Verwaltungsrecht

Anordnungen sowie die Verlängerung der Zurückweisungshaft eines pakistanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  22 T 903/18

Datum:
3.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 37158
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 2, Nr. 3, § 13 Abs. 2 S. 1, § 15 Abs. 5, § 72 Abs. 4, § 106 Abs. 2
FamFG § 38 Abs. 3, § 58, § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5
AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
GNotKG § 36 Abs. 3, § 61 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Betroffener, der seit 2015 in Deutschland lebt und dort und in zwei weiteren europäischen Ländern Asylverfahren erfolgslos betrieben hat und keine Identitätsdokumente besitzt, obwohl er mehrfach Gelegenheit hatte, Anstrengungen zu unternehmen, um solche zu beschaffen oder hieran mitzuwirken, erfüllt die Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 14 Nrn. 2 und 3 AufenthG.  (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Zurückweisung in die Heimat des Betroffenen ist notwendig, wenn er wiederholt und bewusst widersprüchliche Angaben zu den Möglichkeiten des Identitätsnachweises geliefert hat. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 XIV 97/18 2018-05-14 Bes AGINGOLSTADT AG Ingolstadt

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 14.05.2018 (Az. 4 XIV 97/18) wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 5000 €.

Gründe

I.
Der Betroffene ist pakistanischer Staatsangehöriger.
Der Betroffene versuchte am 23.02.2018 gegen 14.30 h als Mitreisender in einem Fernreisebus über die Bundesautobahn A 96, Anschlussstelle Sigmarszell in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Der Betroffene führte keine Identitätsdokumente und aufenthaltslegitimierenden Dokumente mit sich. Beamte der Bundespolizeiinspektion Rosenheim verweigerten dem Betroffenen die Einreise. Eine EURODAC-Recherche ergab eine Registrierung des Betroffenen in Italien seit 28.11.2017. Auch für Griechenland und Ungarn liegen jeweils EURODAC-Treffer vor.
Ein vom Betroffenen seit 16.11.2015 in Deutschland betriebenes Asylverfahren wurde durch Bescheid vom 07.12.2017, zugestellt am 14.12.2017, durch negative Entscheidung abgeschlossen (BAMF 7175426-461). Auch in den Verfahren in Griechenland und Ungarn wurden kein Asyl gewährt oder ein Schutzstatus zuerkannt. Die Antragstellerin Bundespolizeiinspektion Rosenheim hat mit Antrag vom 24.02.2015 mitgeteilt, der Betroffene solle nach Pakistan zurückgewiesen werden.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung bei der beteiligten Behörde gab der Betroffene an, nicht nach Pakistan zurückkehren zu wollen und auch nicht bei einer Passbeschaffung mitzuwirken. Eine Zurückweisung nach Pakistan werde er durch Schreien zu verhindern versuchen.
Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion Rosenheim vom 24.02.2018 und nach Anhörung des Betroffenen wurde der Betroffene durch Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 24.02.2018 bis längstens 09.03.2018 in vorläufige Zurückweisungshaft genommen (Amtsgericht Kempten Aktenzeichen 2 XIV 14/18). Das Verfahren wurde aufgrund Inhaftierung des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt Eichstätt an das Amtsgericht Ingolstadt abgegeben.
Mit Antrag der Bundespolizeiinspektion Kempten vom 05.03.2018 wurde eine Verlängerung der Zurückweisungshaft für längstens zehn Wochen bis zum 22.05.2018 beantragt. Es wird ausgeführt, dass in diesem Verfahren der Betroffene durch die antragstellende Behörde dem zuständigen Staat angeboten werde. Das hierfür erforderliche Konsultationsverfahren werde unverzüglich eingeleitet und dauere im Regelfall zehn Wochen, diese Frist setze sich zusammen für eine Zeitdauer von acht Wochen für die Bearbeitung durch die pakistanischen Behörden für Passersatz Ausstellung ohne Sachbeweise. Die entsprechenden Dokumente habe die Antragstellerin am 28.02.2018 bei der Botschaft eingereicht. Es schließe sich eine Bearbeitungszeit bei der Antragstellerin für die Organisation einer unbegleiteten Rückführung, Flugbuchung und tatsächliche Rückführung an, gefolgt von einem Tag Sicherheitsreserve für den Fall des Scheiterns der Maßnahme. Auf den Antrag vom 05.03.2018 wird verwiesen.
