Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Umzugsaufforderung

Aktenzeichen  M 24 S 17.213

Datum:
13.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
AsylbLG AsylbLG § 1a Abs. 1
VwGO VwGO § 52 Nr. 2 S. 3, § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 50
DVAsylG § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 5

 

Leitsatz

Eine geplante Unterbringung in einem Mehrbettzimmer ist rechtswidrig, wenn es an dem Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Interesses für die Umzugsaufforderung fehlt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Rechtsstreit betrifft eine vom Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller verfügte Umzugsaufforderung innerhalb des Landkreises …
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … Dezember 2016 wies die Regierung von Oberbayern den Antragsteller ab dem … Dezember 2016 dem Landkreis … (Nr. 1) und ihm dort als künftigen Wohnsitz die Unterbringung im Hotel … in … (Nr. 2) zu, verpflichtete ihn, spätestens am … Dezember 2016 zum Einzug in die unter Nr. 2 genannte Unterkunft (Nr. 3) und drohte für den Fall, dass der Aufforderung unter Nr. 3 nicht rechtzeitig nachgekommen werde, die Vollstreckung durch unmittelbarem Zwang an (Nr. 4).
Ausweislich des streitgegenständlichen Bescheides wohnte der Antragsteller bislang in einer Gemeinschaftsunterkunft in der … Straße in …
Am … Januar 2017 erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom … Dezember 2016 aufzuheben. Über die unter dem Aktenzeichen M 24 K 17.212 bei Gericht anhängige Klage wurde noch nicht entschieden. Zugleich wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde mit Schreiben vom … Februar 2017 ein ärztliches Attest der …-Klinik vom … Januar 2017 zur Kenntnisnahme vorgelegt, wonach sich der Antragsteller dort wegen schwerer psychischer Erkrankungen in stationär-psychiatrischer Behandlung befinde. Aufgrund seiner Erkrankung sei eine reizarme, stabilisierende und Sicherheit vermittelnde Unterkunft aus ärztlicher Sicht dringend erforderlich. Die geplante Unterbringung in einem Mehrbettzimmer bedeute aus ärztlicher Sicht eine massive Belastung für den Patienten, durch die eine anhaltende Stresssituation für ihn entstehe und eine neuerliche Dekompensation bzw. deutliche Verschlechterung und Chronifizierung seiner Erkrankungen droht. Aus diesem Grund sei aus ärztlicher Sicht die Unterbringung in einer entsprechend geeigneten Wohnumgebung dringend erforderlich, da durch diese Maßnahmen eine Verschlechterung der Erkrankung vermieden und somit eine anhaltende Stabilisierung der psychischen Situation bei dem Patienten erreicht werden könne.
Mit Schreiben vom … Februar 2017 legte der Antragsgegner die Behördenakte vor und teilte mit, dass der Antragsteller laut Auskunft aus dem Ausländerzentralregister seit Ablehnung seines Asylantrages am … Oktober 2013 Inhaber einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sei. Auch der Asylfolgeantrag sei mit Bescheid des BAMF vom … Juli 2016 abgelehnt worden. Somit unterfalle der Antragsteller der Anspruchseinschränkung des § 1a Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Aus diesem Grund habe ein öffentliches Interesse an der Umverteilung in die jetzige dezentrale Unterkunft bestanden, da diese über einen Beherbergungsvertrag verfüge. Dort könne dem insbesondere für abgelehnte Asylbewerber geltenden Sachleistungsprinzip Rechnung getragen werden, da hier – im Gegensatz zur vorherigen Unterkunft – die Verpflegung als Sachleistung gewährt werden könne. Mit am … Dezember 2016 beim Antragsgegner eingegangenen Schreiben habe der Antragsteller die private Wohnsitznahme beantragt. Ohne das Vorliegen einer entsprechenden Wohnmöglichkeit könne dieser Antrag jedoch nicht bearbeitet werden. Auch im Hinblick auf das nun vorgelegte Attest werde angeregt, dass sich der Antragsteller mit Hilfe des Helferkreises sowie seiner „Ziehmutter“ um eine geeignete Wohnung bemühen solle. Auch in der vorherigen Unterkunft mit einer Kapazität von 83 Plätzen habe keine „Wohnumgebung“ geherrscht. Es werde daher beantragt, die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom … Februar 2017 teilte das Gericht den Beteiligten mit, dass es davon ausgehe, dass es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handele, da der Antragsteller und Kläger gegen den ablehnenden Bundesamtsbescheid vom … Juli 2016 Klage zum VG München erhoben habe, über die noch nicht entschieden worden sei, so dass das Asylfolgeverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen sei. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass bei Durchsicht der vorgelegten Behördenakte aufgefallen sei, dass dem Antragsteller bereits mit Bescheid vom … März 2015 die private Wohnsitznahme im Landkreis … gestattet worden sei, ein Widerruf dieser Gestattung sich jedoch nicht in der Behördenakte befinde, so dass sich der streitgegenständliche Bescheid infolgedessen als ermessensfehlerhaft erweisen könnte, weil er sich nicht damit auseinander gesetzt habe, dass dem Antragsteller bereits unter Widerrufsvorbehalt die Wohnsitznahme außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft im Zuständigkeitsbereich des Landkreises … gestattet worden war. Zu beiden Punkten wurde den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Der Antragsgegner äußerte sich mit Schreiben vom … Februar 2017 dahingehend, dass die private Wohnsitznahme habe beendet werden müssen, da die Person, bei der der Antragsteller bislang privat gewohnt hatte, umgezogen sei und sie den Antragsteller nicht in der neuen Wohnung habe aufnehmen können. Nachdem der Antragsteller freiwillig wieder in eine Gemeinschaftsunterkunft gezogen sei, sei ein Widerrufsbescheid nicht erforderlich gewesen. Ggf. könnte ein solcher aber unverzüglich nachgereicht werden. Jedenfalls sei der Antragsteller auf seinen Wunsch hin mit Bescheid vom … März 2016 der Gemeinschaftsunterkunft in der … Straße zugewiesen worden und habe sich auch tatsächlich dort aufgehalten.
