Verwaltungsrecht

Anordnung des Leinenzwangs aufgrund konkreter Gefahren

Aktenzeichen  10 ZB 19.2474

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2670
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
LStVG Art. 18 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Anordnung eines Leinenzwangs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen innerhalb der geschlossenen Ortslage ist bereits durch die Größe eines Hundes gerechtfertigt, ohne dass es zu einem (Beiß-)Vorfall gekommen sein muss. Außerhalb von bewohnten Gebieten kann eine solche Gefahr nicht ohne Weiteres angenommen werden. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein längerer Zeitraum ohne weitere Zwischenfälle widerlegt nicht per se die durch einen vorherigen Vorfall indizierte Gefahrenlage. Von einem Wegfall der konkreten Gefahr kann vielmehr allenfalls dann ausgegangen werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden kann, dass von dem betroffenen Hund inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 9 K 19.356 2019-10-25 Ent VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 4. März 2019 weiter, soweit dieser die Hündin „Kayleigh“ betrifft. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte für beide Hündinnen des Klägers (Katie und Kayleigh) einen Leinenzwang innerhalb der geschlossenen Ortslage sowie einen Leinenzwang außerhalb im Zusammenhang bebauten Ortsteile, sobald sich andere Hunde oder Menschen nähern oder wahrgenommen werden, angeordnet.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag die sinngemäß geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht ergeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung, dass auch von der Hündin „Kayleigh“ eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgehe, damit begründet, dass es sich um einen großen Hund handle und auch „Kayleigh“ an diversen Vorfällen beteiligt gewesen sein. Am 20. Januar 2018 seien beide Hunde ohne Leine über das Feld vor ein Anwesen in B. gelaufen. Dieser Bereich befinde sich innerorts in unmittelbarer Nähe zur Haupt straße und Wohnbebauung. Nach Angaben des Klägers sei es die Hündin „Katie“ gewesen, die einen anderen Hund dort verletzt habe, er habe aber eingeräumt, dass beide Hündinnen ohne Leine vom Feld aus in Richtung Wohnbebauung gerannt seien. Am 27. Mai 2015 habe die Ehefrau des Klägers beide Hündinnen innerorts ausgeführt. Die Hunde hätten eine 82-jährige Dame umkreist, wobei diese zu Fall gekommen sei. Auch im Außenbereich habe es konkrete Vorfälle gegeben, bei denen von beiden Hunden eine konkrete Gefahr für Gesundheit und Eigentum anderer Menschen ausgegangen sei. Es handle sich hierbei um die Vorfälle am 14. Januar, 1. und 7. Februar 2015. In allen Fällen seien die Hunde des Klägers auf ein Pferd zugelaufen, auf dem eine Reiterin gesessen habe. Die Pferde hätten wegen der Hunde gescheut.
Der Kläger bringt insoweit vor, dass die Beklagte die Vorfälle aus dem Jahr 2015 dem streitgegenständlichen Bescheid nicht mehr habe zugrunde legen dürfen, weil sie damals keine rechtlichen Konsequenzen gezogen habe. Am 20. Januar 2018 habe nur der Hund „Katie“ den anderen Hund verletzt. Von der Hündin „Kayleigh“ sei keine konkrete Gefahr aus gegangen. Die Gleichbehandlung der Hündin „Kayleigh“ mit der Hündin „Katie“ sei ermessensfehlerhaft. Im Übrigen wäre ein milderes Mittel in Betracht gekommen. Anstatt des Leinenzwangs hätte ein Maulkorbzwang angeordnet werden können.
Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger jedoch die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung die Hündin „Kayleigh“ betreffend nicht ernsthaft in Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Senats zurecht angenommen, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevanten Publikumsverkehr frei herumlaufen oder vom Führen derartiger Hunde durch eine hierzu nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter ausgeht. Die Anordnung eines Leinenzwangs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen innerhalb der geschlossenen Ortslage (Nr. 1 des Bescheids vom 4. März 2019) ist daher bereits durch die Größe der Hündin „Kayleigh“ gerechtfertigt, ohne dass es zu einem (Beiß-)Vorfall gekommen sein muss (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 18; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.5966 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Außerhalb von bewohnten Gebieten kann nach der Rechtsprechung des Senats eine solche Gefahr nicht ohne Weiteres angenommen werden, weil es dort gerade nicht zwangsläufig zu den die konkrete Gefahrenlage begründenden Kontakten mit anderen Menschen oder Hunden kommt bzw. kommen muss; die bloße entfernte oder abstrakte Möglichkeit, dass die Hunde des Klägers außerhalb bewohnter Gebiete auf Menschen oder andere Hunde treffen und diese angreifen und vom Halter in solchen Situationen nicht oder nicht rechtzeitig zurückgehalten werden könnten, reicht für das Erfordernis einer konkreten Gefahr im o.g. Sinne nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 10; U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 20 m.w.N.). Insoweit haben jedoch die Beklagte und das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass auch die Hündin „Kayleigh“ in der Vergangenheit bereits an Zwischenfällen beteiligt war, bei denen aufgrund auch ihres Verhaltens (Zulaufen auf Pferde mit Reiter) eine konkrete Gefahr bestand, dass die Reiterin oder die Pferde sich aus Angst vor ihr verletzten. Der Einwand des Klägers, diese Vorfälle lägen schon lange zurück und könnten deshalb nicht mehr zur Begründung des Leinenzwangs in Nr. 1.1 des Bescheids vom 4. März 2019 herangezogen werden, greift nicht. Denn mangels eines Erfahrungssatzes, nach dem ein Hund, der über einen bestimmten Zeitraum unauffällig war, es auch in Zukunft bleiben wird, widerlegt ein längerer verstrichener Zeitraum nicht per se die durch den vorherigen Vorfall indizierte Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2012 – 10 CS 12.1791 – juris Rn. 25). Von einem Wegfall der konkreten Gefahr kann vielmehr allenfalls dann ausgegangen werden, wenn über den bloßen Zeitablauf ohne weitere Zwischenfälle hinaus Tatsachen vorliegen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden kann, dass von dem betroffenen Hund inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris Rn. 27; B.v. 25.8.2014 – juris Rn. 8; B.v. 28.9.2012 – 10 CS 12.1791 – juris Rn. 25). Solche konkreten Tatsachen sind im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass die Hündin „Kayleigh“ nicht mehr – wie angegeben -von der Ehefrau des Klägers ausgeführt wird. Auch die anderen Personen, die die Hündin bei den Vorfällen aus dem Jahr 2015 ausgeführt hatten, hatten sie nicht rechtzeitig an die Leine genommen, so dass sie auf die Pferde zulaufen konnte und diese zum Scheuen gebracht hat.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass die Anordnungen vom 4. März 2019 für die Hündin „Kayleigh“ nicht ermessensfehlerhaft sind. Auch wenn sie nach Angaben des Klägers an keinem Beißvorfall beteiligt war, entspricht es pflichtgemäßer Ausübung des Entschließungsermessens zur Vermeidung weiterer konkreter Gefahren für die Gesundheit und Eigentum Dritter einen Leinenzwang anzuordnen. Der von „Kayleigh“ ausgehenden Gefahr konnte nicht durch die Anordnung eines Maulkorbzwangs begegnet werden. Die Gefahr besteht in ihrem Fall nicht darin, dass sie andere Hunde oder Menschen beißt; die Gefahrenlage wird vielmehr dadurch begründet, dass sie unkontrolliert auf andere Tiere und Menschen zuläuft, diese sich von ihr bedroht fühlen und es dadurch zu Fehlreaktionen kommt, die zu ernsthaften Verletzungen führen. Dies kann durch das Anlegen eines Maulkorbs nicht verhindert werden.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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