Am 07.03.2018 hat das Amtsgericht Ingolstadt nach persönlicher Anhörung des Betroffenen vom selben Tage Haft zur Zurückweisung des Betroffenen bis längstens 22.05.2018 angeordnet (Aktenzeichen 4 XIV 97/18).
Mit Schreiben vom 06.03.2018 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 24.02.2018 Beschwerde ein. Es erfolgt nachfolgend Umstellung auf Feststellung der Rechtsverletzung mit Schriftsatz vom 18.03.2018. Auf die Begründung wird verwiesen. Nichtabhilfeentscheidungen des Amtsgerichts Ingolstadt liegen unter den 13.03.2018 sowie nachfolgend unter den 23.03.2018 vor.
Mit Schreiben vom 18.03.2018 legt der Verfahrensbevollmächtigte gegen den Beschluss vom 07.03.2018 Beschwerde ein mit dem weiteren Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Die Beschwerde wird unter den 20.03.2018 weitergehend begründet. Hierauf wird verwiesen.
Das Landgericht Ingolstadt, Beschwerdekammer, hat am 30.4.2018 (Aktenzeichen 33 T 513/18) über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 18.3.2018 entschieden und diese mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft spätestens ende am 15.5.2018. Auf die Entscheidung wird verwiesen.
Mit neuem Antrag vom 11.5.2018 der beteiligten Behörde Bundespolizeiinspektion Rosenheim wird Verlängerung der Haft zur Sicherung der Zurückweisung für längstens zehn Wochen und drei Tage im Anschluss an die bestehende Haft bis zum 27.6.2018 gegenüber dem Amtsgericht Ingolstadt beantragt. Zur Begründung wird ausgeführt, die Bundespolizei habe die erforderlichen Passbeschaffungsmaßnahmen unverzüglich eingeleitet, so am 27.02.2018 die Fertigung des Rückübernahmeersuchens durch Referat 25, tags darauf die Abgabe der Antragsunterlagen und Stellung des Rückübernahmeersuchens bei der pakistanischen Botschaft in Berlin. Nach Ablauf einer 45-tägigen Frist erfolgten regelmäßig Anfragen zum Sachstand bei der Botschaft. Mit Stand vom 09.5.2018 liege noch kein Identifizierungsergebnis vor. Die zunächst beantragte Haftdauer von zehn Wochen beruhte auf bisherigen Erfahrungen und der Auswertung von ZAIPORT (Zetrales Ausländer Informationsportal), wonach bei Personen, bei denen keine Sachbeweise für die Staatsangehörigkeit vorliegen, in einem Zeitraum von einem Jahr 22% bis zur achten Woche, 50% in den Wochen acht bis 22 positiv identifiziert werden konnten. Die nunmehr beantragte Verlängerung der Freiheitsentziehung bis 27.6.2018 bilde mit 17 Wochen nach Abgabe der Antragsunterlagen bei der Botschaft den Durchschnitt zwischen zwölf und 22 Wochen. Der Betroffene habe die Notwendigkeit der Erstellung von Heimreisedokumenten selbst zu vertreten.
Unter dem 09.5.2018 findet sich ein Vermerk des polizeilichen Sachbearbeiters, dass nach Rücksprache mit der Botschaft bislang kein Identifizierungsergebnis vorliege, der dortige Sachbearbeiter habe erneute Rücksprache mit Islamabad zugesagt. Das Amtsgericht Ingolstadt hat nach Anhörung des Betroffenen am 14.5.2018 über den Antrag entschieden. Im Rahmen der Anhörung gibt der Betroffene an, er habe sich einen Ausweis zuschicken lassen, diesen gebe er dann bei der Polizei ab. Der Ausweis sei in der Wohnung, wo er wohne. Gegenüber der Bundespolizei habe der Betroffene gelogen, er habe den Ausweis schon gehabt. Durch Beschluss vom selben Tage wurde die Sicherungshaft zur Zurückweisung bis 27.6.2018 verlängert. Auf die Entscheidung wird verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten vom 25.5.2018. Darin wird gerügt, es lasse sich nicht ersehen, welche Maßnahmen in der Zwischenzeit eingeleitet worden seien. Es werde gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoßen. Das Amtsgericht Ingolstadt hat der Beschwerde nicht abgeholfen, Beschluss vom 4.6.2018.
