Aktenzeichen M 17 S 17.41167
Leitsatz
Kann bei summarischer Prüfung nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen (hier: § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Uzbeken und sunnitischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben im Juni 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. September 2015 Asylantrag.
Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Oktober 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass seine leiblichen Eltern Kommandanten gewesen seien. Eines Tages, als er fünf Monate alt gewesen sei, sei deren Haus gestürmt und sie ermordet worden. Die Täter seien andere Kommandanten gewesen. Er sei dann bei seiner Tante aufgewachsen, die leiblichen Kinder seien aber immer bevorzugt worden und sein Pflegevater habe ihn geschlagen. Ein Nachbar habe ihm dann gesagt, dass die Grundstücke seiner Pflegeeltern eigentlich seine seien. Als er seine Pflegeeltern zur Rede gestellt habe, hätten diese gesagt, dass er ihr leiblicher Sohn sei. Mit 20 Jahren habe er angefangen, beim Militär zu arbeiten. Er habe eine Kalaschnikow bekommen und in dem Dorf, aus dem er gekommen sei, für Ruhe sorgen sollen. Es habe dann einen erneuten Dorfstreit gegeben. Die eine Seite der Dorfbevölkerung habe Soldaten entführt, zu denen auch er gehört habe. Nach 20 Nächten sei er von seinem Kommandanten befreit worden. Kurz vor seiner eigenen Kommandantenstellung seien die Mörder seiner Eltern gekommen und hätten ihn umbringen wollen. Seine Pflegemutter habe ihm gesagt, dass er die Nacht nicht überleben würde und er verschwinden solle. Seine Frau habe sich vom letzten Mann nicht scheiden lassen, sodass jeder in Afghanistan sage, dass er eine verheiratete Frau mitgenommen habe. Der Noch-Ehemann habe sie bis nach Deutschland verfolgt. Außerdem habe er ein minderjähriges Kind in Deutschland.
Mit Schreiben vom 23. März 2017 teilte Griechenland mit, dass dem Antragsteller am 21. Februar 2014 in zweiter Instanz subsidiärer Schutz zuerkannt worden war.
Am 26. April 2017 wurde der Antragsteller zur Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG angehört. Dort gab er im Wesentlichen an, dass er sich in Griechenland nicht habe sicher fühlen können, weil er dort eine Auseinandersetzung mit dem ersten Mann seiner Frau gehabt habe. Außerdem sei er in Griechenland von ausländerfeindlichen Bürgern krankenhausreif geschlagen worden.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2017, zugestellt am 12. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Griechenland bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Der Antragsteller darf nicht nach Afghanistan abgeschoben werden (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass der Asylantrag aufgrund der Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland als unzulässig abgelehnt und damit nicht materiell geprüft werde. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Dem Antragsteller werde die Abschiebung nach Griechenland, also einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, angedroht. Hierbei handele es sich um einen sicheren Herkunftsstaat. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, dass ihm in Griechenland eine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Griechenland gelte als ein sicherer Herkunftsstaat, in dem weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung, Behandlung oder Benachteiligung aufgrund der Nationalität oder Volkszugehörigkeit stattfinde und wo interner Schutz durch die Polizei und Behörden gegeben sei. Auch das Vorbringen des Antragstellers, er sei in Griechenland Opfer von ausländerfeindlichen Übergriffen geworden, sei nicht geeignet, diese Regelvermutung zu widerlegen. Seine Aussage sei wenig substantiiert und detailarm, was die vermeintlich Kausalität und den zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und Ausreise betreffe. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers am 19. Mai 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 17.41166) und beantragte gleichzeitig, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom 11. Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Abschiebungsandrohung nur dann ergehen dürfe, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorlägen. Im vorliegenden Fall liege ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vor, da der Antragsteller Vater eines am … November 2015 geborenen Sohnes sei. Auch bei der Mutter des Kindes der Lebensgefährtin des Antragstellers seien Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt worden. Eine Abschiebung des Antragstellers würde die Familieneinheit gefährden. Das minderjährige Kind sowie die Mutter seien auf den Antragsteller als Vater angewiesen. Dieser lebe mit seiner Lebensgefährtin und ihrem gemeinsamen Kind sowie den drei weiteren Kindern der Lebensgefährtin einer Familieneinheit. Dem Antragsteller sei es nicht zumutbar, nach Griechenland abgeschoben zu werden und anschließend ein Familienzusammenführungsverfahren in Deutschland zu betreiben. Abgesehen davon könne die Familieneinheit nicht in Griechenland gelebt werden. Ferner werde darauf hingewiesen, dass die Lebensgefährtin seit dem … Mai 2017 in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt werde. Es sei derzeit nicht absehbar, wie lange sich diese noch im Klinikum befinden werde. Die Abschiebungsandrohung sei auch insoweit rechtswidrig, als sie gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verstoße. Das Bundesverfassungsgericht habe durch Beschluss vom 8. Mai 2017 festgestellt, dass eine derzeitig Abschiebung von Schutzberechtigten nach Griechenland unzulässig sei. Dem Antragsteller drohe in Griechenland eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Er habe dort keinen Anspruch auf Sozialleistungen, da die in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen an einen bis zu 20-jährigen legalen Aufenthalt anknüpften, weshalb anerkannte Schutzberechtigte wie der Antragsteller von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen seien. Ferner sei nicht sichergestellt, dass zurückgeführte anerkannte Schutzberechtigte vor Ort Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen hätten.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.41166 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 10. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Nach § 36 Abs. 4 AsylG kann das Gericht der Hauptsache u.a. im Fall der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im vorliegenden Fall kann bei summarischer Prüfung nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu bewerten, da insbesondere erst in der mündlichen Verhandlung abschließend geklärt werden kann, ob beim Kläger im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt. Da die Interessen des Antragstellers insoweit überwiegen, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.