Verwaltungsrecht

Anordnungen zur Haltung eines Hundes

Aktenzeichen  AN 15 S 18.01942

Datum:
13.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2376
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5, § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114§ 161
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
StPO § 170 Abs. 2

 

Leitsatz

Für Anordnungen gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es nicht zwingend erforderlich, dass ein Hund bereits durch Beißen von Menschen oder Tieren oder durch sonst aggressives Verhalten auffällig geworden ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt bzw. der Antrag zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller zu 2/3 und die Antragsgegnerin zu 1/3.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheids der Antragsgegnerin vom 3. September 2018, durch den gegenüber dem Antragsteller Anordnungen zur Haltung seines Hundes „…“ (Rasse: Golden Retriever) getroffen wurden.
Am 26. Juli 2018 gegen 14:45 Uhr führte der Antragsteller seinen Hund auf dem Kinderspielplatz in der … unangeleint aus. In der Folge erlangte die Antragsgegnerin durch die Polizeiinspektion … und die Mutter des mutmaßlich geschädigten und zum damaligen Zeitpunkt sieben Jahre alten … … Kenntnis von einem Vorfall, der sich in diesem Zusammenhang ereignet haben soll. Der Hund des Antragstellers habe den mutmaßlich Geschädigten angefallen und erheblich verletzt.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2018 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller im Hinblick auf ein beabsichtigtes Ordnungswidrigkeitenverfahren zu dem geschilderten Vorfall an. Mit Schreiben vom 8. August 2018 ließ sich der Antragsteller dazu dahingehend ein, dass er seinen Hund tatsächlich unangeleint auf dem Spielplatz ausgeführt habe. Dieser habe jedoch keinen Jungen angegriffen und gebissen. Vielmehr sei der Junge schreiend weggelaufen, als der Hund sich genähert habe. Beim Wegrennen sei dieser dann gestolpert und hingefallen. Er habe mit seinem Hund bereits im Alter von neun Wochen die Hundeschule besucht.
Nachdem der Antragsgegnerin am 25. August 2018 der Ermittlungsbericht der Polizeiinspektion … vorgelegt worden war, hörte diese den Antragsteller mit Schreiben vom 27. August 2018, dem Antragsteller zugestellt am 28. August 2018, im Hinblick auf die beabsichtigte Anordnung eines Maulkorb- und Leinenzwanges innerhalb des Stadtgebietes für den Hund des Antragstellers an. Mit Schreiben vom 30. August 2018 wiederholte der Antragsteller im Wesentlichen seine Ausführungen aus seinem Schreiben vom 8. August 2018. Zudem führte er an, ein Maulkorb sei völlig unangemessen.
Die Staatsanwaltschaft … hatte betreffend den Vorfall ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen den Antragsteller eingeleitet, welches mit Verfügung vom 5. September 2018 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, da dem Antragsteller nicht mit der zur Anklageerhebung notwendigen Sicherheit ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden könne. Es hätten keine Erkenntnisse darüber vorgelegen, dass der Antragsteller bis zu diesem Zeitpunkt mit einem derartigen Verhalten des Hundes habe rechnen müssen.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. September 2018, dem Antragsteller zugestellt am 4. September 2018, erließ die Antragsgegnerin folgende Anordnungen:
1. Für den Golden Retriever-Hund „…“ [des Antragstellers] wird innerorts ein Leinenzwang angeordnet.
2. Die Leinenlänge darf max. 1,50 m betragen, eine Flexileine darf innerorts nicht verwendet werden.
3. Die verwendete Leine muss intakt sein und der Größe bzw. der Kraft des Hundes entsprechen.
4. Der Hund ist von Kindern fernzuhalten.
5. Mit dem Hund ist eine Hundeschule aufzusuchen und die Begleithundeprüfung abzulegen.
Der Nachweis ist dem Ordnungsamt oder dem Veterinäramt vorzulegen.