Mit Beschluss vom … März 2017 wurde der Rechtsstreit im Hauptsacheverfahren (M 24 K 17.212) zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten M 24 S. 17.213 und M 24 K 17.212 und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
1. Das Verwaltungsgericht München ist zur Entscheidung über den Eilantrag als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 45 VwGO; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da der Antragsteller gegen den ablehnenden Bundesamtsbescheid vom … Juli 2016 Klage zum VG München erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist, so dass das Asylfolgeverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 19.10.2016 – 21 CS 16.30179 – juris und BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 21 C 16.30043 – juris). Der Antragsteller hatte im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG –) seinen Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk … und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen. Zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da die Anfechtungsklage gegen die Umzugsaufforderung des Antragsgegners vom … Dezember 2016 keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 Abs. 1 AsylG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Aufnahmegesetz (AufnG)).
3. Der Antrag hat in der Sache Erfolg.
3.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
3.2. Vor diesem Hintergrund überwiegt vorliegend das Suspensivinteresse des Antragstellers. Denn bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) wird die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich Erfolg haben.
3.2.1. Die am … Januar 2017 erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Zwar beträgt in asylrechtlichen Verfahren die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG zwei Wochen. Da die dem streitgegenständlichen Bescheid angefügte Rechtsbehelfsbelehrung:jedoch (unrichtig) eine Monatsfrist benennt, ist vorliegend die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO einschlägig, die mit der Erhebung der Klage am … Januar 2017 gewahrt wurde.
3.2.2. Die Anfechtungsklage erweist sich nach summarischer Prüfung voraussichtlich als begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Umzugsaufforderung des Antragsgegners ist § 50 AsylG i.V.m. § 9 DVAsyl in der seit 1. September 2016 geltenden Fassung (GVBl. S. 258ff). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 DVAsyl kann unter anderem aus Gründen des öffentlichen Interesses eine nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigte Person aufgefordert werden, in eine andere Wohnung, in eine andere Unterkunft, in eine Gemeinschaftsunterkunft oder dezentrale Unterkunft innerhalb des Landkreises oder der kreisfreien Gemeinde umzuziehen. Wann von einem solchen öffentlichen Interesse an der Umzugsaufforderung insbesondere auszugehen ist, ist in § 9 Abs. 5 DVAsyl festgelegt. Die dort in den Nummern 1 bis 4 genannten Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Wie aus dem Wort „insbesondere“ ersichtlich wird, ist die Aufzählung in § 9 Abs. 5 DVAsyl nicht abschließend. Vorliegend hat der Antragsgegner das öffentliche Interesse im Rahmen des Eil- und des Klageverfahrens mit der auf den Antragsteller zutreffenden Anspruchseinschränkung des § 1a Abs. 1 AsylbLG begründet. Das Gericht erachtet bei summarischer Überprüfung die Voraussetzungen dieser Vorschrift jedoch nicht für gegeben.
Nach § 1a Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Da der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, einen Asylfolgeantrag gestellt hat, ist er ein Leistungsberechtigter nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG und fällt bereits deshalb nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Abs. 1 AsylbLG. Darüber hinaus ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass der Antragsteller ausschließlich deshalb in das Bundesgebiet eingereist ist, um Sozialleistungen zu erhalten. Entsprechendes wurde vom Antragsgegner auch nicht näher ausgeführt.
Unabhängig davon, dass der Antragsgegner das öffentliche Interesse an der Umzugsaufforderung nicht mit § 1a Abs. 5 AsylbLG begründet hat, ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift (fehlende Mitwirkung des Antragstellers, zu vertretende Versäumnis des gewährten Termins zur förmlichen Asylantragstellung u.a.), die zwar grundsätzlich auf Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG (Asylfolgeantragsteller) Anwendung finden könnte, vorliegend erfüllt wären.
Fehlt es bereits an dem Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Interesses für die an den Antragsteller gerichtete Umzugsaufforderung, kommt es darauf, ob auf Grund des Gesundheitszustandes des Antragstellers sonstige humanitäre Gründe von gleichem Gewicht i.S. v. § 9 Abs. 6 DVAsyl vorliegen, die einer Umzugsaufforderung entgegenstünden, vorliegend ebenso wenig an wie auf die Frage, ob angesichts der freiwilligen Rückkehr des Antragstellers in eine Gemeinschaftsunterkunft im März 2016 ein förmlicher Widerruf der zuvor mit Bescheid vom … März 2015 gestatteten privaten Wohnsitznahme erforderlich gewesen wäre.
Vor diesem Hintergrund wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben, so dass das Suspensivinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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