärztlichen Untersuchung ist in der Untersuchungsaufforderung genannt, nämlich eine (allgemeine) ambulant durchgeführte Untersuchung durch die Betriebsärztin Dr. H. zur Frage der Dienstunfähigkeit der Antragstellerin. Die Anforderungen zur Angabe des Umfangs der ärztlichen Untersuchung dürfen im vorliegenden Fall nicht überspannt werden. Dem Dienstherrn ist nur die Tatsache der seit Monaten andauernden Dienstunfähigkeit der Antragstellerin seit dem 7. Mai 2015 bekannt. Eine Diagnose der Erkrankung wird ihm regelmäßig nicht mitgeteilt. Nach dem Akteninhalt verschließt sich die Antragstellerin – aus welchen Gründen auch immer – Gesprächen mit dem Dienstherrn, die zur Klärung beitragen könnten. In einem derartigen Fall ist es dem Dienstherrn tatsächlich nicht möglich, nähere Angaben zum Umfang der ärztlichen Untersuchung zu machen. Ihm steht zur Aufklärung der Frage der Dienstunfähigkeit und der Prognose im Sinn des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG keine andere weniger einschneidende Maßnahme zur Verfügung, als (zunächst) eine allgemeine, ambulant durchgeführte betriebsärztliche Untersuchung zur Frage der Dienstunfähigkeit anzuordnen. Eine derartige Maßnahme ist nicht unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht verweist zu Recht darauf, dass die Betriebsärztin den zur Beurteilung der Dienstfähigkeit erforderlichen speziellen Sachverstand hat, der einerseits auf der Kenntnis der Belange der öffentlichen Verwaltung und andererseits auf der Erfahrung aus einer Vielzahl von gleich oder ähnlich gelagerten Fällen beruht. Die Klärung der Frage der Dienstunfähigkeit dient auch der Durchführung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebs (BayVGH, B.v. 31.8.2015 – 6 ZB 15.36 – juris Rn. 11; OVG LSA, B.v. 26.6.2007 – 1 M 103.07 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 9.10.2006 – 6 B 1717.06 – juris Rn. 14). Im Rahmen einer betriebsärztlichen Untersuchung wird geprüft werden können, ob die Situation gegebenenfalls durch bestimmte Maßnahmen verbessert werden könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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