6. Die sofortige Vollziehung der vorstehenden Nummern 1 bis 4 wird angeordnet.
7. Im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Ziffern 1 bis 4 wird ein Zwangsgeld von 500,00 EUR fällig.
8. [Der Antragsteller] hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
9. Die Gebühr für diesen Bescheid wird auf 30,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 5,00 EUR.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Einschreiten notwendig sei, da der Vorfall vom 26. Juli 2018 zeige, dass der Hund zu einer Gefahr für die Gesundheit von Personen und anderen Tieren werden könne, wenn er sich außerhalb des Grundstücks nicht angeleint bewege. Die Anordnungen entsprächen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Unter Berücksichtigung der Einwendungen des Antragstellers sei davon abgesehen worden, neben der Leinenpflicht auch einen Maulkorbzwang anzuordnen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse. Wenn der Sofortvollzug nicht angeordnet werden würde bestünde die Gefahr, dass in der Zeit zwischen Erlass des Bescheides und seiner Bestandskraft weitere Gefährdungen von dem Hund ausgehen und Personen oder Tiere Schäden erlitten.
Auf die weitere Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit bei Gericht am 4. Oktober 2018 eingegangenen Schriftsätzen seiner Bevollmächtigten vom gleichen Tag Klage auf Aufhebung des Bescheids erhoben (AN 15 K 18.01943) und vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin bei Erlass des Bescheides von einer unrichtigen Tatsachengrundlage ausgegangen sei. Der Hund des Antragstellers habe, anders als angenommen, kein Kind in den Kopf gebissen. Hierzu werde auch auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft … vom 5. September 2018 verwiesen. Von dem Hund gingen keinerlei Gefahren für Leib und Leben aus. Aus diesem Grund seien die Anordnungen rechtswidrig; das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege somit das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Schließlich genüge auch die Begründung des Sofortvollzugs nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da diese lediglich formelhaft mit einem Satz erfolgt sei. Nach weiterem Vorbringen des Antragstellers sei der Bescheid zudem teilweise formell rechtswidrig, da Ziffer 4 nicht bestimmt genug i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG sei. Außerdem sei der Bescheid in den Ziffern 1 bis 3 auch materiell rechtswidrig, da es sich bei dem Hund des Antragstellers um keinen „großen Hund“ i.S.d. § 2 Abs. 2 der geltenden Hundehaltungsverordnung handle, wie es nach ständiger Rechtsprechung für eine Anordnung nach Art. 18 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 LStVG jedoch nötig sei. Schließlich sei auch Ziffer 5 des Bescheides materiell rechtswidrig. Die Anordnung zum Besuch einer Hundeschule sei nicht von den materiellen Anforderungen der Rechtsgrundlage (Art. 18 Abs. 2 LStVG) gedeckt, da diese Anordnung nicht der Abwehr einer konkreten Gefahr diene, sondern eine über den Bereich der Gefahrenabwehr hinausgehende Verpflichtung darstelle.
Der Antragsteller hat mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 4. Oktober 2018 beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Stadt … vom 03.09.2018 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 27. November 2018 Klageabweisung beantragt und beantragt,
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft sei nicht deswegen erfolgt, weil nicht der Hund des Antragstellers den Geschädigten gebissen habe, sondern allein deswegen, weil der Tatnachweis der Fahrlässigkeit nicht habe geführt werden können. Der Beißvorfall sei durch glaubwürdige Zeugenaussagen zweifelsfrei belegt. Da es sich um die erste Auffälligkeit des Hundes gehandelt habe, sei vom Erlass eines Maulkorbzwangs abgesehen und lediglich das mildeste Mittel – der Leinenzwang – angeordnet worden. Mit einer Schulterhöhe von ca. 50 cm sei der Hund ohnehin gemäß der geltenden Hundehaltungsverordnung im Stadtgebiet anzuleinen. Die Anordnung des Besuchs einer Hundeschule verletze den Antragsteller ebenfalls nicht, da dieser bereits selbst angegeben habe, bereits eine Hundeschule besucht zu haben.
In dem Termin der mündlichen Verhandlung am 13. Januar 2020 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Im Zuge dessen erklärte der Antragstellerbevollmächtigte in Bezug auf das Eilverfahren, dass der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 5 des Bescheides insoweit zurückgenommen werde. Weiterhin wurde seitens der Antragsgegnerin der Bescheid vom 3. September 2018 dahingehend modifiziert, dass die Ziffern 3, 4 und 5 des Bescheides aufgehoben wurden. Mit Ziffer 6 wurde nur noch die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 2 des Bescheides angeordnet und mit Ziffer 7 wurde nur noch angeordnet, dass im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Ziffern 1 bis 2 des Bescheides ein Zwangsgeld von jeweils 500,00 EUR fällig werde. In Bezug auf Ziffer 9 wurde nunmehr eine Gebühr von nur noch 15,00 EUR festgesetzt mit Auslagen von weiterhin 5,00 EUR. Der Antragstellerbevollmächtigte erklärte sodann, soweit die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben bzw. modifiziert hat, wird in beiden Verfahren die Hauptsache für erledigt erklärt. Im Übrigen wird die Klage aufrechterhalten und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheides sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 7 des Bescheides, beantragt.