Die Beschwerdekammer hat durch Verfügung vom 7.6.2018 der Antragstellerin weiteren Sachvortrag aufgegeben zur Darlegung der notwendigen Gründe, insbesondere welche konkreten Maßnahmen über regelmäßige Vorsprachen bei der Botschaft hinausgehend zur Beschleunigung der Sache getroffen wurden sowie eine ZAIPORT-Liste angefordert. Die beteiligte Behörde nimmt unter den 13.6.2018 Stellung hierzu und führt aus, die Identifizierungsmaßnahmen würden noch andauern. Die genannten Zeiträume würden Erfahrungswerte ohne bindenden Zielwert darstellen. Die genannte Identifizierungsdauer bewege sich im Regelbereich der Durchschnittswerte und bleibe bis zu 22 Wochen im Regelzeitraum. Innerhalb von zwölf bis 22 Wochen werden 28% der eingereichten Anträge positiv beantwortet. Auch nach Ablauf von 22 Wochen könnten noch 176 Anträge positiv beantwortet werden, dagegen nur 82 negativ.
Der Betroffene habe sich bislang in keinster Weise bemüht, die Identifizierung durch Beibringen von Dokumenten (Geburtsurkunde, Identitätskarte, Kopie, Pass, CNIC Nummer) zu unterstützen und zu beschleunigen. Gegenüber dem BAMF habe der Betroffene angegeben, Identitätskarte und Geburtsurkunde in Pakistan zu besitzen.
Er wurde aktenkundig in der Anhörung darüber belehrt, vorhandene Unterlagen der Behörde zukommen zu lassen. Er habe jedoch nur zwei Freunde in Pakistan und sich die Dokumente nicht zusenden lassen können. Gegenüber der antragstellenden Behörde habe der Betroffene eine Mutter als in Pakistan wohnhaft angegeben. Den Passantrag und Fragebogen zur Passbeschaffung habe der Betroffene nur unvollständig ausgefüllt. Der Wohnort seiner Mutter verfüge über 656.000 Einwohner, die Adresse der Mutter habe der Betroffene indes nicht angegeben. Ergänzend wird ausgeführt, dass ca. 90 Prozent aller Pakistaner einen Pass seit 2007 besitzen, nur eine von 15 Personen könne nicht identifiziert werden. Sowohl am 7.5.2018 als auch 6.6.2018 hätten Vorsprachen und Sachstandsanfragen an der Botschaft stattgefunden, am 7.6.2018 sei die angefragte Bescheinigung an die pakistanische Botschaft übergeben worden. Weitergehende Rückfragen seien seitens der Botschaft weder erwünscht noch sachdienlich. In Haftfällen werde die Botschaft generell auf die Dringlichkeit der Maßnahmen hingewiesen. Es wird verwiesen auf den ZAIPORTAuszug als Anlage zum Schreiben sowie die zum Akt gereichten weiteren Anlagen.
Am 18.6.2018 wurde der Betroffene durch den beauftragten Richter persönlich angehört. Darin wiederholt der Betroffene seine Angaben, nicht mehr nach Pakistan zurückkehren zu wollen, zumal er dort Probleme habe. Der Betroffene sei bereits im Alter von 14 bis 15 Jahren aus Pakistan weggegangen. Er verweist darauf, dass die Ehefrau seines Onkels deutsche Staatsangehörige sei. Ergänzend kann von ihm erfahren werden, dass unter dem Begriff „Onkel“ lediglich ein entfernter männlicher älterer Bekannter, ohne verwandtschaftliche Beziehungen, gemeint ist.
Unter dem 15.6.2018 verlängerte das Ausgangsgericht Amtsgericht Ingolstadt die angeordnete Sicherungshaft zur Zurückweisung erneut bis 23.8.2018.
Es erfolgte Antragsumstellung durch den Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 27.6.2018 mit dem Antrag festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 14.5.2018 und die Inhaftierung des Betroffenen seit dem 15.5.2018 rechtswidrig waren. Weiter wird Prozesskostenhilfe beantragt.
II.
Die Beschwerde des Betroffenen ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit
§ 58 FamFG statthaft, sie ist auch zulässig.
Die eingelegte Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Anordnung der Zurückweisungshaft beruht auf § 15 V 1 AufenthG. Danach soll der Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung in Zurückweisungshaft genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Der Betroffene ist gemäß § 13 II Satz 1 AufenthG an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle erst dann eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. Die Verbringung des Betroffenen zur Anhörung zur Polizeidienststelle stellt keine Einreise im Sinne des Gesetzes dar.
