Aktenzeichen M 17 S 17.41548
AsylG AsylG § 36 Abs. 3, § 75
GG GG Art. 16a Abs. 4 S. 1
Leitsatz
Kann allein anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 13. Mai 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von … und reiste im August 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 6. Juli 2015 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Februar 2017 gab er im Wesentlichen an, dass er, als er 13 oder 14 Jahre alt gewesen sei, gemerkt habe, dass er sexuell sehr zu Männern hingezogen sei. Er habe ein Verhältnis zu beiden Zimmerkollegen im Internat der Koranschule gehabt. Im Februar 2014 sei er von der Leitung der Koranschule beim Geschlechtsverkehr entdeckt worden. Der Leiter der Koranschule habe ihn in einen Raum gebracht und er sei stundenlang zusammengeschlagen worden. Aufgrund der Misshandlungen sei er bewusstlos geworden und im Krankenhaus wieder zu sich gekommen. Die Polizei habe eine Untersuchung durchgeführt und die Familien der anderen Jungen sowie bestimmte Leute von der politischen Partei befragt. Die beiden Zimmerkollegen hätten ausgesagt, dass der Antragsteller sie zu unsittlichen Handlungen verführt habe. Auf Grundlage der Scharia habe er getötet werden sollen. Die Polizei habe auch beim zuständigen Gemeinderat Nachfragen angestellt, der gesagt habe, dass der Vater des Antragstellers nach der Teilung Pakistans mit Pakistan zusammengearbeitet habe und ein Landesverräter sei. Danach sei sein Bruder verhaftet worden, weil er auch ein Landesverräter sei. Die Polizei sei ins Krankenhaus gekommen, um den Antragsteller zu verhaften, wie ihm eine Krankenschwester erzählt habe, die geraten habe, das Krankenhaus so schnell wie möglich zu verlassen. Er habe zwei Monate in einem Nachbarort verbracht und sei dann ausgereist.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2017, zugestellt am 19. Mai 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Bangladesch bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Der Antragsteller habe seine begründete Furcht vor Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden nicht glaubhaft gemacht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die laut Antragsteller streng religiöse Leitung der Koranschule nur den Antragsteller zur Verantwortung gezogen habe und das Verhalten den beiden anderen Zimmerkollegen nachgesehen haben solle. Unglaubhaft sei, dass das Vorgehen auf Zustimmung innerhalb des Staatswesens und seiner Organe getroffen sein solle. Die amtierende Regierungspartei vertrete eine säkulare Politik und trete für die Religionsfreiheit ein. Ebenfalls nicht nachvollziehbar sei der Zeitpunkt der Anzeige des Dorfvorsitzenden gegen den Vater des Antragstellers. Es sei unglaubhaft, dass dieser mit der Anzeige gewartet haben solle bis es eine Ermittlung der Polizei wegen der Vorkommnisse in der Koranschule gegeben habe. Es sei realitätsfern, dass ein Mitglied der Regierungspartei über Erkenntnisse von Landesverrat verfüge, diese aber erst beim zufälligen Erscheinen der Polizei anzeige. Darüber hinaus sei fragwürdig, dass ein Mensch, der so rigoros verfolgt sein wolle, wie der Antragsteller, bei jeder Gelegenheit fremden Menschen seine Verfolgungsgeschichte erzählen und sich damit der Gefahr weitere Verfolgung aussetzen würde. Der Vortrag sei inkonsistent, inkohärent und unplausibel. Der Antragsteller müsse sich auch darauf verweisen lassen, dass ihm eine inländische Fluchtalternative offen stünde. Es seien keine Umstände ersichtlich, warum er sich nicht einem anderen Ort niederlassen könnte. Eine Gefahr des Fortlaufens der Verfolgung oder die erneute Aufnahme einer Verfolgung sei schon wegen des nicht existenten Meldewesens nicht ausreichend wahrscheinlich. Auch subsidiärer Schutz sei abzulehnen, da dem Antragsteller offensichtlich kein ernsthafter Schaden drohe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Dem Antragsteller drohe in Bangladesch keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Bangladesch führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Der Antragsteller habe keine Schwierigkeiten, sein Existenzminimum zu sichern, vorgetragen. Es sei nicht ersichtlich, warum ihm dies bei einer Rückkehr nicht gelingen sollte. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben.
Hiergegen erhoben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 24. Mai 2017, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage (M 17 K 17.41547) und beantragten,
hinsichtlich Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung wurde auf die Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt Bezug genommen sowie ausgeführt, dass dem homosexuellen Kläger in … die Ermordung bzw. eine unmenschliche Bestrafung drohe, weil er amtsbekannt in einer Koranschule homosexuelle Kontakte unterhalten habe.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.41547 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 13. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. Im vorliegenden Fall kann allein anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu bewerten, da insbesondere erst in der mündlichen Verhandlung abschließend geklärt werden kann, ob dem Kläger aufgrund seiner geltend gemachten Homosexualität Verfolgungsmaßnahmen drohen. Da die Interessen des Antragstellers insoweit überwiegen, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.