Die Antragsgegnerin stimmte der teilweisen Erledigungserklärung zu und beantragte im Übrigen weiterhin Antragsablehnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die beigezogene Behördenakte sowie auf die Gerichtsakte einschließlich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.
II.
Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt bzw. der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO bzw. gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet und somit abzulehnen.
Soweit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage vom 4. Oktober 2018 gegen die von der Antragsgegnerin in den Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides ausgesprochenen Anordnungen bzw. der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das in Ziffer 7 angedrohte Zwangsgeld gerichtet ist, ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig. Der Klage gegen die Anordnungen in Ziffern 1 und 2 kommt aufgrund § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu, da die sofortige Vollziehung in Ziffer 6 des Bescheides besonders angeordnet wurde. Selbiges gilt auch für die Androhung des Zwangsgeldes in Ziffer 7, da diese kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a Satz 1 VwZVG.
Soweit der Antrag zulässig ist, ist er jedoch in der Sache unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen bzw. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO anordnen. Das Gericht prüft zunächst im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Das Gericht trifft sodann eine eigene Ermessensentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen umfassenden Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu, wobei aber auch die gesetzgeberische Entscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist. Erweist sich das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug in der Regel der Vorrang zu, wenn die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich. Das Interesse des Antragstellers, mit dem Vollzug des ihn belastenden Verwaltungsaktes vor dessen Bestandskraft nicht überzogen zu werden ist abzuwägen mit dem besonderen öffentlichen Interesse der Allgemeinheit, den angefochtenen Verwaltungsakt – (im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise – schnellstmöglich zu vollziehen. Maßstab für diese Abwägung ist ein Vergleich der Verhältnisse einerseits für den angenommenen Fall, dass die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt / angeordnet wird, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch bestätigt wird, mit andererseits der angenommenen Konstellation, dass der Sofortvollzug bestehen bleibt, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch aufgehoben wird.
Die Antragsgegnerin hat vor dem Hintergrund, dass an den Inhalt der schriftlichen Begründung des Sofortvollzugs keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43), das besondere Interesse an der Anordnung des sofortigen Vollzugs in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids ausreichend gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich begründet.
Bei der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die gegen den streitgegenständlichen Bescheid erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der angegriffene Bescheid insgesamt rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies hat zur Folge, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahmen das private Interesse des Antragstellers am Suspensiveffekt seines Rechtsbehelfs überwiegt.
Die Antragsgegnerin hat gegenüber dem Antragsteller zu Recht Anordnungen bezüglich der Haltung seines Hundes „…“ getroffen. Rechtsgrundlage für die Anordnung ist Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Danach können die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Für Anordnungen gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es dabei nicht zwingend erforderlich, dass ein Hund bereits durch Beißen von Menschen oder Tieren oder durch sonst aggressives Verhalten auffällig geworden ist. Die Gefahrenabwehr setzt also nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis stattgefunden hat. Eine hinreichend konkrete Gefahr in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn in einem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann (BVerwG, U.v. 18.12.2002 – 6 CN 1/02 – juris). Die an das Vorliegen einer Gefahr zu stellenden Anforderungen hängen von der Wertigkeit des bedrohten Rechtsguts ab. Da es sich bei dem zu befürchtenden Schaden um ein zukünftiges Ereignis handelt, hat die Sicherheitsbehörde eine wertende Prognoseentscheidung über die zu erwartenden Schäden zu treffen (BayVGH, B.v. 18.11.2011 – 10 ZB 11.1837 – juris). Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Schadens umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist. Bei einem hohen Schutzgut kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch ein konkreter Gefahrenverdacht für eine sicherheitsrechtliche Anordnung ausreichen (BayVGH, U.v. 18.2.2004 – 24 B 03.645 – BayVBl 2004, 535; B.v. 7.4.2004 – 24 CS 04.53 – BayVBl 2004, 727). Erst recht ermöglicht Art. 18 Abs. 2 LStVG eine entsprechende Anordnung der Sicherheitsbehörden dann, wenn es um die Haltung eines Hundes geht, der bereits in einem Sinn auffällig geworden ist, der eine Gefahr für die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum beinhaltete.
Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Anordnungen zu Recht ergangen. Von dem Hund des Antragstellers geht eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter aus. Am 26. Juli 2018 war der Hund des Antragstellers in einen Vorfall verwickelt, bei dem der zum damaligen Zeitpunkt sieben Jahre alte … … jedenfalls gestürzt ist und sich hierbei verletzt hat. Unerheblich ist insoweit, ob der Hund des Antragstellers den Jungen umgestoßen oder gar in den Kopf gebissen hat, da jedenfalls unter den Beteiligten unstreitig ist, dass der unangeleinte Hund des Antragstellers sich dem Kind genähert hat, woraufhin dieses hingefallen ist und sich verletzt hat. Bereits hierin hat sich die von dem unangeleinten Hund des Antragstellers ausgehende konkrete Gefahr für die Gesundheit von Menschen hinreichend realisiert. Ein Umstoßen oder gar Zubeißen des Hundes ist hierfür nicht erforderlich. Auch ein etwaiges Fehlverhalten des Jungen im Umgang mit dem Hund, etwa durch – wie vom Antragsteller geschildertes – schreiendes Wegrennen, vermag hieran nichts zu ändern. Aus diesem Grund kann auch dahinstehen, welche Schulterhöhe der Hund des Antragstellers aufweist und ob er damit womöglich schon als „großer Hund“ unter die Hundehaltungsverordnung der Antragsgegnerin fällt. Die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer Einzelfallanordnung betreffend einen Leinenzwang für den Hund des Antragstellers liegen jedenfalls vor.
Da demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG vorliegen, ist das in dieser Vorschrift normierte Ermessen eröffnet. Dieses Ermessen, das nach § 114 VwGO nur auf das Vorliegen möglicher Ermessensfehler hin zu überprüfen ist, hat die Antragsgegnerin fehlerfrei ausgeübt. Weder in Bezug auf das Entschließungsermessen noch hinsichtlich des Auswahlermessens sind Rechtsfehler erkennbar. Zunächst ist festzuhalten, dass die Antragsgegnerin Ermessenserwägungen angestellt hat, sodass die streitgegenständliche Anordnung nicht vor dem Hintergrund eines Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig ist. In Bezug auf das Entschließungsermessen hat die Antragsgegnerin vollkommen zu Recht darauf abgestellt, dass angesichts des Zwischenfalls vom 26. Juli 2018 eine sicherheitsrechtliche Anordnung in Bezug auf den Hund des Antragstellers zu treffen ist. Die Ausübung des Auswahlermessens durch die Antragsgegnerin ist auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden. Indem die Antragsgegnerin von der zusätzlichen Anordnung eines Maulkorbzwanges abgesehen und lediglich den Leinenzwang der Ziffern 1 und 2 des Bescheides angeordnet hat, wurde das mildeste zur Verfügung stehende Mittel gewählt, um der Gefahr, die von dem Hund des Antragstellers ausgeht, wirksam zu begegnen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin den Leinenzwang auf den Innerortsbereich beschränkt. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese teilweise Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Hundes im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr geboten ist. Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Antragsgegnerin in Ziffer 2 des Bescheides eine Leinenlänge von maximal 1,5 Metern angeordnet hat. Die Anordnung einer bestimmten Länge der Leine ist schon aus Gründen der Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes erforderlich. Im Übrigen wird der Antragsteller nur bei Verwendung einer vergleichsweise kurzen Leine in die Lage versetzt, bei Gefahrsituationen unverzüglich auf den Hund einwirken zu können.
Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der (modifizierten) Zwangsgeldandrohung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die von der Antragsgegnerin bezüglich der Haltung des Hundes des Antragstellers getroffenen Anordnungen sind deshalb nicht zu beanstanden.
Nach alledem war der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 und 161 Abs. 2 VwGO. Eine gemeinsame Kostenentscheidung hinsichtlich des streitig entschiedenen Teils des Verfahrens und hinsichtlich des Teil des Verfahrens, der zurückgenommen bzw. übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist zulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, § 161 Rn. 5). Soweit der Antrag zurückgenommen wurde, sind die Kosten des Verfahrens gemäß § 155 Abs. 2 VwGO dem Antragsteller aufzuerlegen. Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens entspricht es billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzulegen, da diese durch Teilaufhebung des streitgegenständlichen Bescheids das erledigende Ereignis herbeigeführt hat. Im Übrigen greift § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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