Der Anordnung der Haft lagen zulässige und ausreichend begründete Haftanträge der beteiligten Behörde zugrunde. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung ist von den Verwaltungsgerichten zu klären und bleibt einer Prüfung im Beschwerdeverfahren verschlossen. Die angefochtenen Anordnungen sowie die Verlängerung der Zurückweisungshaft sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zurückweisung von Deutschland nach Pakistan richtet sich nach Art. 14 VO (EG) Nr. 399/2016 in Verbindung mit § 15 AufenthG nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan über die Rückübernahme von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung.
Durchführungshindernisse im Hinblick auf das geplante Zielland der Zurückweisung sind nicht ersichtlich. Mit Antrag vom 24.02.2018 hat die beteiligte Behörde zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung ausgeführt, das Verfahren könne innerhalb der nächsten drei Monate erfolgversprechend betrieben werden. Zunächst müsse das anzuwendende Verfahren und der endgültige Zielstaat bestimmt werden. Obwohl der Betroffene seit 2015 in Deutschland lebt und dort ein Asylverfahren betrieben hat, besitzt er keine Identitätsdokumente. Er hat auch keine Anstrengungen unternommen, solche zu beschaffen oder hieran mitzuwirken. Dieses Verhalten erfüllt die Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 14 Nrn. 2 und 3 AufenthG. Der Betroffene hat auch gegenüber dem beauftragten Richter der Beschwerdekammer angegeben, sich für die Zurückschiebung nach Pakistan nicht zur Verfügung zu halten. Es sei richtig, dass er diese durch Schreien zu verhindern versuchen werde. Auch die Tatbestandsmerkmale der Entziehung von der Aufenthaltsbeendigung nach § 2 Abs. 14 Nummer 5 AufenthG sind deshalb erfüllt. Die Haft ist verhältnismäßig, die Staatsanwaltschaft Kempten wurde am Tag der Antragstellung gehört, § 72 IV AufenthG.
Nicht heilbare Rechtsfehler der Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt, Aktenzeichen 4 XIV 97/18, liegen nicht vor. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen rügt, der Anhörungstermin vom 07.03.2018 sei auf seinen Antrag hin zu verschieben gewesen, führt das Amtsgericht Ingolstadt aus, eine Verlegung könne aufgrund des organisatorischen Aufwandes der Ladung und Bereitstellung des Betroffenen sowie des Dolmetschers nicht erfolgen. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Am 07.03.2018 wurde der Betroffene vor dem Amtsgericht angehört. Er bestätigt die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen seines Aufenthaltes und fehlender Beschaffung von Identitätspapieren sowie Verhinderung seiner Zurückschiebung.
Auch der neuerliche Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung. Für Abschiebehaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, den Zurückschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung und zur notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3-5 FamFG).
Der Haftantrag ist ausreichende Grundlage zur Verhängung der Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5, 71 III Nr. 1 AufenthG. Die Zurückweisungsentscheidung der Bundespolizei konnte nicht unmittelbar vollzogen werden, zumal der Betroffene Reisedokumente nicht besitzt. Ein Haftgrund nach § 62 Abs. 3 AufenthG ist bei Zurückweisungen nicht erforderlich, zumal § 15 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht auf diese Norm verweist (BGH Beschluss vom 22.06.2017, V ZB 127/16). Dies steht mit der Rückführungsrichtlinie der EU 2008/115/EG vom 16.12.2008 (2008/115/EG) in Einklang. § 15 AufenthG ist eine Mitgliedstaatsvorschrift im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a, der Rückführungsrichtlinie, die die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und Abs. 6 AufenthG ausschließt (BGH Beschluss vom 10.03.2016).
Die Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt wurde dem Verfahrensbevollmächtigten auf rechtlichen Hinweis der Kammer vom 16.03.2018 hin ordnungsgemäß bekannt gemacht.
Auf Veranlassung der Beschwerdekammer vom 11.04.2018 hat die Antragstellerin Bundespolizeiinspektion Kempten unter dem 16.04.2018 Stellung zu den Beanstandungen der Beschwerdebegründung genommen. Darin wird zunächst nachgeliefert die Postzustellungsurkunde hinsichtlich der Zustellung des Bescheides vom 07.12.2017, die Zustellung erfolgte am 14.12.2017, der Ausländer hat sicherzustellen, dass ihm Posteingänge während der Postausgabe- und Postverteilungszeiten in der Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt werden können. Zustellungen und formlose Mitteilungen sind mit der Aushändigung an den Ausländer bewirkt; im Übrigen gelten sie am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt, § 10 II. 4 AsylVerfG.
Eine Zurückweisung des Betroffenen hat nicht zwingend in den Staat zu erfolgen, aus dem heraus die versuchte Einreise erfolgt ist. Die Antragstellerin weist hin auf Punkt.15.0.5.2 der AVwV zum Aufenthaltsgesetz, wonach die Grenzbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen auch einen anderen Staat bestimmen kann. Als solcher ist das Heimatland des Betroffenen völkerrechtlich zur Aufnahme verpflichtet.
Die weitere Verlängerung der Haft zur Zurückweisung des Betroffenen war notwendig, um die Zurückweisung des Betroffenen in sein Heimatland zu betreiben. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Betroffene wiederholt und bewusst widersprüchliche Angaben zu den Möglichkeiten des Identitätsnachweises geliefert hat. So hat er zunächst vorgetragen, lediglich Freunde oder Bekannte in Pakistan zu besitzen, gefolgt von dem Vortrag, seine Mutter wohnen noch in seiner Heimatstadt. Dabei wusste der Betroffene wohl, dass die Heimatbehörden in einer Großstadt mit 650.000 Einwohnern vor quasi unmögliche Aufgaben gestellt werden, einzelne Individuen ohne Angabe eines Wohnsitzes auffinden zu müssen. Zur Überzeugung der Kammer hat der Betroffene diese Angaben bewusst im Unklaren gehalten, um die Bestrebungen der Ersatzpapierbeschaffung zu konterkarieren. In diesem Lichte zeigt sich auch die Anhörung des Betroffenen vor dem beauftragten Richter der Beschwerdekammer. Dort bringt er weitere Personen ins Spiel, die sowohl den Bezug des Betroffenen nach Deutschland als auch die Möglichkeit der Kommunikation in sein Heimatland darlegen sollen. Bei näherer Nachfrage muss der Betroffene jedoch angeben, dass lediglich entfernte Bekannte, von denen weder Name noch Wohnsitz bekannt ist, dem Betroffenen insoweit zur Seite stehen wollen. Ihm kann nicht entgehen, dass die von ihm gelieferten Hinweise keine ernstlichen Ansatzpunkte für die beteiligte Behörde zur Beschleunigung der Passersatzbeschaffungsmaßnahmen bedeuten. Nach seinen Angaben hat der Betroffene überhaupt nicht vor, das Bundesgebiet zu verlassen, insoweit kann festgestellt werden, dass er ernstliche Bemühungen zur Beschaffung von Ersatzpapieren trotz aktenkundig gewordener und wiederholter eindeutiger Belehrung nicht verfolgt.
Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden, §§ 15 V, 62 IV AufenthG. Ob ein Umstand, der zur Verzögerung der Abschiebung geführt hat, von dem Ausländer zu vertreten ist, ist eine Frage der Zurechnung, die nicht generellabstrakt beantwortet werden kann, sondern unter Würdigung der gesamten Umstände zu entscheiden ist. Dabei hat der Ausländer auch solche Umstände zu vertreten, die, von ihm zurechenbar veranlasst, dazu geführt haben, dass ein Abschiebungshindernis überhaupt erst eingetreten ist (Senat, Beschluss vom 11. Juli 1996 – V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 238 zu § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG). Das kann der Fall sein, wenn der Ausländer einreist, ohne Ausweispapiere mit sich zu führen (vgl. § 3 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, muss deshalb Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 – V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 20; Beschluss vom 12. Mai 2016 – V ZB 25/16, juris Rn. 6).
Von insgesamt 882 Abschiebungsfällen, davon 815 ohne Sachbeweise, konnten 683 positiv, 177 negativ beschieden werden (ZAIPORT-Liste in Anlage zum Schreiben der Beteiligten). Hinsichtlich der zeitlichen Staffelung gilt, dass in einem Zeitraum zwischen zwölf und über 22 Wochen die Erfolgsquote bei der Identifizierung durchaus ausgewogen ist. Gegen den Ansatz eines Durchschnittswertes bestehen deshalb keine rechtlichen Bedenken.
Mangels Erfolgsaussicht des Vorbringens war der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zurückzuweisen, § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO. In der Abkürzung der Haftdauer um eine Woche liegt kein durchgreifender Erfolg der Beschwerde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewertes stammt aus § 61 I 1, 36 III GNotKG.

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