Aktenzeichen 10 CS 19.854
GG Art. 6 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
EMRK Art. 8
Leitsatz
1. Für die Anordnung des Sofortvollzugs muss die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren; der allgemeine Verdacht einer Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik genügt nicht (vgl. BVerfG, B.v. 16.07.1974 – BeckRS 9998, 107258 m.w.N.). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 25 S 19.2014 2019-04-30 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Ausweisung vom 20. April 2018 wiederherzustellen, bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisung abgelehnt. Die Anordnung des Sofortvollzugs erfülle in formaler Hinsicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO, da aufgrund der Vorgeschichte die Begehung weiterer Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit, insbesondere Vergewaltigungsdelikte, zu erwarten sei. Die Ausweisungsverfügung erweise sich als rechtmäßig. Insofern werde auf die Ausführungen im Urteil der Hauptsache vom 13. März 2019 (M 25 K 18.2515) verwiesen. Neue Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Demgegenüber macht der Antragsteller mit seiner Beschwerde geltend, gegen das Urteil vom 13. März 2019 gleichzeitig mit seiner Beschwerde heute Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt zu haben. Ihm sei wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und effizienten Rechtsschutz Gelegenheit zur Durchführung des Berufungsverfahrens zu geben. Mit einer Abschiebung zum jetzigen Zeitpunkt würde der rechtskräftige Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr abgewartet werden können. Im Rahmen der Güterabwägung sei dem Bleiberecht der Vorrang zu geben, weil im Falle einer Abschiebung eine Rückführung des Antragstellers faktisch nicht möglich sei.
Mit diesem Vorbringen wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht mit Erfolg angefochten.
Soweit der Antragsteller die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, dringt er damit nicht durch. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht‚ sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfG‚ B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 Rn. 35). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht‚ die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG a.a.O. Rn. 39), nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 6 C 15.11 – juris Rn. 1; BayVGH‚ B.v. 13.11.2013 – 10 C 13.2207 – juris Rn. 2). Vorliegend legt der Antragsteller schon nicht dar, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder in seine Erwägungen eingestellt haben sollte.
Soweit der Antragsteller (sinngemäß) die Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) moniert, verhilft dies seiner Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 18.12.2017 – 2 BvR 2259/17 – juris Rn. 17; B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 29; B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95 – juris Rn. 42 f.) ist für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Die Ausweisung ist in jedem Falle eine schwerwiegende Maßnahme, die nicht selten tief in das Schicksal des Ausländers und seiner Angehörigen eingreift. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung erheblich verschärft. Für die Verbindung der Ausweisung mit der Anordnung des Sofortvollzuges muss daher stets ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Es muss die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren; der allgemeine Verdacht einer Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik genügt nicht (vgl. BVerfG, B.v. 16.7.1974 – 1 BvR 75/74 – juris Rn. 24 m.w.N.).
Gemessen hieran hat das Verwaltungsgericht zu Recht ein über die Ausweisung hinausgehendes Erfordernis für den Sofortvollzug angenommen. Der Antragsteller ist in der Vergangenheit – wie sich aus dem in Bezug genommenen Urteil in der Hauptsache vom 13. März 2019 ergibt (s. dort Rn. 7 bis 14) – wiederholt straffällig geworden und wurde zuletzt wegen Vergewaltigung seiner Stieftochter zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hinsichtlich dieser Tat ist der Antragsteller einschlägig vorbestraft (Urteil des Landgerichts Ingolstadt v. 3.5.2011 wegen Vergewaltigung, zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung). Da der Antragsteller ausweislich der vorgelegten Führungsberichte der Justizvollzugsanstalt Bernau vom 20. April 2018 und vom 6. März 2019 sowie nach der von ihm verfassten und in der mündlichen Verhandlung am 13. März 2019 vorgelegten Stellungnahme unverändert die Taten leugnet und auch keine entsprechende Therapie in Anspruch nimmt, besteht die in den Taten zu Tage getretene Wiederholungsgefahr unverändert fort. Aufgrund seiner verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte, die er in seiner Heimat hat (s. hierzu Niederschrift über die mündliche Verhandlung v.13.3.2019, S. 2; Stellungnahme JVA Bernau v. 20.4.2018, S. 2, BA Bl. 962), seiner Erwerbsbiographie und seiner Kenntnisse der Landessprache einerseits sowie wegen der fehlenden bzw. gescheiterten sozialen/familiären und rechtlichen Integration andererseits erweist sich die Ausweisung auch im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als (offensichtlich) rechtmäßig. Demgemäß fällt auch die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Hauptsache zu Lasten des Antragstellers aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).