Aktenzeichen 8 ZB 17.1486
WHG § 62, § 100
VAwS § 1, § 4, § 6
BayWG Art. 58, Art. 63
Leitsatz
1. Die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Amtliche Auskünfte und Gutachten des Wasserwirtschaftsamts haben ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen privater Fachinstitute. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 2 K 16.532 2017-01-24 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen wasserrechtliche Anordnungen zur Sanierung einer Fahrsiloanlage.
Der Kläger betreibt auf dem Grundstück FlNr. 3225/0 der Gemarkung T … eine Fahrsiloanlage, die in zwei Auffangbehälter für Silagesickersaft entwässert. Die Fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft beim Landratsamt R … stellte bei einer Ortseinsicht am 4. September 2013 u.a. fest, dass Silagesickersaft aus einem Auffangbehälter zur Versickerung auf unbefestigtes Erdreich geleitet wurde sowie infolge eines Rückstaus zum nicht bei 2/3-Füllung geleerten Auffangbehälter entlang der Erschließungs Straße im unbefestigten Erdreich versickerte und dass Fugen und Bodenplatten von „Silo 3“ und „Silo 4“ undicht waren bzw. Risse aufwiesen.
Mit Bescheid vom 17. September 2013 ordnete das Landratsamt diverse Maßnahmen zur Instandsetzung und zum Betrieb der Fahrsiloanlage an.
Mit Urteil vom 24. Januar 2017 hat das Verwaltungsgericht München die gegen den Bescheid vom 17. September 2013 gerichtete Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels wegen eines Verstoßes gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 86 Abs. 1 VwGO) wurde nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Der Kläger sieht einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO darin, dass das Verwaltungsgericht kein Sachverständigengutachten eingeholt hat zu den Fragen, ob der austretende Silagesickersaft wassergefährdend ist sowie ob von der Fahrsiloanlage im Hinblick auf wasserundurchlässige Bodenschichten und fehlendes Grundwasservorkommen überhaupt eine Gewässergefährdung ausgehen kann. Damit kann er nicht durchdringen.
Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, z.B. BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447 = juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 8 ZB 15.1005 – juris Rn. 10).
Der Kläger hat nicht aufgezeigt, inwiefern er auf die vermisste Aufklärung hingewirkt hätte. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse Beteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – NVwZ-RR 2007, 285 = juris Rn. 2). Der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts (S. 52 ff. der VG-Akte) zu den gerügten Aufklärungsdefiziten keinen Beweisantrag gestellt. Ein solcher wäre jedoch erforderlich gewesen.
Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb sich dem Erstgericht auf Grundlage seiner Rechtsauffassung ohne förmlichen Beweisantrag eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 6.9.2017 – 2 B 2.17 – juris Rn. 14 f.). Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es im Rahmen des Besorgnisgrundsatzes (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 1 WHG) bzw. der privilegierenden Regelung für sog. JGS-Anlagen nach § 62 Abs. 2 Satz 3 WHG („bestmöglicher Schutz“) ausreicht, dass konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gewässerverunreinigung vorliegen. Solche tatsächliche Anhaltspunkte durfte es ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen aufgrund der Undichtigkeit der Fahrsiloanlage und der ausgetretenen Silagesickersäfte als gegeben angesehen. Auch zu den Fragen der (Un-)Durchlässigkeit der Bodenschichten und des Vorhandenseins eines (geringfügig ergiebigen) Grundwasservorkommens war das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die plausible fachbehördliche Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts (S. 37 f. der Behördenakte Band II) nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es ist im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. B.v. 9.5.2017 – 22 ZB 17.152 – juris Rn. 10; B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – BayVBl 2012, 47 = juris Rn. 11) davon ausgegangen, dass amtlichen Auskünften und Gutachten des Wasserwirtschaftsamts als kraft Gesetzes eingerichteter Fachbehörde (Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayWG) eine besondere Bedeutung zukommt. Nachdem solche fachbehördlichen Auskünfte auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen, haben sie grundsätzlich ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen privater Fachinstitute; für nicht durch Aussagen sachverständiger Personen untermauerte Darlegungen wasserwirtschaftlicher Art von Prozessbeteiligten gilt dies erst recht. Die Notwendigkeit einer Abweichung und Beweiserhebung durch das Gericht (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) ist daher erst dann geboten, wenn sich dem Gericht der Eindruck aufdrängt, dass die gutachterliche Äußerung des Wasserwirtschaftsamts tatsächlich oder rechtlich unvollständig, widersprüchlich oder aus anderen Gründen fehlerhaft ist (BayVGH, B.v. 23.2.2016 – 8 CS 15.1096 – BayVBl 2016, 677 = juris Rn. 36; B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – BayVBl 2012, 47 = juris Rn. 11). Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.
2. Weitere Zulassungsgründe hat der Kläger – auch der Sache nach, d.h. ohne Benennung eines Berufungszulassungsgrundes (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 25) – nicht dargelegt. Aus dem Zulassungsvorbringen lassen sich andere Zulassungsgründe als § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO auch nicht im Wege sachgerechter Auslegung entnehmen. Bloße Wiederholungen des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung genügen dem Darlegungserfordernis nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht (BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 19 ZB 17.952 – juris Rn. 4; B.v. 14.3.2017 – 9 ZB 17.93 – juris Rn. 5). Schon wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Zulassungsverfahren einerseits und im nachfolgenden Berufungsverfahren andererseits genügt es in der Regel nicht, unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen und unter schlichter Wiederholung der eigenen Ansichten das Ersturteil in Frage zu stellen (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 12). Das Gebot der Darlegung im Sinne dieser Vorschrift erfordert vielmehr eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (BayVGH, B.v. 13.8.2015 – 20 ZB 15.19 – juris Rn. 3; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 56).
Das Zulassungsvorbringen des Klägers wird diesen Darlegungsanforderungen insbesondere auch hinsichtlich des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht gerecht. Die Zulassungsbegründung nimmt weitestgehend auf das erstinstanzliche Klagevorbringen Bezug, ohne sich mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Auf die Begründung des Ersturteils geht sie nur in einer Textpassage ein, wobei dort ausschließlich ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht gerügt wird, ohne dass rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 15.12.2017 – 8 ZB 16.1806 – juris Rn. 9).
3. Unbeschadet der Nichterfüllung der Darlegungsanforderungen ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Der angegriffene Bescheid, der sich durch die irreversible Durchführung der angeordneten Maßnahmen durch den Kläger erledigt hat (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2017 – 8 ZB 16.475 – juris Rn. 15; U.v. 15.3.1999 – 22 B 95.2164 – BayVBl. 2000, 149 = juris Rn. 38), erweist sich als rechtmäßig. Die Anordnungen waren im Einzelfall notwendig, um der Besorgnis einer nachteiligen Veränderung der Eigenschaften des Grundwassers zu begegnen (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG, Art. 58 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayWG i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 1 und 3 WHG sowie § 1 Satz 3, § 4 Abs. 1 Satz 2 VAwS und Nr. 1.2, 5.4 des Anhangs 5 zur VAwS). Einer Einstufung der Silagesickersäfte entsprechend ihrer Gefährlichkeit bedurfte es entgegen der Auffassung des Klägers mangels Anwendbarkeit des § 6 VAwS auf JGS-Anlagen (vgl. § 1 Satz 3 VAwS) nicht (vgl. inzwischen § 3 Abs. 2 Nr. 4 AwSV vom 18.4.2017, BGBl. I S. 905). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass aufgrund der festgestellten Risse und Undichtigkeiten an der Fahrsiloanlage konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Verursachung einer Gewässerverunreinigung vorlagen (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2014 – 8 CS 13.2535 – NVwZ-RR 2015, 20 = juris Rn. 17). Dabei hat es sich rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass nach der Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts (vgl. S. 37 f. der Behördenakte Band II) im Bereich des Standorts der Fahrsiloanlage ein gering ergiebiges oberflächennahes Grundwasservorkommen zu erwarten ist. Diese fachbehördliche Einschätzung (vgl. hierzu bereits unter 1.) hat der Kläger nicht substanziiert infrage gestellt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO)